George Tenner

Monet und der Tod auf der Insel


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einen Augenblick geholfen, ihre Hose wieder hochzuziehen. Es war nur ein winziger Augenblick. Als ich meinen Blick hob, war er verschwunden. Zuerst dachte ich, er hätte sich nur geduckt oder sei zurück zur Sandburg gelaufen. Aber ich sah ihn nicht. Ich bin ganz schnell zum Wasser gelaufen, und als ich ihn nicht sah und er auch nicht auf mein Rufen antwortete, versuchte ich selbst dort im Wasser zu suchen, wo ich ihn zuletzt habe stehen sehen.«

      »Hatten Sie keine Hilfe?«

      »Doch. Einer der Männer aus der Nachbarburg spielte mit seiner Frau Federball. Als er mich so verzweifelt schreien hörte, kam er und suchte mit mir nach meinem Kind. Dann kamen noch einige andere Leute dazu.«

      »Sie fanden Magnus nicht.«

      »Nein. Er war wie vom Erdboden verschwunden.«

      Es klopfte, und die Psychologin vom Dienst, Frau Dr. Endrigkeit, steckte ihren Kopf zum Zimmer herein.

      »Augenblick«, sagte Larsson und stand auf. »Bitte warten Sie einen Moment«, sagte er zu Maria Halmer und verließ das Zimmer.

      In wenigen Worten schilderte Larsson der Psychologin die Situation.

      »Haben Sie etwas, was Sie der Frau zur Beruhigung geben können?«

      »Ja.«

      »Sie sollte zur Nacht ruhiggestellt werden. Schauen Sie, ob sie suizidgefährdet ist. Wenn ja, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Kommen Sie jetzt bitte mit herein«, sagte Larsson.

      Sie gingen ins Büro. Larsson sah auf Maria Halmer und das verstörte Kind, das kaum noch die Augen offen halten konnte. Er stellte die Psychologin vor, schob der Frau einen Block zu und legte einen Kugelschreiber daneben. »Würden Sie mir bitte die Telefonnummer Ihres Mannes aufschreiben?«

      Die junge Frau tat, was Larsson von ihr verlangte. Als sie fertig war, fragte Larsson: »Hat Ihr Mann ein Handy?«

      Sie nickte.

      »Bitte schreiben Sie auch diese Nummer dazu, für den Fall, dass ich ihn nicht erreiche.«

      Larsson nahm den Block an sich. »Ich gehe mal telefonieren. Unterhalten Sie sich derweilen ein wenig mit Frau Dr. Endrigkeit.«

      Er ging ins Zimmer der Kommissare. Für einen Augenblick setzte er sich an Andresens Schreibtisch. Kriminalkommissar Rolf Andresen hatte es gut. Er hatte drei Tage frei, um Überstunden abzubummeln. Mit seinem Drachen, wie er seine Frau immer zu nennen pflegte, war er mit seinem Jollenkreuzer unterwegs. Irgendwo in Polen. Er wollte die Oder hochfahren bis Szczecin.

      Larsson griff zum Telefonhörer und wählte.

      »Luan Halmer, guten Tag.«

      Deine Stimme klingt nicht unsympathisch, dennoch werde ich dir gleich wehtun müssen.

      »Lasse Larsson, Kriminalpolizei Heringsdorf.« Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen ruhigen Ton zu geben.

      »Kriminalpolizei?«

      Jetzt klingt deine Stimme gleich aufgeregt.

      »Ja … Es gab einen Unfall.«

      »Einen Unfall?«

      »Ja. Einen Badeunfall.«

      »Einen Badeunfall?« Jetzt überschlug sich die Stimme des Mannes vor Aufregung.

      »Ihr Sohn …«

      »Magnus?«

      »Ja.«

      »Ist er …?«

      »Wir haben ihn noch nicht gefunden. Aber es besteht kaum noch Hoffnung.« In diesem Augenblick hasste Larsson seinen Job. Derartige Nachrichten zu überbringen, ist deprimierend. Wo immer der Tod auftaucht, bringt er Leid.

      Er hörte, wie der Mann aufschrie.

      »Es tut mir sehr leid.« Larsson wartete einen Augenblick, bis der Mann sich ein wenig gefangen hatte. »Haben Sie die Möglichkeit, zu Ihrer Frau zukommen? Sie ist mit ihren Nerven völlig fertig, und gemeinsam ist es immer ein wenig leichter, eine so schwere Zeit zu überstehen.«

      »Gleich?«

      »Vielleicht sollten Sie in diesem aufgeregten Zustand nicht in ein Auto steigen. Außerdem fährt es sich im Hellen sicherer.«

      »Ja, da haben Sie recht. Ich muss außerdem erst die Weichen in der Firma stellen. Da kann man nicht einfach verschwinden.«

      Das ist gut so. Das lenkt den Mann ab.

      »Haben Sie Freunde, bei denen Sie heute übernachten können?« , fragte Larsson.

      »Meine Schwiegereltern wohnen in Mariendorf. Ich weiß aber nicht, ob ich es ihnen schon sagen kann.«

      »Und sonst? Haben Sie sonst noch jemanden, mit dem Sie reden könnten?«

      »Ja, natürlich.«

      Larsson gab ihm seine Telefonnummer und sagte, dass er die ganze Nacht anrufen könne, wenn er nicht zurechtkäme.

      Als er die Tür zu seinem Büro öffnete, sah er, dass die Psychologin Maria Halmer beruhigt hatte. Sie weinte nicht mehr, während Dr. Endrigkeit mit ihr sprach und ihre Hand streichelte, und sie antwortete leise und unaufgeregt.

      Wie hat sie das nur fertiggebracht? Frauen unter sich …

      »Ich habe mit Ihrem Mann gesprochen«, sagte Larsson. »Er wird voraussichtlich morgen gegen Mittag kommen.«

      »Oh Gott«, entfuhr es ihr.

      Larsson sah sie fragend an.

      »Davor fürchte ich mich. Er wird mich umbringen.«

      »Ist Ihr Mann gewalttätig?« , fragte Larsson.

      Maria Halmer schien zu überlegen, war sich nicht schlüssig, was sie antworten sollte. »Nein. Aber beim Verlust seines Sohnes kann ich nicht einschätzen, wie er reagieren wird. Er wird in jedem Fall mir die Schuld geben. Wie er dann reagiert … Ich weiß es nicht.«

      Larsson gab ihr seine Visitenkarte. »Speichern Sie die Nummer als Kurzwahl in Ihr Handy ein. Wenn Sie Angst bekommen, rufen Sie mich an. Wollen Sie das so?« Sie nickte. »Können Sie die Nummer speichern, sodass sie mit einem einzigen Druck auf das Zahlenfeld die Verbindung herstellt?«

      »Ja.«

      »Gut. Dann werden Sie jetzt in Ihr Quartier gehen und versuchen, die Nacht zu schlafen.«

      Die Frau lachte hysterisch auf. Nicht laut, aber der Ton war alarmierend genug, dass Dr. Endrigkeit den Kopf leicht schüttelte.

      Larsson schaute sie fragend an.

      »Ich werde Sie jetzt nach Hause begleiten und Ihnen etwas zur Beruhigung geben«, sagte die Psychologin. »Sie können dann schlafen und wieder Kraft schöpfen. Die werden Sie dringend brauchen.«

      In diesem Augenblick machte sich mit einer Musik aus der »West Side Story« das Smartphone von Frau Halmer bemerkbar. Mit zitternden Händen nahm sie es hoch.

      »Versuchen Sie ganz ruhig zu bleiben«, sagte Larsson. »Können Sie es laut stellen?« Dann nickte er der Frau zu.

      »Ja, Luan.« Ihre Stimme war kaum zu hören.

      »Die Polizei hat mich angerufen.«

      »Ich weiß.«

      »Magnus ist tot?«

      »Sie haben ihn noch nicht gefunden.« Sie schluchzte auf.

      »Du konntest es nicht verhindern?«

      »Ich habe mich nur fünf Sekunden von ihm abgewendet, um Laura beim Anziehen ihrer Hose zu helfen«, sagte sie kleinlaut.

      »Du weißt schon, was das bedeutet?«

      »Wir haben eins unserer Kinder verloren, Luan, und das ist furchtbar.«

      »Du hast eins unserer Kinder verloren. Unsere Familie ist damit zerstört.«

      Wieder