George Tenner

Monet und der Tod auf der Insel


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Angelegenheit reden.«

      »Ja, ich weiß das, Luan«, wiederholte sich die Frau.

      Sie wollte noch etwas sagen, aber die Leitung war tot.

      Was für ein lausiger Armleuchter, dachte Larsson. »Ihr Mann ist aufgeregt«, sagte er. »Das muss man verstehen. Morgen sieht es bestimmt schon wieder ganz anders aus.«

      »Sie kennen meinen Mann nicht. Der Junge war alles für ihn.«

      Die Psychologin schaute Larsson fragend an.

      »Er wird sich wieder beruhigen müssen«, stelle Larsson fest. »Manche Tatsachen, die das Leben schreibt, sind unumstößlich.«

      »Der Tod gehört dazu«, sagte Maria Halmer leise.

      Larsson widersprach nicht.

      *

      Am Donnerstag, dem 10. August, kurz vor zwei am Nachmittag, kam Familie Halmer ins Kommissariat in die Seestraße in Heringsdorf. Auf ihrem Weg wurden sie wieder von dem großen Hubschrauber überflogen, der schon am Tag zuvor mehrfach beim Anflug in der Luft über den Kaiserbädern zu sehen war.

      Kriminalkommissar Karl Simons wurde über das Kommen der Halmers verständigt und ging, um sie aus der Wache abzuholen.

      »Ist das der Kommissar?« , fragte Luan Halmer seine Frau.

      »Nein.«

      Luan Halmer drehte sich zu Simons herum. »Wo ist der Kommissar von gestern, der mit meiner Frau gesprochen und mich angerufen hat?«

      Das ist der Ton, den Machtmenschen anschlagen, wenn ihnen etwas gegen Strich geht,dachte Simons. »Kriminalhauptkommissar Larsson ist außer Haus. Ihre Frau und ich kennen uns schon seit gestern. Bitte kommen Sie mit in unser Büro«, sagte er in ruhigem Ton. »Kriminalhauptkommissar Larsson wird jeden Augenblick da sein. Wir haben vor einer Viertelstunde telefoniert. Da war er auf der Rückfahrt von Wolgast«, fuhr er fort, während sie die Treppe hinaufstiegen.

      Sie gingen ins Büro der Kommissare. Simons bot ihnen Stühle an. Maria Halmer nahm ihre Tochter auf den Schoß.

      »Ich habe gerade den Hubschrauber gesehen«, stellte Luan Halmer fest. »Hat sich an der Situation etwas geändert?«

      »Nein, nichts.«

      »Wie kann es sein, dass die Polizei das Kind nicht findet?«

      »Das haben wir uns auch gefragt. Deshalb hat ja auch eine Besprechung bei der Wasserschutzpolizei in Wolgast stattgefunden. Aber ich kenne die Antwort auf unsere Fragen schon …«

      »So? Dann sind Sie der Einzige, der die Antworten schon kennt.«

      »Ich bin hier aufgewachsen. Es sind besonders gefährliche Querströmungen, die sich bei ablandigem Wind bilden. Die Wellen, die sich dann am Strand brechen, sind relativ klein, und der Sog verursacht diese ungeheuer tückischen Strömungen, die sehr gefährlich sind.«

      »Warum kann man davor nicht rechtzeitig warnen?« , bohrte Halmer nach.

      »Weil sie punktuell auftreten, also niemals gleichmäßig, und schon deshalb nicht zu kontrollieren sind.«

      »Ich muss mal«, quengelte die Kleine.

      »Komm«, sagte Maria Halmer zu ihrer Tochter und stellte sie auf die Beine, »steh ein wenig auf.«

      »Geh mit ihr! Du kennst das Ergebnis, wenn du es nicht tust.«

      Es war ein Befehl, kein Hinweis.

      Simons hatte Mühe, sich zu beherrschen. Aber er tat es, wenngleich mit Widerwillen. »Auf dem Gang, die zweite Tür links«, sagte er.

      Sein Telefon klingelte.

      »Gibt es etwas Neues?« , fragte Larsson. »Ich würde noch schnell ins Brauhaus essen gehen.«

      »Die Familie Halmer ist da.«

      »Schön, dann komme ich gleich.« Larsson tat etwas, das ihm als Feinschmecker eigentlich zuwider war. Er hielt an einem Stand und kaufte sich eine Bockwurst. Wenig später fuhr er auf den Parkplatz seiner Dienststelle.

      Maria Halmer kam mit dem Kind von der Toilette zurück und nahm ihren Platz wieder ein.

      Als er ins Büro der Kommissare kam, spürte Larsson die Spannung zwischen Luan Halmer und Simons sofort. »Kann ich irgendetwas helfen?« , fragte er in leichtem Ton.

      »Ich habe erwartet, Sie hier zu treffen, nachdem Sie gestern mit mir telefoniert haben«, sagte Luan Halmer vorwurfsvoll.

      »Die Polizei, Herr Halmer, hat nicht nur eine Baustelle. Aber um zur Beruhigung beizutragen, will ich Ihnen sagen, dass ich auch am Vormittag ausschließlich damit beschäftigt war, die Hintergründe zu dem Unfall Ihres Sohnes abzuklären. Und auch gestern Abend haben wir unser Möglichstes getan. Die groß angelegte Suchaktion musste am Abend gegen zehn Uhr wegen der hereinbrechenden Dunkelheit zunächst unterbrochen werden. Heute ist die Tauchergruppe der Polizei da und beteiligt sich seit dem frühem Morgen intensiv an der Suche.«

      »Ohne Erfolg nehme ich an.«

      »Bisher leider ohne Erfolg.«

      »Sie sind also sicher, dass es ein Unfall war?«

      »Ja.« Larsson zog sich einen Stuhl heran, der vor dem Schreibtisch Rolf Andresens stand, stellte ihn seitlich an den Schreibtisch Simons’ und setzte sich. Von hier konnte er auf kürzeste Distanz Halmer in die Augen schauen. »Es gibt keinen Grund für eine Annahme, dass Ihr Sohn anders zu Tode gekommen sei als durch einen Unfall.«

      »Wie können Sie das so bestimmt sagen, obwohl Sie noch nicht einmal seine Leiche gefunden haben?«

      »Es ist die Essenz dessen, was wir durch die Befragungen sowohl Ihrer Frau als auch der Helfer vor Ort herausgefunden haben. Aber wenn wir Ihren Sohn finden, wird selbstverständlich die Beurteilung der Rechtsmedizin eine abschließende Rolle spielen.«

      Larsson dachte an einen Fall, der sich Mitte der neunziger Jahre in Berlin zugetragen hatte. Eines Morgens wurde er verständigt, dass ein junges Mädchen am Müggelsee aufgefunden worden war. Sie hatte einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, und die Ermittler waren sich sicher, dass eine natürliche Todesursache ausschied. Doch dann kam die Wendung durch die Rechtsmedizin. Der leitende Rechtsmediziner konnte nachweisen, dass die Verletzungen nicht durch einen Schlag, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Drehung einer langsam laufenden Schiffsschraube hervorgerufen worden war.

      »Werden Sie meinen Magnus überhaupt finden?«, fragte Luan Halmer.

      »Das weiß ich nicht. Niemand kann das mit letzter Sicherheit wissen. Wir haben aber vereinbart, dass wir bis zum Sonnabend weitersuchen lassen. Dann allerdings …« Larsson beendete den Satz nicht.

      »Da die Chance so gering ist, werden wir heute hier unsere Zelte abbrechen und nach Berlin zurückgefahren«, sagte Halmer.

      Larsson antwortete mit einer Verzögerung. »Es ist sicher gut, wenn Sie einen Abstand zwischen sich und den Unglücksort bringen. Ich werde Sie in jedem Fall davon verständigen, wenn sich eine Änderung in unseren Ermittlungen ergibt.«

      »Haben Sie noch Fragen an meine Frau oder an mich?«

      »Im Augenblick nicht.«

      Luan Halmer stand auf und machte seiner Frau mit einer Kopfbewegung klar, dass sie mitzukommen habe.

      Als die Halmers das Büro verlassen hatten, sagte Simons: »Ein unangenehmer Mensch, dieser Halmer.«

      »Du solltest nicht so hart urteilen, Karl. Er hat seinen Sohn verloren, also befindet er sich in einer Ausnahmesituation.«

      *

      Zwei Tage später passierte etwas Ungeheuerliches. Die inzwischen angereiste und bei der Suche eingesetzte Tauchergruppe fand anstatt des ertrunkenen Kindes einen Mann, der mit einer Harpune regelrecht an eine der Spanten linksseitig des Kiels des Fischerbootes Seefalke angenagelt worden war. Das Boot war über Nacht