Ursula Tintelnot

FAITH


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immer wo wir waren, nur …“

      „Was nur?“, drängte Faith.

      „Die Prophezeiung sagt noch etwas.“

      „Und was ist das?“

      Robert zögerte.

      „Sag es mir, ich kann alles ertragen, nur nicht mehr diese Ungewissheit“, forderte Faith ihren Vater auf.

      „Die Voraussage beinhaltet eine Bedingung.“ „Und die wäre?“ „Diese Prophezeiung kann sich erst mit deinem siebzehnten Geburtstag erfüllen.“ „Das heißt?“

      „Das heißt“, erklärte Robert, „von deinem siebzehnten Geburtstag an bist du in größerer Gefahr als jemals zuvor.“

      Faith ließ sich zurück auf das Sofa fallen und schloss die Augen.

      „Ich kann nicht glauben, was Robert mir erzählt hat“, dachte sie. Aber die Vorgänge der letzten Tage waren so merkwürdig und beängstigend gewesen, dass sie allen Grund hatte, über diese Dinge nachzudenken.

      Ihr Vater hatte ihr niemals Anlass gegeben, an dem, was er sagte, zu zweifeln. Warum sollte er das jetzt tun?

      Endlich drehte ihr Vater sich zu ihr um und sah sie forschend an.

      „Glaub mir, Faith, ich sage dir die Wahrheit, und ich ahne, wie schwer es dir fällt, mir zu glauben.“

      Es war wie eine Antwort auf ihre Gedanken.

      „Was können wir tun?“

      Faiths Stimme klang klein und mutlos, wie die eines verängstigten Kindes.

      Robert setzte sich zu ihr und nahm sie zärtlich in die Arme.

      „Mir wird etwas einfallen, ganz bestimmt.“

      Faith bemerkte die leichte Unsicherheit in seiner Stimme, aber sie tat, als ob sie ihm glaubte.

      Es würde ihm nicht helfen, wenn er wüsste, wie groß ihre Angst wirklich war.

      Dieser Nachmittag, von der wütenden Gewalt da draußen im Auto eingeschlossen, hatte ihr mehr zugesetzt, als sie zugeben wollte.

      Faith war nie ein besonders ängstliches Mädchen gewesen. Ihr Vater hatte sie durch seine Liebe und sein Vertrauen zu einem mutigen Menschen gemacht.

      Durch die vielen Reisen mit ihm hatte sie eine für ihr Alter ungewöhnliche Sicherheit erworben.

      Sie war so selbstständig, dass Robert sich manchmal wünschte, sie wäre noch sein kleines Mädchen.

      Oft hatte er das Gefühl, dass sie ihn gar nicht mehr brauchte und kam sich ein wenig überflüssig vor.

      Andererseits wusste er, dass gerade Faiths natürliche Selbstsicherheit sie so anziehend für ihre Umgebung machte.

      Sie war unkompliziert, fröhlich und frei von Vorurteilen. Jedem Menschen, dem sie begegnete, brachte sie Respekt entgegen. So etwas wie Misstrauen lag ihr völlig fern.

      „Aber gerade diese Eigenschaften“, dachte Robert, „könnten seine Tochter auch gefährden.“

      Andererseits kannte er ihre gute Menschenkenntnis und hoffte, dass diese ihr helfen würde, der Gefahr auszuweichen oder zu trotzen, der sie sich vielleicht irgendwann einmal würde stellen müssen.

      Faith versuchte, nicht mehr an die beängstigenden Ereignisse des Tages zu denken.

      Sie war früh zu Bett gegangen, in der Hoffnung, dass der Schlaf ihr die notwendige Ruhe bringen würde.

      Aber dem war nicht so.

      Sie hörte ihren Vater unruhig im Kaminzimmer hin- und hergehen. Die Zuversicht, die er versucht hatte ihr zu vermitteln, war wohl doch nicht so groß.

      Freunde

      Faith zwang sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken und malte sich ihren Geburtstag aus.

      Sie dachte an ihre Freunde. Indem sie sich jeden ihrer Freunde vorstellte, gelang es ihr allmählich, die dramatischen Ereignisse des Tages in den Hintergrund zu drängen.

      Sie dachte an Lara, Lena und Laura, die drei Kichererbsen. Sie dachte an Noah, Paul und Adam, die wie Kometen um die drei Mädchen kreisten, und musste lächeln.

      Die Zwillinge Valerie und Viktor fielen ihr ein.

      Die musste sie noch einladen. Gestern waren sie nicht in der Schule gewesen, weil die beiden sich bei einem Sturz vom Schlitten jeweils das linke Handgelenk verstaucht hatten. Wenn Viktor Schnupfen hatte, bekam ihn zur gleichen Zeit auch Valerie. Musste Valerie wegen einer Blindarmenzündung ins Krankenhaus, ging Viktor mit den gleichen Beschwerden dorthin.

      Alles passierte den beiden zur gleichen Zeit, egal, ob es sich um Kopfschmerzen oder Beinbrüche handelte.

      Die Geschwister hatten eine indische Mutter und einen deutschen Vater. Mit den dunklen Augen und ihrer getönten Haut sahen sie aus wie wunderschöne Märchenfiguren. Bei Valerie wurde dies zusätzlich durch die hellen Saris unterstützt, die sie in der Schule trug.

      Viktors traditionelle Kleidung (weite, weiße Hose mit Tunika) trug er nur im Sommer, damit sah er allerdings unwiderstehlich exotisch aus.

      Christian und Jamal würden natürlich kommen. Wenn es etwas zu feiern gab, waren die beiden immer dabei und verbreiteten gute Laune. Beide tanzten für ihr Leben gerne und standen niemals, wie so viele der anderen Jungs, am Rande des Geschehens herum. Mit Jamal, Christians Freund, zu tanzen, war ein absolutes Vergnügen.

      Er schien das Rhythmus-Gefühl seines ganzen Kontinents im Blut zu haben. Seine Bewegungen glichen denen eines Panthers und seine Haut schimmerte fast so dunkel wie das Fell dieser eleganten Katzen.

      Noah betete Christian an, dieser verfressene Kerl liebte die Wurstpakete, die Christian monatlich von seinem Vater erhielt, und er wusste genau, wie freigiebig Christian davon abgab.

      Weißwürste, Fleischwurstringe und Leberkäse wetteiferten damit, das Paketpapier schon vor der Ankunft im Internat gründlich einzufetten.

      Man roch es bereits in der Halle, wenn Christians Vater, der eine Großschlachterei in München besaß, wieder ein Paket hatte schicken lassen.

      Der Briefwechsel, den die Direktorin sich mit Christians Vater geliefert hatte, füllte Bände.

      Höflich, aber bestimmt wies Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky den Schlachter aus München darauf hin, dass es im Internat den Kindern an nichts mangelte und das Essen nicht nur ausreichend, sondern obendrein wohlschmeckend und gesund sei.

      Aber Christians Vater war ein Sturkopf und hatte keineswegs die Absicht, seinen über alles geliebten Sohn im Internat „verhungern“ zu lassen, wie er sich ausdrückte.

      Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky gab erst auf, als Christians Vater begann, sie mit köstlichsten Pasteten zu bedenken, die er jeweils mit gleicher Post an sie schicken ließ. Die Direktorin konnte allem, nur keiner dieser exzellenten Pasteten widerstehen. Wer ihm das gesteckt hatte, blieb im Dunkeln.

      Schule schwänzen

      Als Faith erwachte, war es bereits hell und die Sonne schien. Der Himmel trug dieses gläserne, intensive Blau, das es nur im Winter gab. Mit einem Sprung war sie aus dem Bett und rannte hinunter in die Küche, wo ihr Vater Zeitung lesend am Frühstückstisch saß. Das Feuer im Ofen bullerte, sie konnte die Glut durch die Eisenringe auf der Herdplatte sehen. Gemütlich war es, heimelig und warm. Der Schrecken von gestern schien nicht mehr ganz so groß. Robert sah auf und blickte ihr seelenruhig entgegen. Auf dem Tisch standen frische Brötchen, Käse, Butter und Marmelade, und es roch herrlich nach Kaffee.

      „Warum hast du mich nicht geweckt?“

      Robert senkte die Zeitung.

      „Du