George Tenner

Monet und der Tod auf der Insel


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den Feiernden zu symbolisieren.

      Darauf allerdings hatten sie verzichtet.

      Als Anastasija mit dem Tablett, dem kalten Truthahnfleisch und dem frischen Brot ins Zimmer kam, goss sich Smirnov gerade seinen zweiten Whisky ein.

      »Die SMS ist rausgegangen«, sagte er sichtlich vergnügt in Vorfreude auf das verlockende Geschäft. »Nun schauen wir, wie es weitergeht.« Er kam an den Tisch. »Endlich nicht mehr diesen süßen Brei.«

      »Kutya war dein Wunsch, Fedor Artjomowitsch«, sagte sie.

      »Was tut man nicht alles, um Gott zu gefallen!«

      Smirnovs Smartphone läutete. Es gab die Glocken der Smolny-Kathedrale in Sankt Petersburg wieder. Smirnov schaute auf das Display. »Da muss ich rangehen«, sagte er mit einem Schulterzucken. »Es ist unser Petersburger Verbindungsmann.« Er stand auf und ging ins Schlafzimmer. Anastasija hörte ihn telefonieren.

      »Ich muss noch einmal wegfahren«, sagte er. »Es wird nicht allzu lange dauern. Wir treffen uns an der Tankstelle in Usedom-Stadt. In spätestens zwei Stunden bin ich wieder hier.«

      »Heute ist Weihnachten«, protestierte Anastasija.

      Sie hörte, wie er kurze Zeit später das Haus verließ. Draußen startete der schwere amerikanische Geländewagen, der ihnen bei diesem Wetter eine sichere Fahrt bot.

      Anastasija stand auf und ging zum Fenster.

      Plötzlich drang wieder das Gebell des großen Hundes vom Bauern des Nachbarhofes an ihr Ohr.

      Дед Мороз, dachte sie, Deduschka Moros – Großväterchen Frost … und seine Enkelin Snegurotschka, das Schneeflöckchen, das ihn begleitet. Selbst für diesen Wagen ist das ein wenig zu viel Schnee. Das Väterchen hätte seine Enkelin zurückpfeifen können. Als Smirnov abgefahren war, begann sie, das Essen zurück in die Küche zu bringen.

      Von einem knirschenden Geräusch in ihrem Rücken aus ihren Gedanken gerissen, drehte sie sich um.

      3. Kapitel

      Moskau/Sankt Petersburg im Spätherbst 2005

      »Es ist eine Nachricht für uns eingegangen«, sagte Major Semjonow. Er reichte Oberst Novikov eine Mail, die aus der unmittelbaren Umgebung Smirnovs kam. Sie war von Anastasija Saizew, die der Geheimdienst auf den Mann angesetzt hatte.

      »Sie erfüllt nicht, was wir ihr aufgetragen haben«, stellte der Oberst prägnant fest. »Wir müssen sie unbedingt im Auge behalten, Jegor Antonowitsch. Ich kann keine Niederlage in dieser Angelegenheit gebrauchen.«

      Der Oberst steckte sich umständlich eine Papyrossa an.

      Diese stinkende Papyrossa. Eine Scheißgewohnheit. Früher sind die Komsomolzen damit im Ural auf dem Waldklo gesessen. Das war ungeheuer entspannend um die untere Lendenseite. Nichts mit Kaukasischer Fliege, dachte Semjonow. Aber heute? Wer so etwas raucht, der steckt auch Häuser an und schläft in fremden Betten.

      Oberst Novikov hielt ihm grinsend die Schachtel hin. »Auch eine?«

      Semjonow schüttelte den Kopf. »Danke, Sie wissen doch, dass ich nicht rauche. Das Zeug würde mich umbringen.«

      »Ein Rachenputzer.« Er kniff ein Auge zu. »Für harte Männer.«

      »Der Krebs reitet immer mit, mit jedem Zug«, protestierte Semjonow.

      »Papperlapapp, Jegor Antonowitsch. Einen Tod kann man nur sterben. Das neumodische Zeug ist parfümiert und auch nicht besser. Was gibt es sonst noch?«

      »Einen Bericht über das Verschwinden eines sehr wertvollen Schmucks in der Eremitage.«

      Oberst Novikov ließ sich den Bericht geben, der von einem Verbindungsmann angefertigt wurde, den man für das FSB verpflichtet hatte. Der Mann war nicht der einzige Informant aus der Eremitage, aber der einzige in unmittelbarer Nähe des Leiters der Abteilung mittel- und westeuropäische Kunst, Prof. Boris Iwanowitsch Wolkow.

      »Wolkow ist verantwortlich für diese Sauerei?«

      »Ich denke, ja. Man müsste ihn jetzt glatt verhaften, sofort.«

      Oberst Novikov schwieg eine Weile. Die Papyrossa war zu Ende geraucht, und er schnippte sie lässig in den Aschenbecher, bevor er antwortete: »Wir überprüfen ihn noch einmal. Finanzen, seine ganzen Kontakte et cetera. Wenn wir ihn jetzt festnehmen, warnen wir den, den wir tatsächlich haben wollen. Und außerdem gefährden wir unsere Einkäufe deutscher Impressionisten, mit denen wir gute Geschäfte machen.«

      Major Semjonow wusste nur zu gut, dass Oberst Novikov keine Einwände würde gelten lassen, und schwieg. Es war ein Glück, dass im Zuge der Geheimdienstreform 2003 die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information FAPSI auf Erlass des russischen Präsidenten Putin aufgelöst wurde. Die FAPSI-Abteilungen des Bereichs Informationsgewinnung wurden in den Inlandsgeheimdienst FSB integriert, das Regierungsfernmeldewesen unter dem Abteilungsnamen Служба специальной связи и информации, Спецсвязь России, kurz SSSI, dem Nachrichtendienst des Präsidenten FSO zugeordnet. Der SSSI – das Äquivalent zur amerikanischen NSA – hat nahezu unbegrenzte Vollmachten zum Abhören der Internet-Kommunikation. Mit dem System SORM hat der Dienst auch direkten Zugriff auf die Server der russischen ISPs. Mehrfach wurden abgeschnorchelte E-Mails und Telefonate der regierungstreuen Presse zugespielt, um Oppositionelle zu verunglimpfen. www.Vkontakte.ru, das bedeutendste soziale Netzwerk in Russland mit 200 Millionen Mitgliedern, kooperiert mit dem FSB und leitet Daten von Oppositionellen reibungslos an den Geheimdienst weiter. Und über diesen Kanal kamen nun auch alle Kontakte an, welche die Beteiligten der von seiner Abteilung geführten Operation EXPRESSION im In- und Ausland über diese Kommunikationsmöglichkeiten loswurden.

      »Dann gebe ich das jetzt an die zuständige Abteilung in Sankt Petersburg weiter«, sagte Major Semjonow leise.

      Novikov hielt beim zweiten Lesen des Berichts inne und starrte einen Augenblick nachdenklich vor sich hin. Als er sich gefangen hatte, sagte er: »Sie fliegen nach Sankt Petersburg, Semjonow, und lösen das vor Ort.«

      4. Kapitel

      24. Januar 2006

      Die Headline der Tageszeitung am Kiosk des alten Lewin stach Fedor Artjomowitsch Smirnov in die Augen, als er auf dem Karl-Liebknecht-Ring kommend kurz vor elf vor dem Haus der Escort-Agentur Les belles de Nuit in Greifswald eintraf.

      »Russische Kälte«: Deutschland friert

      Die niedrigste Temperatur im Flachland des Januars 2006 wurde am gestrigen Montag, dem 23. Januar 2006, mit -23,6 °C in Ueckermünde gemessen.

      Der Januar 2006 wurde der 20. kälteste Januar seit 1901. Die eisige Kälte hat erste Todesopfer gefordert. In Wolfen in Sachsen-Anhalt starb am Sonntagabend eine 74 Jahre alte Frau an Unterkühlung, wie die Polizei Dessau am Montag mitteilte. Die gehbehinderte Frau war auf dem Weg zum Briefkasten im Vorgarten ihres Hauses gestürzt und konnte ohne fremde Hilfe nicht mehr aufstehen.

      Auch auf Usedom wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden.

      [Weiter auf Seite 4]

      Dass es für mitteleuropäische Breitengrade sehr kalt war, hatte er schon gemerkt, als er zur Tiefgarage ging. Der globale Markt für Luxusmarkenware boomte. Also trug er einen hamsterfellgefütterten Mantel, den er in Zürich für knapp zweitausend Stutz erstanden hatte, und einen Laco-Wendeschal für 175 Euro. Er fühlte sich wohl bei dem Gedanken, auf der Seite derer zu stehen, die auf eine Goldader gestoßen waren.

      Es hatte wieder angefangen, in kleinen Flocken zu schneien. Als er den Wagen abgestellt hatte, ging er zurück bis zu dem Kiosk und erwarb die Zeitung, so, wie er es an jedem Tag zu machen pflegte, wenn er hier ins Büro ging. Lewin hatte Handschuhe an und fror in seinem kleinen Kiosk. Smirnov sah die rot gefrorene Nase des Mannes und machte einen Scherz. »Hättest zu Haus bleiben sollen bei dem Wetter. Jetzt kann