Ursula Tintelnot

FAITH


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hätte sich gern öfter in der Schmiede aufgehalten. Er war fasziniert von der Kunstfertigkeit der Artisanen und bewunderte das Geschick, mit dem sie kostbarste Steine und Metalle in phantastische Schmuckstücke verwandelten.

      Eisen oder Gold, in ihren Händen erwachte Metall zum Leben und schien zu wachsen, ja sich selbst zu erfinden.

      Die seltsamsten Formen nahmen wie von Zauberhand Gestalt an. Kaum berührt, erwuchsen aus den unförmigsten Klumpen, aus scheinbar toter Materie, lebendig scheinende Wunder aus Blüten, Blättern oder Tierkörpern, Motive aus Flora und Fauna, die sich miteinander verbanden, sich zu Geschmeide oder Gebrauchsgegenständen zusammenfanden.

      Kein Stück glich dem anderen.

      Jedes dieser Kunstwerke war ein Unikat, nur für einen einzigen Besitzer gedacht.

      Niemals würde ein Artisan, der seine Aufgabe ernst nahm, ein genau gleiches Kunstwerk noch einmal herstellen.

      Den Männern und Frauen der Artisanen stand das Glück, mit einer solchen Begabung gesegnet zu sein, ins Gesicht geschrieben.

      Aus ihren dunklen Gesichtern leuchteten strahlende Augen. Die breiten Lippen waren ständig bereit, sich zum Lachen zu öffnen. Sie genossen es, über ihre Arbeit zu sprechen.

      So wie Robert nie müde wurde, ihnen zuzuschauen und sie zu befragen, so wurde es ihnen nie zu viel, ihm zu antworten, mit ihm über ihre Kunst zu reden.

      Der Stamm strotzte vor Selbstvertrauen und Zuversicht in das eigene Können.

      Sie liebten ihre Kinder und zogen sie auf in dem Wissen, dass auch in ihnen eines Tages die Begeisterung für das geniale Handwerk ihrer Mütter und Väter erwachen würde.

      Schon die ganz Kleinen gingen mit Feuer so selbstverständlich um, wie andere Kinder mit ihrem hölzernen Spielzeug.

      Selten gab es Brandwunden. Die Artisanen waren von Kindheit an erstaunlich unempfindlich gegen die Hitze des Feuers.

      Sollten das hier die glücklichen Geschöpfe sein, die er aus Magalies Lichtem Reich kannte?

      Er schaute in ihre elenden, ausgelaugten Gesichter, aus denen tiefe Resignation sprach.

      Da traf ihn der Blick eines einzelnen Artisanen.

      Und Robert erkannte ihn sofort. „Florus“, dachte er erschrocken.

      Florus war einer der Jüngeren gewesen und er war mit besonderer Begabung ausgestattet. Florus war einer der Besten.

      Robert hatte ihm oft zugesehen und dabei das Gefühl gehabt, einen Zauberer bei der Arbeit zu beobachten.

      Florus senkte sofort den Blick und der Moment war vorbei, bevor Leathan misstrauisch werden konnte.

      Dunkler Engel

      Robert sah Leathan an, der wie ein dunkler Engel vor ihm stand. Ein schöner und gefährlicher Engel.

      Er ahnte nicht, dass seine Tochter Richard mit genau diesen Worten beschrieben hatte, als er das erste Mal im Klassenzimmer auftauchte.

      Leathan jedoch fehlte der helle Glanz, der Richard zu umgeben schien. „Du kannst gehen, wohin du willst, nur solltest du wissen, es gibt keine Möglichkeit zur Flucht.“ Er fügte zornig und drohend hinzu: „Magalie wird dich nicht noch einmal retten können!“ Magalie hatte damals in Irland nicht nur Robert, sondern auch ihre Tochter Leathans Zugriff entzogen.

      Leathan vergaß niemals eine Niederlage und Robert dachte daran, wie er mit Magalies Hilfe sich und Faith in die reale Welt hatte hinüberretten können.

      Damals hatte Magalie die beiden unterbelichteten Trolle, die ihn bewachen sollten, auf den falschen Weg geführt.

      Sie hatte ihn in ihren schneeweißen Felsendom entführt. Während dessen Mauern sich ihm geöffnet hatten, um ihn unbeschadet hindurchzulassen, waren die beiden hässlichen Bewacher an der Außenwand zerschellt. Nichts blieb übrig von den Toten der Anderswelt.

      Glitzernder Staub im Wind.

      Bei Leathan allerdings wäre die Strafe für das Versagen seiner Helfer weitaus härter ausgefallen. Er hätte die beiden mit Sicherheit noch gequält, bevor er sie getötet hätte. Leathan labte sich an den Qualen anderer und kannte keine Gnade, wenn seine Befehle nicht befolgt wurden. Seine Lust an Zerstörung kannte keine Grenzen.

      Leathans Drohung

      „Durch dich“, unterbrach Leathan Roberts Gedanken, „werde ich eines Tages Magalie besitzen. Sollte sie versuchen, dir hierher zu folgen, wird es kein Entkommen mehr für sie geben.“ Gehässig betrachtete Leathan sein Gegenüber.

      Er konnte keine Ruhe finden bei dem Gedanken, dass Magalie diesem Sterblichen vor ihm selbst den Vorzug gab.

      „Robert war genau so groß wie er selbst, aber“, dachte Leathan, „trotz der Attraktivität, die er zweifellos besaß, konnte er es niemals mit der unirdischen Schönheit des Dunkelalben aufnehmen“.

      Was also mochte Magalie an ihm so anziehend finden, dass sie diesen Fremden, der nicht einmal ihrem eigenen Volk angehörte, ihm, Leathan, vorzog.

      Er konnte sich nicht vorstellen, dass es über Macht, Reichtum und Schönheit hinaus noch etwas gab, das eine Frau wie Magalie sich von einem Mann wünschen könnte.

      Bevor Robert etwas entgegnen konnte, gab der Dunkelalb seinen Wölfen, die sich wieder um ihn geschart hatten, ein Zeichen. Die Tiere setzten sich fast panisch in Bewegung, um die obersten Spitzen der Felsnadeln zu erreichen.

      Stumm wandten sich die Artisanen ab, um in den Höhleneingängen zu verschwinden.

      Robert suchte Florus in der Menge und sah, wie er, den Arm um die Schultern eines Jungen gelegt, im Dunkel einer Höhle untertauchte.

      Kurz bevor er gar nicht mehr zu sehen war, wandte er sich um und neigte leicht den Kopf. Robert war sicher, dass auch Florus ihn wiedererkannt hatte.

      Im Ohr hatte er noch das grässliche schadenfrohe Gelächter Leathans, der sich im üblichen Strudel aus grauschwarzem Nebel auflöste.

      Fragen

      Eine Sekunde später klammerte er sich, nach einem Sprung über die untersten Stufen der Felsnadel vor ihm, an das Geländer der ersten Brücke.

      Unter ihm rollte eine braune, undurchsichtige Woge weiter ansteigenden Wassers, das die Fundamente der Felsen umspülte und mit gewaltigem Tosen, das jedes andere Geräusch erstickte, den glitschigen Steinboden unter sich begrub.

      War das Wasser die Erklärung für die Brücken, die es möglich machten, sich fortzubewegen, ohne die Felsen zu verlassen? Wie oft kam das Wasser? Kam es regelmäßig oder überraschend?

      Tausend Fragen gingen Robert durch den Kopf.

      Das Wasser schwoll nicht weiter an, aber es war doch tief genug, um in seinem strudelnden Sog umzukommen. Von den Artisanen war nichts mehr zu sehen, die Wölfe waren über die oberen Brücken hinweg verschwunden.

      Robert sah sich um. Er war allein.

      Unter ihm gurgelten die schmutzigbraunen Wassermassen, über ihm drohten die hochaufragenden Felsspitzen. Darüber spannte sich ein farbloser Himmel.

      Er konnte sich nichts Traurigeres vorstellen als das Bild, das er in diesem Moment vor Augen hatte.

      Er ließ das Geländer, an das er sich immer noch klammerte, los.

      Langsam stieg er die steinernen Stufen hoch. Er wollte die Höhlen von innen sehen und hoffte, dass deren unterdrückte Bewohner sich wie Florus an ihn erinnerten und ihm nach wie vor freundlich gesinnt waren. Wie waren die Artisanen überhaupt in Leathans Gewalt geraten?