Ursula Tintelnot

FAITH


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und sahen sich nach einem Tisch um.

      Patricia gestikulierte heftig und winkte die beiden an ihren Tisch. Artig gehorchten die zwei und näherten sich Patricia und ihren Freundinnen.

      Aber während Ben der Aufforderung, Platz zu nehmen, folgte, sah sich Richard zögernd um. Die Mädels rückten auf Patricias Befehl noch enger zusammen, um auch ihm Platz zu machen, aber Richard winkte dankend ab, um auf Faith und Lisa zuzugehen.

      „Oh Mann, das gibt Ärger.“ Lisa bestaunte mit der ihr eigenen Neugier die Reaktion Patricias auf diese Aktion.

      „Schau dir ihr Gesicht an“, kicherte sie. „Krebsrot steht ihr gar nicht.“

      „Hallo“, grüßte Richard, „darf ich mich zu euch setzen?“ Er wies auf den freien Stuhl an ihrem Tisch und richtete den Blick seiner blauen Augen fragend auf Faith.

      Der Lärm im Café machte es eigentlich unmöglich, Gespräche an anderen Tischen mitzuhören, aber Faiths besonders feines Gehör fing Patricias gehässige Reden sehr wohl auf.

      Sie hörte die Drohung „Das wirst du mir büßen!“, die dieses verwöhnte Mädchen ausstieß.

      Patricias Vater war ein schwerreicher Bauunternehmer, der in allen Teilen der Welt Geschäfte machte.

      Überall waren seine grotesk geschmacklosen Neubauten zu sehen.

      Neugotische Einfamilienhäuser mit Säulen, Portalen, Türmchen und blauen Dächern, so groß, dass ein kleines Dorf darin hätte unterkommen können.

      Riesige Hochhäuser aus Glas und Stahl baute er für Banken und Versicherungen.

      Patricias Mutter, eine elegante Frau, die ihrer Tochter ihre Schönheit vererbt hatte, war nicht in der Lage, ihrer Tochter auch nur den Hauch ihrer eigenen Liebenswürdigkeit mitzugeben.

      Vom Vater hoffnungslos verwöhnt, wuchs Patricia mit allen irdischen Gütern reich gesegnet, aber ohne Zärtlichkeit und Liebe in wechselnden Internaten auf. Verzichten hatte sie nicht gelernt, sie hatte immer alles bekommen, was sie wollte.

      Richard stand noch immer vor ihrem Tisch. Da er Faith gefragt hatte, antwortete Lisa nicht.

      Ein schmerzhafter Tritt ans Bein holte Faith aus ihren Gedanken in die Wirklichkeit zurück.

      „Was hast du gefragt?“

      Richard deutete auf den freien Stuhl und grinste sie neugierig an. Jetzt nur nicht rot werden. Faith riss sich zusammen.

      „Ja, du kannst den Stuhl mitnehmen.“

      Richard und Lisa sahen zuerst einander, dann Faith verblüfft an.

      „Mitnehmen?“, wiederholten beide zugleich Faiths Worte.

      „Wohin soll ich den Stuhl denn mitnehmen?“

      „Ja willst du dich denn nicht zu Patricia und ihren Freunden setzen?“

      Richard betrachtete die beiden Mädchen vor sich und fragte dann Lisa: „Hat sie das öfter?“

      Faith starrte Richard immer noch verständnislos an: „Ich wollte doch nur, ich dachte …“

      Jetzt setzte Richard sich ohne Aufforderung.

      Lisa versuchte vergeblich, ihre Heiterkeit zu verbergen, um dann doch in lautes Gelächter auszubrechen, in das Richard mit einer kleinen Verzögerung einstimmte.

      Faith versuchte, an sich zu halten, aber ein kurzer Blick auf Lisa und Richard genügte, dann war es auch mit ihrer Beherrschung vorbei.

      „Mann“, Lisa konnte sich gar nicht beruhigen, „ich glaube, wir haben ein paar Leute ziemlich verärgert.“

      Patricia und ihr Gefolge brachen ziemlich überstürzt auf. Ben grüßte kurz zu Richard und den beiden Mädchen herüber, zuckte hilflos mit den Schultern und folgte Patricia, die ihn mehr oder minder mit sich riss.

      Richard bestellte sich eine Pizza und dazu einen Caffè Latte.

      Während er auf seine Bestellung wartete, ruhten seine blauen Augen forschend auf Faith, und wieder fühlte sie diese Mischung aus Abneigung und widerwilligem Interesse in seinem Blick.

      Wenn er sich Lisa zuwandte, nahm sie nichts dergleichen wahr.

      Er faszinierte sie, das musste sie sich insgeheim eingestehen, obwohl er auch eine diffuse Furcht in ihr auslöste, die sie sich nicht recht erklären konnte.

      Lisa und er unterhielten sich ganz unbefangen.

      „Mein Vater“, erklärte Richard gerade, „ist viel im Ausland. Er arbeitet im diplomatischen Dienst. Ich musste oft die Schule wechseln, und jetzt, wo es aufs Abi zugeht, ist es günstiger, die letzten anderthalb Jahre im Internat zu verbringen.“

      „Und“, setzte er mit einem kleinen, süffisanten Lächeln an Lisa gewandt hinzu, „ich komme nicht aus Bahrain, und mein Vater ist nicht besonders reich.“

      Lisa wurde rot: „Woher? Ich meine …“ Richard schob sich das letzte Stück seiner Pizza in den Mund, danach trank er noch einen Schluck Kaffee und erhob sich. Ihre Frage ließ er unbeantwortet. Und wieder fühlte Faith eine vage Unruhe, die durch nichts zu erklären war.

      Als er ging, nickte er nur flüchtig, wie abwesend.

      Lisa sah ihre Freundin fragend an. „Das konnte er nicht wissen, oder hast du es ihm erzählt?“ Faith schüttelte den Kopf und sah schweigend Richard hinterher, der an der Kasse bezahlte. Sie wollte jetzt nicht mit Lisa über ihre eigene Verunsicherung sprechen.

      Keine Spuren im Schnee

      „Komm, wir nehmen den Bus und fahren noch zu mir, wir haben noch gar nicht über meine Geburtstagsparty gesprochen.“

      „Oh gut.“

      Lisa war immer für alles zu haben, was sich nicht im Internat abspielte. Besonders wohl allerdings fühlte sie sich zu Hause bei Faith, deren Vater sie geradezu verehrte.

      Lisa war die ersten Jahre ihres Lebens bei ihrer Großmutter aufgewachsen, da ihre Eltern, als sie kaum drei Jahre alt war, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Nachdem auch ihre Großmutter gestorben war, lebte sie in Waldeck.

      Dort hatte sie kurzerhand Faith und ihren Vater „adoptiert“ und sich auf diese Weise selbst die Familie geschaffen, die sie nicht mehr besaß.

      Lisa hatte sich für die Nacht im Internat abgemeldet und mit Roberts Hilfe erreicht, dass sie bei Faith übernachten durfte.

      Robert kannte die Direktorin Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky, Annegret, wie er sie nannte, recht gut.

      Die Direktorin mochte diesen attraktiven, leicht melancholischen Mann mit den grauen Schläfen, die ihn eher jünger als älter aussehen ließen.

      Sie hegte eine ausgesprochene Schwäche für ihn.

      Die Vorträge über seine Reisen, die er gelegentlich vor ihren Schülern hielt, waren so amüsant und interessant, dass sie sich nie einen entgehen ließ.

      Faith und Lisa saßen mit Robert im Wohnraum am flackernden Kaminfeuer. Die Mädchen kuschelten sich mit hochgezogenen Beinen auf dem weichen, schon ziemlich durchgesessenen Sofa ein, während Robert vor dem Feuer in seinem Lieblingssessel saß und sein Rotweinglas nachdenklich zwischen den Fingern drehte.

      Lisa hatte einen großen Block auf den Knien und ging einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nach: Sie machte Listen.

      Eine Liste mit den Mitschülerinnen und Mitschülern, die zu Faiths siebzehnten Geburtstag eingeladen werden sollten, eine zweite Liste mit den Einkäufen.

      Sie kochte leidenschaftlich gern und fand es langweilig, dass Faith auf einem kalten Büffet bestand.

      Robert warf ein: „Wir könnten grillen.“

      Lisa