Ursula Tintelnot

FAITH


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waren, so viele tote Seeleute angeschwemmt worden waren. Er glaubte, wieder das Rauschen der Brandung zu hören.

      Robert dachte an die Geschichten, welche die Einheimischen sich erzählt hatten, über Feen, die so hinreißend aussahen, dass kein Mann ihnen widerstehen konnte. Über Elfen oder Dunkelalben, die Frauen mit ihrem Zauber und der süßesten Musik, die man sich vorstellen konnte, in die Wälder lockten.

      Niemand hatte die auf diese Weise Verschwundenen lebend wiedergesehen.

      Ganz selten fand man nach Jahren ein Skelett an der Küste oder in den Wäldern wieder.

      Nur eine einzige Ausnahme gab es. Man erzählte sich von einer jungen Touristin aus Frankreich, ihr Name war Agnes.

      Diese Frau soll über Monate verschwunden gewesen sein, jede Suche nach ihr war damals vergebens gewesen.

      Eines Nachts, als der Nebel das Dorf fast unsichtbar gemacht hatte, die Dorfstraße nur noch ein schmaler Strich war, dürftig beleuchtet durch die noch hellen Fenster des Pubs, als die Männer nach Hause wankten, erschien Agnes scheinbar aus dem Nichts.

      Sie reiste am nächsten Tag ab, nachdem sie ihre Sachen aus dem kleinen Steinhaus geholt hatte, das sie für die Ferien gemietet hatte.

      Agnes’ Augen schienen nichts mehr wirklich wahrzunehmen.

      Verlorener Blick.

      Robert hatte den Erzählungen gerne gelauscht.

      Vor dem Kamin im Pub, in aller Behäbigkeit vorgetragen, schienen sie von einem Bier zum nächsten immer wahrer zu werden.

      Die Wärme, die spärliche Beleuchtung im Schankraum und das zustimmende Gemurmel der Alten trugen dazu bei, alles für bare Münze zu nehmen, was die Männer zum Besten gaben.

      Wenn Robert allerdings am darauffolgenden Morgen auf dem kleinen Steinplatz vor seinem Häuschen saß, glaubte er kein Wort mehr von dem, was die nächtlichen Besucher des Pubs sich erzählt hatten.

      An einem dieser Morgen zeigte der Himmel ein kräftiges Blau, nur übertroffen vom Tiefblau des fast unbewegten Meeres. Robert stand auf und trug seinen Kaffeebecher zu der kleinen Steinmauer hinüber, die sein Haus vom Abgrund trennte.

      Als er sich gegen die Mauer lehnte, gab einer der Steine nach und verschob sich.

      Hinter dem Stein lag ein Metallkästchen. Es war unendlich kostbar gearbeitet, mit einer Gravur, die die wilden Rosen der Gegend zeigte. Die Blütenblätter bestanden aus, im Deckel eingefassten, winzigen Mondsteinen, die in den zartesten Rosa- und Blautönen schimmerten.

      Robert fragte sich, wer so ein Kleinod dort versteckt haben mochte? Und zu welchem Zweck?

      Denn dass die Mauer ein Versteck sein sollte, bezweifelte er keine Minute. Das Kästchen ließ sich erstaunlich leicht öffnen.

      Im Inneren lag nur ein mehrfach gefalteter Zettel.

      Robert las: Hüte dich vor der Anderswelt! Wenn du sie dennoch betrittst, suche die blaue Wolke. Agnes.

      Nachdenklich hatte Robert den Zettel wieder gefaltet und ihn zurückgelegt. Hier also hatte Agnes gelebt, wie er hatte sie dieses kleine Haus bewohnt.

      Seine damals noch eindimensionale Weltsicht war falsch gewesen.

      Es gab so etwas wie eine andere Welt, eine „Anderswelt“, wie auch Agnes sie gesehen hatte. Die blaue Wolke hatte ihr geholfen, diese fremde Welt wieder zu verlassen.

      Auch ihm hatte sie, viel später, den Weg zurück in seine Welt gewiesen.

      Er bog um die Ecke und ging zu dem kleinen Lebensmittelladen, um auch dort seine Bestellungen für den Geburtstag seiner Tochter aufzugeben. Die Gedanken an die Vergangenheit schüttelte er fürs Erste ab.

      Robert ist beunruhigt

      Robert wartete vor der Schule auf Faith. Wenn er schon im Dorf war, konnte er sie ebenso gut in seinem uralten Geländewagen mit nach Hause nehmen. In diesem Auto, wenn man es denn so nennen wollte, war er durch ganz Europa und den halben Orient gereist.

      Als er seine Tochter zwischen den Mitschülern entdeckte, glühte sein Vaterherz vor Stolz.

      Wie sie da hochgewachsen und schlank auf ihn zukam, die grünen Augen strahlend auf ihn gerichtet, erinnerte sie ihn schmerzhaft an Magalie.

      Zauberhaft wie ihre Mutter.

      Gerade als er auf sie zugehen wollte, wurde sie von einem gut aussehenden, schwarz gelockten Jungen angesprochen. Sie blieb so plötzlich stehen, dass Lisa, die hinter ihr ging, fast in sie hineingelaufen wäre.

      Lisa ging um die beiden herum und kam auf ihn zu. „Hallo Robert.“

      „Wer ist das?“ Robert ließ Faith und den Jungen nicht aus den Augen und erwiderte ihren Gruß nicht. Lisa sah Robert verwundert an.

      „Danke, Robert, dir auch einen schönen Tag! Und ja, mir geht’s gut.“

      „Entschuldige Lisa, aber einen Moment lang dachte ich, ich hätte den jungen Mann schon mal gesehen.“

      Roberts Stimme klang irgendwie beunruhigt und drängend zugleich. In seinen Augen spiegelten sich Furcht und eine Neugier, die Lisa sich nicht erklären konnte.

      „Das kann nicht sein“, meinte Lisa dann. „Das ist Richard, der Neue, sieht er nicht wahnsinnig gut aus?“

      Robert sah sie forschend an. „Weißt du, woher er kommt?“

      Lisa berichtete Robert von den Gerüchten, die an der Schule kursierten und davon, was Richard selber erzählt hatte, nämlich, dass sein Vater im diplomatischen Dienst und damit viel im Ausland auf Reisen sei. Dabei fiel ihr auf, dass Richard seine Mutter mit keinem Wort erwähnt hatte. Eigentlich merkwürdig.

      Faith ärgert sich über Richard

      Faith erfasste für einen Moment ein leichtes Schwindelgefühl, als Richard ihr in die Augen blickte. Dieser intensive, blaue Blick aus leicht schräg gestellten Augen schien sie zu etwas zu zwingen, sie hatte das Gefühl, sich dagegen wehren zu müssen.

      Sie sah Lisa, unschärfer werdend, auf Robert zugehen und auch die Umrisse ihres Vaters wurden faserig und verschwammen.

      „Reiß dich zusammen, wehr dich“, flüsterte es in ihr.

      Es gelang ihr tatsächlich, sich aus diesem fast tranceähnlichen Zustand zu befreien. Der Sog dieser blauen Augen, die fragend auf sie gerichtet waren, ließ nach.

      „Was?“

      „Ich hab dich gefragt, ob wir mal was zusammen machen könnten.“

      Faith hatte sich wieder gefangen.

      „Was schwebt dir denn da so vor?“

      Bevor er antworten konnte, erschien Patricia neben Richard und hakte sich ganz selbstverständlich bei ihm ein.

      „Richard, mein Lieber, da bist du ja! Wenn wir nicht gleich gehen, sind die besten Plätze weg.“ Affektiert hob Patricia die Brauen, warf Faith einen herausfordernden Blick zu und zog Richard mit sich. „Gezierte Zicke“, dachte Faith.

      Richard winkte kurz. „Bis dann, überleg es dir.“

      Sie würde sich keinesfalls was überlegen, aber sie ärgerte sich trotzdem über Patricia, die schon wieder Besitzansprüche geltend machte.

      Besonders verstimmte sie allerdings Richards Verhalten.

      Dass er sich derart vereinnahmen ließ.

      Lisa und Robert sahen ihr entgegen. Robert wunderte sich über ihren ärgerlichen Gesichtsausdruck, während sich Lisa ein Grinsen verbieten musste.

      Doch Faith hatte das sehr wohl gesehen und starrte Lisa böse an.

      „Es