Ursula Tintelnot

FAITH


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und wandte sich dann zornig an Richard, ohne Jamal und Christian zu beachten.

      „Lässt du dich so leicht einwickeln? Mit dir kann wohl Jede machen, was sie will. Gestern Nacht hast du mich angemacht und heute knutscht du mit ihr?“

      „Ich hab dich angemacht?“

      Richards Verblüffung nahm sie gar nicht zur Kenntnis.

      Sie schaute verächtlich hinter Faith her und machte eine wegwerfende Handbewegung.

      Ja, er hatte nichts dagegen gehabt, als sie ihm in der Nacht ihre Füße auf den Schoß legte, aber unter Anmachen verstand er dann doch etwas anderes.

      Patricia kam auf ihn zu. Mit süßer Stimme sagte sie: „Sei nicht böse, ich war eben ungerecht.“ Sie sah zu ihm auf.

      „Wahrscheinlich konntest du dich nicht wehren, schließlich ist sie unsere Gastgeberin.“ Sie schlang die Arme um seine Taille und lehnte ihren Kopf Verzeihung heischend an seine Brust.

      Richard befreite sich aus dieser Umarmung und trat einen Schritt zurück.

      „Was für ein leckeres Frühstück.“

      Patricia tat so, als habe sie seine Zurückweisung nicht bemerkt.

      Sie würde Richard für sich gewinnen, bisher hatte sie noch immer bekommen, was sie wollte.

      Sie setzte sich an den Küchentisch und fragte, ob der Kaffee schon fertig sei.

      Die drei Jungs sahen sich an, Jamal zuckte ironisch bedauernd mit den Schultern.

      „Tut mir sehr leid. Wenn Madame einen Moment warten wollen?“

      Jamal spielte den Clown und ging dienernd rückwärts zur Kaffeemaschine.

      In Patricias Mine war deutlich die Verachtung zu sehen, die sie ihrem dunkelhäutigen Klassenkameraden entgegenbrachte.

      Wolle pinkelt neben den Kamin

      Faith floh ins Kaminzimmer. Es roch süßlich nach kalter Asche. Das Feuer war längst ausgegangen. Im Kamin lagen nur noch verkohlte Reste.

      Lisa stand zitternd, die Arme um ihren Oberkörper geschlungen, draußen vor der Terrassentür und redete mit dem Welpen, der versuchte, an ihr emporzuklettern. Offenbar hatte er nicht die mindeste Lust, seinen kleinen Hintern in den Schnee zu halten um sein Geschäft zu verrichten. Als Faith die nur angelehnte Tür ganz öffnete, raste der kleine Hund an ihr vorbei in den Raum. „Nein, nicht!“ Lisa rannte hinter ihm her, aber es war zu spät.

      In der noch warmen Ecke neben dem Kamin blieb Wolle stehen und fabrizierte einen Riesensee.

      Schwanzwedelnd tapste das Hündchen auf die Mädchen zu, legte sich auf den Rücken und streckte ihnen die viel zu großen feuchten Pfoten entgegen.

      Lisa und Faith mussten lachen, sie konnten dem kleinen Schlauberger nicht böse sein.

      „Hast du Robert gesehen?“

      Faith rief Lisa hinterher, die schon auf dem Weg in die Küche war, um Eimer und Wischlappen zu holen.

      „Nein, heute Morgen noch nicht.“

      Faith versuchte sich zu erinnern, wann sie selbst ihren Vater zuletzt gesehen hatte.

      Es musste weit nach Mitternacht gewesen sein, als sie ihn mit Richard unter dem Vordach vor der Küchentür hatte reden sehen.

      Sie sah sich um, auch hier hatten Christian und Jamal offenbar schon aufgeräumt. Vor der Glastür waren nur die Spuren von Lisas vergeblichen Bemühungen mit Wolle zu sehen.

      Draußen schien der Sturm ein wenig nachzulassen, war weniger laut, aber es kam immer noch reichlich Schnee von oben. Faith ging zur Haustür und versuchte etwas zu erkennen. Sie konnte die Umrisse des alten Geländewagens ihres Vaters nur ahnen.

      Also musste er sich irgendwo im Haus aufhalten. In der Küche fand sie all ihre Freunde, aber keine Spur von Robert. Keiner von ihnen hatte ihn im Haus gesehen.

      Langsam wurde sie unruhig. Sie nahm zwei Stufen auf einmal, als sie die breite, gewundene Treppe hochjagte. Sie riss alle Türen auf in dem schier endlosen Flur. „Vater?“

      Sie sah noch einmal in sein Zimmer.

      Aber von ihrem Vater keine Spur.

      Faith war verzweifelt. Konnte es sein, dass Robert etwas zugestoßen war?

      Sie dachte an das, was er ihr über ihre Herkunft und die Gefahr in der sie schwebte, erzählt hatte. Hatte Leathan ihren Vater gefunden?

      Aber warum ihn und nicht sie selbst?

      War es möglich, dass er, indem er Robert entführte, auch sie zu sich locken wollte?

      Dass er sie beide als Lockvögel benutzen wollte, um Magalie in seinen Besitz zu bringen?

      Faith war so verwirrt, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Sie musste mit jemandem reden. Aber wem sollte sie sich anvertrauen? Wenn sie die Geschichte, die Robert ihr erzählt hatte, einem ihrer Freunde erzählte, würde der sie garantiert für verrückt erklären.

      Langsam ging sie den Flur entlang. Sie sah plötzlich die abgeblätterte Farbe und dachte daran, dass Robert und sie sich für das neue Jahr vorgenommen hatten, die Wände zu streichen.

      Faith hielt sich an dem glatt polierten hölzernen Handlauf der Treppe fest, während sie langsam Stufe für Stufe nach unten ging.

      Aus der Küche schallte ihr fröhlicher Lärm entgegen.

      Der ausgelassene Lärm verstärkte sich, als sie sich der Küchentür näherte.

      Sie riss die Tür auf und alle Köpfe fuhren erschrocken zu ihr herum, die Gespräche verstummten.

      „Mein Vater ist weg.“ Faiths Stimme klang gepresst, wie von unterdrücktem Schluchzen.

      „Wie, weg?“

      Lisa fasste sich als Erste. Sie ging auf Faith zu und legte den Arm um sie.

      „Ich habe ihn überall gesucht, ich konnte ihn nirgends finden.“

      „Das gibt’s doch nicht, kein Mensch geht bei diesem Wetter nach draußen. Ist sein Auto da?“

      Die Frage kam von Adam, der immer schnell und effizient dachte.

      „Hast du wirklich überall nachgesehen?“

      Faith nickte unglücklich.

      „Wir werden alle noch einmal nachsehen, jetzt sofort, danach treffen wir uns wieder hier.“

      „Inzwischen sollte jeder von euch darüber nachdenken, wann er Robert zuletzt gesehen hat“, nuschelte Paul mit vollem Mund.

      Richard zögerte kurz, als er an Faith vorbeiging, die immer noch in der Küchentür stand.

      „Richard.“ Sie hielt ihn am Arm zurück.

      „Ich habe meinen Vater zuletzt gestern Nacht, lange nach Mitternacht, gesehen. Er stand mit dir zusammen vor der Küche beim Grill. Du hattest ein Glas Wein in der Hand.“

      Faith schwieg und sah Richard fragend an.

      Er blickte an ihr vorbei und schien nachzudenken.

      Robert ist verschwunden

      Richard hatte das Rauschen inmitten des Sturms gehört, den dunklen Wirbel im hellen Schnee gesehen und gehofft, sich geirrt zu haben.

      Nachdem er mit dem leeren Glas die Küche wieder betreten hatte, war Robert nicht mehr bei ihm gewesen.

      Er musste zugeben, dass er gestern Nacht mehr getrunken hatte, als ihm guttat.

      Richard wusste jetzt, dass er das, was draußen im Schnee