Ursula Tintelnot

FAITH


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Nur Noah tanzte noch immer engumschlungen mit Lena, nach einer Musik, die nur die beiden hörten.

      Die anderen lagerten um den Kamin herum und führten leise Gespräche. Lisa saß mit dem Wollknäuel auf dem Schoß in Roberts Ohrensessel und kraulte, während sie gedankenverloren in die Flammen sah, seine Plüschohren. Sie fühlte den Blick von Ben mehr als sie ihn sah, denn einzig das Kaminfeuer und wenige, fast heruntergebrannte Kerzen erhellten den Raum.

      Ben saß auf dem Sofa neben Patricia, die den Kopf an seine Schulter gelegt hatte und dabei aus halb geschlossenen Augen Richard ansah.

      Sie hatte den gespannten Blick einer Raubkatze, die ihr Opfer fixiert. Und während sie deutlich zeigte, dass Ben ihr gehörte, machte sie eindeutig Richard an. Lisa erwiderte Bens Lächeln, das er ihr über Patricias Kopf hinwegschickte.

      Viktor und Valerie hockten mit Faith auf der langen gepolsterten Fußbank vor dem Kamin. Valerie trug einen nachtblauen, von Goldfäden durchzogenen Sari, der ihre schlanke Gestalt wunderbar zur Geltung brachte. Sie sah aus wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht.

      Wie immer war sie in Begleitung ihres Zwillingsbruders und ihres Freundes Bruno erschienen. Bruno und Valerie saßen Hand in Hand, und Bruno verschlang seine schöne Freundin mit den Augen.

      Für Patricia war dieses äußerlich so unterschiedliche Paar Anlass zu hämischen Bemerkungen.

      Bruno war einen halben Kopf kleiner als Valerie. Eine viel zu große Brille drohte ständig von seiner Nase zu rutschen und teilte sein freundliches Gesicht in eine obere und eine untere Hälfte.

      Sein Vater war „nur“ Fuhrunternehmer im Dorf.

      Bruno lebte nicht im Internat. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen hatte er, allerdings nur für die Schule, ein Stipendium bekommen.

      Viktor und Faith unterhielten sich leise über die Köpfe der beiden hinweg.

      „Er ist“, sagte Faith gerade, „der Schönste, den ich je gesehen habe.“

      Lisas Aufmerksamkeit war geweckt.

      „Ihn zu halten und seine Perfektion zu spüren …“ Faith unterbrach sich nachdenklich um die richtigen Worte zu finden.

      „Er liegt einfach herrlich leicht am Körper. Wir könnten ihn morgen mal zusammen ausprobieren. Ihn zu spannen und den Pfeil anzulegen ist einfach sensationell.“

      Lisa atmete langsam aus. Faith sprach von dem neuen Bogen, den sie von ihrem Vater zum Geburtstag bekommen hatte, nicht etwa von einem neuen Freund, von dem ausgerechnet sie, Lisa, nichts wusste.

      Adam lag dekorativ quer auf dem dicken Teppich vor dem Kamin.

      Er hatte seinen Kopf auf Laras Schoß gelegt. Lara strich sanft mit den Fingern über seine Augenbrauen und den Nasenrücken, um dann seine Lippen zu berühren. Adam schnappte zärtlich zu und hielt ihre Finger einen Augenblick lang mit den Zähnen fest.

      „Lass los!“ Sie lachte auf ihn hinunter und fuhr mit der freien Hand durch seinen gepflegten, blonden Schopf.

      Christian und Jamal saßen Rücken an Rücken vor der großen Terrassentür und blickten in den immer stärker werdenden Schneesturm.

      „Wenn das so weitergeht, werden wir auch morgen noch hierbleiben müssen“, meinte Jamal zufrieden.

      Keiner der beiden hatte es besonders eilig, ins Internat zurückzukehren, zumal der Unterricht erst in fünf Tagen wieder beginnen würde.

      In Roberts Haus konnte man sich wohlfühlen, es war groß genug für sie alle. Das Letzte, das Lisa wahrnahm, bevor sie in ihrem Sessel einschlief, war Patricia, die ihre zierlichen Füße auf Richards Schoß packte.

      Faith erwachte spät.

      Im Haus herrschte nach dem Trubel der Silvesternacht eine beinahe überirdische Stille. Alles schien noch zu schlafen. Sie blickte hinüber zu Lisas Bett, aber Lisa war nicht da.

      Gestern Nacht, eigentlich war es schon Morgen gewesen, denn die Dämmerung hatte bereits begonnen, die Dunkelheit zu vertreiben, hatte sie Lisa fest schlafend in ihrem Sessel gefunden.

      Sie hielt den ebenfalls schlafenden Welpen in den Armen und gab unwirsche Laute von sich, als Faith versucht hatte, sie zu wecken.

      Also hatte sie Lisa und das Hündchen zugedeckt und die beiden weiter schlafen lassen.

      Gegen sechs Uhr morgens hatten Christian und Jamal ihre Isomatten ausgerollt und waren in ihre Schlafsäcke gekrochen.

      Draußen klebte der Schnee, vom Sturm getrieben, an den Fenstern wie eine weiße undurchsichtige Wand aus Watte.

      Faith hatte ihren müden Gästen die verschiedenen Zimmer gezeigt und war dann, bereits im Halbschlaf, in ihr eigenes gegangen.

      Sie drehte den Kopf zum Fenster.

      Da ihr Zimmer im ersten Stock lag, konnte es nicht sein, dass der Schnee sich bis zu ihrem Fenster türmte. Dennoch sah sie außer Weiß vor den Fenstern nichts.

      Der Schneesturm hielt mit unverminderter Kraft an und hielt das Haus fest in seiner eiskalten Umarmung.

      Im Geiste ging sie die Vorräte in der Küche durch. Sie würden eine Weile reichen.

      Holz für den gesamten Winter war an der Rückwand des Hauses aufgestapelt. Solange die Wasserrohre nicht einfroren, hätten sie auch genügend Wasser. Im Notfall würden sie Schnee schmelzen.

      Faith zog ihr wärmstes T-Shirt über den Schlafanzug.

      Von Robert, an dessen Schlafzimmer sie vorbeiging, hörte sie nichts, nicht einmal sein sanftes Schnurcheln drang wie sonst durch die nur angelehnte Tür.

      Der Kuss

      Roberts Bett sah aus wie immer, ungemacht.

      Konnte es sein, dass er schon nach unten gegangen war? Leicht beunruhigt ging Faith die Treppe hinunter. Sie spreizte die Finger ihrer linken Hand und betrachtete den Ring auf ihrem Mittelfinger.

      In der Küche fand sie Jamal und Christian. Beide trugen nur Boxershorts und sortierten Geschirr und Besteck in Schränke und Schubladen. Im Herd brannte bereits ein Feuer. Eine knisternde, angenehme Wärme umfing sie.

      Das Chaos von gestern war verschwunden. Die Küche sah so ordentlich aus wie nie.

      Faith riss die Augen auf, als auch noch Richard mit einem großen Tablett in den Händen aus der Speisekammer trat.

      Auf dem Tablett stand alles, was man für ein ordentliches Frühstück brauchte.

      Er setzte es auf dem Küchentisch ab und stellte Marmeladengläser, Honig, das Brett mit dem Käse und dem Schinken in die Mitte des Tisches.

      „Bitte“, sagte sie, „weckt mich nicht auf, ich träume gerade so schön.“

      Sie streckte die Arme aus, schloss die Augen und tat so, als ob sie schlafwandelte.

      Sie tappte blind weiter in die Küche hinein, wo sie in Richards Armen landete, der sie heftig umarmte und mitten auf den Mund küsste.

      Jamal und Christian grinsten wie zwei Honigkuchenpferde, während Faith sich mit hochrotem Gesicht aus Richards Armen löste.

      „Stör ich?“ Patricias Stimme zerschnitt die Stille wie ein Peitschenhieb.

      Faith stürzte an ihr vorbei, ohne sie einer Antwort zu würdigen.

      Sie spürte noch den Kuss auf ihren Lippen, dachte an den kühlen, sauberen Duft in Richards Armen.

      Ja, gestand sie sich ein, sie hatte es genossen, von ihm geküsst und festgehalten zu werden.

      Feenkamine

      Robert kam langsam zu sich. Seine Lider waren geschwollen und lagen