Toma Behlsum

Kuhland


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dass die Touristen vielleicht dann noch eines seiner Bilder kaufen werden, will er sich revanchieren und lädt die beiden danach noch zu sich nach Hause ein. Die einfache und gemütliche Wohnung und der große schwere Mann mit dem wirren mausgrauen Haar, der nicht viel sagt, sondern meistens nur ruhig und gelassen dasitzt und Bier trinkt, das gefällt Brigitte. Als Karl Heinz kurz den Raum verlässt, fragt Brigitte Franz, ob sie nicht zu ihm ziehen könne. Franz sagt verdutzt zu, er ist ein freundlicher Mann, den man problemlos um einen Gefallen bitten kann, auch wenn er nicht versteht, warum und wieso. Karl Heinz meint dazu später zu Brigitte, sie müssten reden, aber sie entgegnet, sie wüsste nicht worüber.

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      Franz wundert sich nicht, dass eine Touristin ihn fragt, ob sie bei ihm bleiben könne, Tourist ist kein fassbarer Begriff für ihn. Was Touristen bewegt, dieses oder jenes zu tun oder zu lassen, ist jenseits seine Vorstellungsvermögens. Seit er selbst vor mehr als 30 Jahren einmal quasi als Tourist mit seiner damaligen Freundin eine Woche in Teneriffa war ist Franz nicht mehr grundlos verreist. Die Leute sagen zwar, dass man die schlechten Erfahrungen in Erinnerung behält und die angenehmen Dinge gerne vergisst, aber da war nichts angenehmes, das er hätte vergessen können, da ist er sich ganz sicher. In Teneriffa war alles hässlich, das Hotel, der angeschüttete schwarze Sandstrand, die Straßen des Touristenortes und die hässlichen Geschäfte, und das Frühstücksbuffet und das Abendessenbuffet bestand aus ausschließlich hässlichen Sachen, die aussahen, als würde man ganz sicher krank davon, zuerst Magen - Darm, später dann Krebs, so dass er die ganze Woche nur ein wenig Obst und Reis zu sich genommen hatte und mehrer Kilogramm abgenommen hatte. Vor allem aber waren die anderen Touristen, Deutsche, Engländer, Holländer hauptsächlich, allesamt hässlich, hatten hässliche Kleidung an und rote Köpfe auf, da war niemand, den er kennen lernen wollte, und seine Freundin, die ihm zu Hause so schön erschienen war, war plötzlich genauso hässlich und er hatte den Verdacht, dass auch er jetzt hässlich war, obwohl er doch zumindest in der Wahl seiner Kleidung sorgsam vorgegangen war und stets im Anzug auf die Straße ging.

      Überlegungen drängten sich ihm auf, wie das Grauen rückstandslos beseitigt werden könnte, die Straßen, die Hotels, die Touristen und die Einheimischen, die meisten davon zugezogen vom Festland mit dem einzigen Zweck, den roten, schlecht gekleideten Menschen aus den nördlicher gelegenen Ländern in 2 Wochen so viel wie möglich, also alles von ihrem unter sehr verschärften Bedingungen in 50 Wochen verdienten Geld abzunehmen, und der aufgeschüttete Sandstand muss auch weg, so dass wieder die öden schwarzen Felsen zum Vorschein kommen auf denen dann schwarze Krabben sitzen. Damit hatte er sich die Woche über beschäftigt und wieder zu Hause sich von seiner Freundin getrennt. Er wollte seit damals niemals mehr ein Tourist sein.

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      Franz ist normalerweise guter Dinge, auch deshalb, weil er nun nicht von sich sagen kann, dass seine großen Erfolge der Vergangenheit angehören, aber jetzt sitzt er bei geöffneter Studiotüre in seiner Werkstatt und studiert die Informationsbroschüre über die Käsestraße. Er hat den Auftrag, eine Skulptur dazu zu entwerfen, und als Franz auf der letzten Seite angelangt ist, ist er verzweifelt. Der Verein Käsestraße hat 3.000 Euro dafür bereitgestellt, für das komplette Werk wohlgemerkt, einschließlich des Honorars für den Künstler. Die Broschüre ist grafisch so miserabel, dass die 3.000 Euro besser angelegt wären in einen neuen Käsestraßenführer.

      Franz steht aber durchaus zu seiner Provinz. Es ist nämlich nicht so, dass es auf dem Land keine Kultur gibt, es gibt sie sehr wohl, nur anders. Aber woran es halt manchmal ein wenig hapert ist die Umsetzung. Und die jährliche Große Westallgäuer Kunstausstellung ist ein ebenbürtiges Pendant zum Westallgäuer Käsestraßenführer.

      Manchmal kommen dann Zugereiste und möchten gerne einen Kulturverein gründen, ‚um das vorhandene Potenzial besser zu nutzen’. Sie laden sich dazu lauter Leute ein, von denen sie glauben, mit denen wäre so etwas zu machen, tragen ihr Konzept vor und blicken danach in betretene Gesichter. Normalerweise sind die Leute auf dem Land fröhlich und nett, wer also betretene Gesichter lieber hat, der versuche, einen Kulturverein zu gründen. Das Experiment scheitert so kläglich wie erwartet. ‚Kultur’, sagen dann die in der Provinz dafür zuständigen Rentner, ‚Kultur, das sind wir’, und dann basteln sie in ihrer Freizeit, die von morgens bis abends dauert, munter bunte Blumen für das jährliche Stadtfest. ‚Sowie bestenfalls’, fügen sie an, ‚noch die Hobbybildhauer, die kostenlos kleine Skulpturen für entlegene städtische Brachflächen fertigen, die Hobbyfilmer, die kostenlos kleine Filme drehen, die Hobbyliteraten, die kostenlos Lesungen mit Allgäukrimis abhalten. Aber nur wenn wir sie lassen’.

      Franz weiß, dass auch der Käseverein keine Kunst will, niemand im Käseverein hat eine Ahnung von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, wenn die Käsestraße Kunst in Auftrag gibt, dann, um sich zu dekorieren und die Menschen daran zu erinnern, mal wieder Käse zu essen. Franz könnte sich dafür vorstellen: ein großes Stück Käse, aus Bronze, und Bruce Willis, auch aus Bronze, schießt Löcher in den Käse, das käme gut an. Er schaut sich gerne Filme mit Bruce Willis an. Oft wird Bruce Willis schlecht gemacht von ‚ernsthaften Menschen’, die bekritteln, dass die Welt keineswegs nur schwarz oder weiß ist, wie ‚der’ das immer darstellt, sondern vielmehr aus lauter helleren bis dunkleren Grautönen bestünde. Hier auf dem Land aber stehen die Leute noch alle hinter Bruce Willis, das zeigt schon das Kinoprogramm der Krone Lichtspiele, aber darüber hinaus leider auch der Vergleich zwischen den Käsestraßenführern vom hier und dem benachbarten Vorarlberg: reines schwarz-weiß. Während der Westallgäuerische Führer die Rolle der Übeltäter verkörpert, so übel kommt er daher, dass das völlig uncoole Wort altbacken gerade recht kommt, und Franz sich an die Zeit erinnert fühlt, als noch die Bay City Rollers ‚die Hitparaden stürmten’, ist der von Vorarlberg gut, frisch und munter. Dabei ist es keineswegs so, dass das Vorarlberg bekannt wäre für die Infragestellung alter Werte wie Familie und dümmlichen Frohsinns. Das Landesparlament in Vorarlberg setzt sich denn auch zusammen aus der konservativen ÖVP, dann kommt lange nichts, und dann, irgendwann mal, die rechtsradikale FPÖ, die SPÖ und die Grünen. Bayern hat nach einer Legislaturperiode mit Zweidrittelmehrheit der konservativen CSU, einer Koalition aus CSU und der wirtschaftsliberalen FDP nun wieder CSU allein. Die beiden Länder geben sich also nichts nach.

      Vorarlberg hat aber eine weltweit anerkannte Architektur, es werden ständig ein- wie mehrtägige Studienreisen Architektur Vorarlberg veranstaltet, Architektur und Kultur wie das Kunsthaus Bregenz sind wichtige Faktoren in der Tourismusindustrie geworden. Die Ausstellungen von Eliasson, Sindy Sherman, Jenny Holzer, Tony Oursler etc werden überregional in ganz Europa in den Feuilletons besprochen. Ins Allgäu veranstaltet verständlicherweise niemand Studienreisen zum Thema Kunst und moderne Architektur, sonst wäre er ganz schnell insolvent, und es locken auch nicht Olafur Eliasson, Sindy Sherman, Ai Weiwei oder Jenny Holzer Einheimische wie Besucher an. Zur Ankurbelung des Tourismus werden vielmehr jedes Jahr ein paar weitere Heimatmuseen eröffnet und dabei gleichzeitig darüber geklagt, dass aus unerfindlichen Gründen die Besucherzahlen in den 1a Heimatmuseen zurückgingen und dass Vorarlberg gerade für Touristen, die mehr auszugeben gewillt sind, attraktiver sei als das Allgäu. Franz hat keine Ahnung, warum das alles so ist, aber irgendwas läuft hier schief. Er stellt sich vor, wie Bruce Willis einmal die Bösen auf der Käsestraße langsam sterben lässt, während er im Abspann in Vorarlberg in die Sonne reitet.

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      Es klopft an der Türe, Franz macht sie auf und vor ihm steht Karla. Franz weiß nicht, was für ein Gesicht er jetzt macht, er hat in solchen Situationen keinen Spiegel zur Hand. Es ist leider nicht gesellschaftskonform, immer einen Spiegel bei sich zu tragen, mit dem man in überraschenden Situationen seinen Gesichtsausdruck kontrollieren und gegebenenfalls auch weiterentwickeln kann. Oder notfalls auch korrigieren, falls der Gesichtsausdruck unangemessen geraten ist. Franz und Karla haben sich fast 20 Jahre nicht mehr gesehen, aber natürlich erkennt er die Frau mit den großen braunen Augen und den langen glatten braunen Haare, die man aber nicht sieht, weil sie so ein albernes weißes Häubchen trägt, und die patenter und robuster wirkt als er sie in Erinnerung hat, sofort wieder.

      Karla