Ursula Tintelnot

FAITH


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hat man sofort gesehen.“

      Lisa starrte zurück, jedoch nicht böse, sondern eher neugierig.

      Faith wusste, dass sie vor ihrer Freundin nichts verbergen konnte und umarmte Robert.

      „Gut, dass du mich abholst, dann muss ich nicht mit dem Bus nach Hause fahren.“

      Lisa verabschiedete sich von den beiden und ging ins Internat zurück.

      Da wie immer die Heizung in dem uralten Auto ihres Vaters nicht funktionierte, wickelte Faith sich die auf dem Beifahrersitz bereitliegende Wolldecke um die Beine.

      Faith sah hinaus in den verschneiten Winterwald, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Sie hing ihren Gedanken nach. Die letzten Tage waren unerklärlich beklemmend gewesen. Unruhe hatte sie erfasst, eine unbestimmte Furcht.

      „Wir müssen miteinander reden, Faith“, hörte sie neben sich ihren Vater sagen, der mit seinen kräftigen Händen das Steuerrad umklammerte und versuchte, die Reifen des Wagens in der Fahrspur zu halten. Er blickte, während er sprach, konzentriert geradeaus.

      In Faith wehrte sich alles gegen diese Worte. Sie ahnte und befürchtete, dass das, worüber Robert sprechen wollte, ihr nicht gefallen würde. Wann hatte sie zum ersten Mal das Flimmern gesehen am Rande ihrer Wahrnehmung? Gestalten, die außer ihr sonst niemand sah? Sie hatte es nicht wahrhaben wollen, aber da war etwas.

      Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass es etwas gab, das sie von allen anderen unterschied.

      Etwas, das sie von ihren Freunden trennte. Eine Ahnung nur, sie wusste nicht, was das sein könnte.

      Faith fürchtete sich vor dem, was ihr Vater ihr zu sagen hatte, gleichzeitig wurmte sie ihre eigene Feigheit. Wenn es etwas gab, das sie wissen musste, dann sollte sie sich dem stellen.

      Gargoyles

      Plötzlich brach von rechts ein grauer Wolf aus dem Wald und jagte knapp vor dem Auto über die Straße. Robert war so erschrocken, dass er das Steuer verriss und der Motor absoff.

      Der Wagen blieb quer auf dem Weg stehen. „Nichts passiert“, stotterte Faith und sah alarmiert zu ihrem Vater hinüber.

      Der hatte die Arme auf das Steuerrad gelegt und den Kopf darauf fallen lassen.

      Den grauen Wolf hatte sie schon einmal gesehen. Die Narbe, die das Tier vom Maul bis zum Auge trug, war nicht zu übersehen.

      Als Faith die wild wirbelnde graue Wolke sah, die auf sie zuraste, fasste sie hilfesuchend nach der Hand ihres Vaters.

      Robert wurde blass, als er bemerkte, wie dieser dunkle Strom sich immer mehr zu einer schwarzen Gestalt verdichtete.

      Panisch versuchte er den Motor anzuwerfen und den Wagen wieder auf Spur zu bringen.

      Die Räder des Geländewagens drehten immer und immer wieder kreischend durch, während da draußen die Welt immer dunkler wurde. Ein rasender schwarzer Strudel, der das Auto und seine Insassen zu verschlingen drohte.

      Bevor die Welt um sie herum jedoch in völliger Schwärze versank, hörte Faith das Geräusch rauschender, schwerer Flügelschläge.

      Rote Augen leuchteten riesig aus steinernen Gesichtern. Aufgerissene Mäuler mit nach außen gebogenen Fangzähnen.

      Zwei Kreaturen, mit prachtvollen, weit ausgebreiteten Schwingen durchbrachen die Schwärze um sie herum. Kurz darauf spürte sie, wie ein heftiger Ruck den Wagen in die ausgefahrene Spur des Weges zurückbrachte.

      Sie glaubte, ein wütendes Brüllen zu hören. Der schwarze Strudel da draußen setzte zu einem irrwitzig kreiselnden Tanz an. Fast schwarze Nebelfetzen klebten an den Fenstern. Rußige Flecken durchschnitten die Luft, die zum Atmen zu dick schien.

      Robert konnte keinen Meter weit sehen und er hätte, obwohl das Auto jetzt in der richtigen Fahrtrichtung mitten auf der Straße stand, nicht weiterfahren können, wären nicht die winzigen blauen Wölkchen gewesen, die den schwarzen Nebel durchdrangen und die Dunkelheit verdrängten.

      Das Tosen vor den Fenstern nahm zu, als die beiden rasenden Farbspiele sich fesselten und wieder losließen, um sich gleich darauf von Neuem aufeinander zu stürzen.

      Immer dichter wurde die blaue Wolke, aus den kleinen Wölkchen wurde eine einzige große Wolke, die vor Robert und Faith her tanzte und ihnen den Weg wies. Der dunkle Fleck hinter ihnen wurde kleiner, bis er ganz verschwand.

      Die blaue Wolke löste sich auf.

      Zurück blieben eine weiße Winterlandschaft und das Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein.

      Die Prophezeiung

      Robert stand, ein Glas Cognac in der Hand, vor der großen Terrassentür. Faith lag mit hochgezogenen Beinen auf der Couch und zog sich die weiche, kuschelige alte Wolldecke bis unters Kinn. Sie fror. Die Decke, aus farbigen Quadraten zusammengesetzt, hatte Faith immer begleitet. Sie war federleicht und wärmte wunderbar.

      Robert hatte Faith den Rücken zugekehrt.

      „Was ich dir jetzt sage, wird deine Welt für immer verändern“. Er zögerte. „Es gibt eine Welt, die wir Sterblichen nur sehr selten wahrnehmen.

      Hast du dich je gefragt, ob das, was du täglich erlebst, wirklich ist oder unwirklich?

      Ob vielleicht deine Träume die Wirklichkeit sind und das, was du bisher für real gehalten hast, irreal?“

      Faith sah ihren Vater verständnislos an. Ihre Stimme klang kläglich. „Was meinst du?“

      Was war nur mit ihrem Vater los, was wollte er ihr mitteilen? „Du bist die Tochter einer Fee.“

      Faith fuhr hoch. „Fee?“

      „Deine Mutter stammt aus der Anderswelt, Faith. Das ist die Welt, die wir Sterblichen normalerweise als unwirklich bezeichnen. Und“, fügte er hinzu, „die wir Sterblichen fast nie wahrnehmen können. Ja, an die wir nicht einmal glauben.“

      Faith starrte ihren Vater an. „Geht es dir nicht gut?“

      „Hör mir einfach zu.“ Robert fuhr fort.

      „Wir Menschen leben an der Oberfläche unseres Bewusstseins.“ Roberts Stimme wurde brüchig.

      „Das ist ein Schutz, verhindert aber auch eine andere Wahrnehmung. Wenn diese Oberfläche dünn wird, kannst du eine andere Welt sehen, sogar hinübergehen, wenn du dich traust.“

      Und Robert berichtete Faith endlich alles, was sich vor ihrer Geburt an der irischen Küste zugetragen hatte. Schilderte ihr das zauberhaft schöne Lichte Reich Magalies und die Gefahr, in der sich diese Welt befand.

      Er erzählte ihr von seiner tiefen Liebe zu ihrer Mutter.

      „Um dich zu schützen, musste deine Mutter in die Anderswelt zurückkehren und dort bleiben. Denn dort, und nur dort, ist sie nahezu unsterblich und kann dafür sorgen, dass Leathan die Anderswelt nicht für immer in Dunkelheit und Chaos reißt. Alles auf unserer Erde ist voneinander abhängig, der dunkle Elf würde auch unsere Welt mit in den Abgrund reißen. Seine Schattenwelt ist ein Teil des Lichten Reiches, der Anderswelt. Aber er will die Macht über alles. Es gibt eine Prophezeiung, die besagt, dass nur die Tochter einer Fürstin, sollte sie sie mit einem Sterblichen haben, Leathan diese Macht entreißen kann. Und du, mein Kind, bist die Tochter einer Fürstin. Die Lebensspanne aller Bewohner der Anderswelt ist nahezu endlos, auch du würdest dort Jahrhunderte leben. Aber die Gefahr für dich war Magalie und mir zu groß. Leathan ist gefährlich und durch und durch böse. Seine magischen Kräfte aber sind in unserer Welt nicht annähernd so stark wie in seinem Schattenreich. Deshalb habe ich dich mit mir genommen, bin mit dir gereist, immer auf der Flucht vor ihm.“

      Robert wandte den Kopf und blickte hinaus in den Schnee. „Leathan ist ein dunkler Elf, der von der Zerstörung