Ursula Tintelnot

FAITH


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      Robert in Gefahr

      Die Feiertage waren wunderbar gewesen, außer der Tatsache, dass Faith während der gesamten Zeit mit der neuen CD von Leonard Cohen lautstark das ganze Haus beschallte, während Robert versuchte, Cohen mit Arien von Händel zu übertönen.

      Sie waren mit dem Schlitten unterwegs gewesen, hatten Schneeballschlachten veranstaltet und Robert mit Schnee eingeseift, bis sie vor Lachen zusammenbrachen. Den Rest der Zeit hatten sie lesend, Karten spielend und redend vor dem flackernden Feuer am Kamin verbracht. Die Kekse, die Lisa gebacken hatte, waren längst aufgegessen.

      Einen Tag vor Faiths siebzehnten Geburtstag hatte Robert den alten Grill unter dem hölzernen Vordach am Kücheneingang des Hauses aufgebaut. So konnte Faith draußen mit ihren Gästen grillen und, wenn es zu kalt werden würde, in der geräumigen Küche essen.

      Jetzt war er unterwegs, um seine Bestellungen beim Schlachter abzuholen.

      Fast drohend, wie schwarze Skelette, hoben sich die froststarren Äste der laublosen Bäume links und rechts der Straße in den tief hängenden Himmel. Eine ganz blasse Mondsichel, fast durchsichtig, hing am dunkler werdenden Himmel, dessen graue Kuppel schwer vom Schnee war. Jeden Moment, so schien es, konnte sie sich öffnen.

      Robert hoffte, er würde es noch nach Hause schaffen, bevor die Schneelast von oben den Waldweg unbefahrbar machte.

      Es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Ihn beschlich ein Unbehagen, das Furcht sehr nahe kam.

      Der Ring, den er Faith heute um Mitternacht geben würde, brannte in seiner Tasche.

      Seit Magalie ihm den magischen Schmuck gegeben hatte, hatte er sich nicht mehr von ihm getrennt.

      Er wusste, dass die Magie des Ringes sehr wichtig für seine Tochter werden konnte.

      Jetzt fing es wieder leise an zu schneien. Er trat auf das Gaspedal. Fast hätte er sich wieder quergestellt. Erschrocken nahm er den Fuß vom Pedal. Es wurde immer dunkler, das Schneegestöber dichter.

      Plötzlich sah Robert zwei violette Lichter durch den Schnee geistern und hörte eine betörende Weise, Töne, die ihn beinahe willenlos machten. Er hielt an. Ohne, dass es ihm bewusst war, stieg er aus, um dieser süßen Melodie zu folgen. Der glitzernde Schnee blendete ihn. Vorsichtig und wie gebannt setzte er dennoch Schritt vor Schritt.

      „Was ist los?“

      Eine tiefe Stimme zerriss den Zauber und brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Die lockende Melodie zerfiel wie klirrendes Glas.

      Die violetten Lichter waren verschwunden. Robert hörte nur noch den laufenden Motor des Wagens, der hinter seinem eigenen zum Stehen gekommen war.

      „Ist etwas mit ihrem Wagen, können wir helfen?“

      Die kräftige Stimme gehörte einem schwergewichtigen Mann, der inzwischen ausgestiegen war und in Begleitung zweier junger Männer auf ihn zukam.

      „Nein danke.“ Verwirrt blickte Robert die drei an und erkannte Christian und Jamal.

      „Sie müssen Christians Vater sein. Es ist alles in Ordnung.

      Ich dachte ich hätte auf dem Weg etwas gesehen und wollte mich vergewissern, dass ich gefahrlos weiterfahren kann“, log er.

      „Bei dem Schneetreiben ist ja kaum noch etwas zu erkennen, deswegen bringe ich Ihnen die Burschen schon jetzt“, erwiderte Christians Vater Hugo, nachdem er sich Robert vorgestellt hatte.

      „Wie gut, dass Sie Platz haben, die ganze Bande in ihrem Haus übernachten zu lassen, später wird gar kein Durchkommen mehr sein.“

      Christian unterbrach seinen Vater: „Jamal und ich könnten doch gleich mit Robert weiterfahren. Dann kannst du in den Gasthof zurückkehren, bevor der Weg unbefahrbar wird. Und denk dran, Gaby macht die besten Rouladen mit Bratkartoffeln, die du je gegessen hast.“

      „Gute Idee, dann schnappt euch eure Schlafsäcke. Und vergesst die Geschenke nicht!“

      Nach herzlichen Umarmungen und heftigem Schulterklopfen fuhren Christian und Jamal mit Robert weiter, während Christians Vater, dessen Augen verdächtig feucht schimmerten, umkehrte, um im Dorf zu übernachten.

      Unruhe

      Die beiden Mädchen hatten, während Robert das Grillfleisch bei Peter Hack aus dem Dorf abholte, ein köstliches kaltes Buffet gezaubert. Faith war unruhig. Sie dachte an Robert und erschauerte, als sie an die letzte Fahrt mit ihm dachte. Erleichtert hörte sie gleich darauf sein altes Gefährt keuchend auf dem gepflasterten Hof vor dem Haus.

      Christian und Jamal halfen Robert beim Feuermachen, um später genug Glut zum Grillen da zu haben. Draußen wurde es jetzt sehr schnell richtig dunkel, dennoch trafen die Freunde trotz des zunehmenden Schneetreibens und der Dunkelheit pünktlich ein.

      Alle außer Richard, mit dessen Kommen Faith kaum noch rechnete.

      Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky hatte den kleinen Schulbus zur Verfügung gestellt und so waren alle zur gleichen Zeit und sicher erschienen. Faith hob bei jedem Türklappen unruhig den Kopf. War Richard doch noch gekommen?

      Sie ärgerte sich über ihre Unruhe und die kaum eingestandene Erwartung, Richard heute noch zu sehen. Auf der anderen Seite wünschte sie sich, dass er gar nicht käme. Seine Anwesenheit würde den Abend nur unnötig kompliziert gestalten. Er war so undurchschaubar. Genauso wie ihre Gefühle ihm gegenüber.

      Dennoch musste sie immerzu an ihn denken und gab sich Mühe, die anderen ihre Unruhe nicht merken zu lassen. Bis auf Lisa ließen sich alle täuschen.

      „Alles klar?“, flüsterte Lisa ihr im Vorbeigehen zu und eilte, ohne auf Antwort zu warten, mit einem großen Tablett voller marinierter Fleischstücke durch die offen stehende Küchentür.

      Ein ungebetener Gast

      Gerade in dem Moment hörte man vor der Eingangstür das satte Geräusch eines schweren Motors.

      Draußen stand der schwarze Maybach. Ein dunkler Koloss. Ihm entstiegen Patricia, Ben und Richard.

      Der Wagen verschwand gleich darauf wie ein Schatten leise in der Nacht.

      Robert führte die drei Neuankömmlinge durch die Eingangshalle direkt in die Küche und von dort wieder hinaus in die Kälte, wo sie von den Freunden verblüfft und ein bisschen ungläubig begrüßt wurden.

      Richard begrüßte zuerst Faith: „Danke für die Einladung, ich habe Patricia und Ben mitgebracht. Du hattest mir erlaubt, jemanden mitzubringen.“

      „Natürlich, wie nett“, stotterte Faith.

      Sie hatte gelernt, dass Gastfreundschaft etwas sehr Wichtiges ist und verhielt sich mustergültig höflich.

      Faith dachte darüber nach, dass Richard erst sehr kurz im Internat war und bestimmt noch keine Gelegenheit gehabt hatte, Freunde zu gewinnen. Also nahm er die beiden mit, die er am besten kannte. Das war ja zu verstehen. Er hatte sicher noch nicht feststellen können, wer mit wem befreundet war oder eben auch nicht.

      Patricia flüsterte Ben etwas zu, der daraufhin aus der Tasche seines Parkas ein Päckchen holte, das er Patricia gab. Sie trat zu Faith und überreichte ihr das in goldene Papier eingewickelte Geschenk, das Faith dankend entgegen nahm.

      „Ich lege es auf meinen Geburtstagstisch zu den anderen Geschenken. Ich bin wirklich genau um Mitternacht geboren, erst dann kann ich Glückwünsche annehmen und Geschenke auspacken. Bei dem Punkt bin ich tatsächlich richtig abergläubisch.“

      Damit ging sie, um das kleine Paket in das Kaminzimmer zu bringen. Sie war neugierig zu sehen, was Ben und Patricia für sie ausgesucht hatten. Aber sie würde warten müssen.