Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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auf uns und ihr Gesichtsausdruck schlägt von ernst in besorgt um, als sie unsere Gesichter sieht.

      „Was wollten die Maas? Die kreuzen mir hier in letzter Zeit echt zu oft auf“, brummt sie und ich sehe sie groß an. Ich war denen bis jetzt erst einmal hier begegnet und da war Ellen noch nicht mal dagewesen. Oder zumindest glaube ich das.

      Daniel antwortet ihr, als er die Tür hinter uns schließt: „Seit der Sache mit Hamburg hat Erik sich bei allem etwas zurückgehalten, was mit denen zu tun hat und sie sind deswegen sauer. Außerdem verlieren sie nicht gerne einen guten Kunden.“ Mehr sagt er Ellen nicht und sie nickt nur. Ich bin mir sicher, dass ihr die Information reicht, weil sie sowieso über alles Bescheid weiß. Mir reicht es definitiv nicht und ich nehme mir vor, Erik später darüber auszufragen.

      Zu meinem Erstaunen fragt Ellen: „Und Carolin?“

      Daniel schüttelt nur den Kopf.

      Sie sieht Erik an, der immer noch wütend eine Zigarette raucht. „Zu allem Überfluss hat sie sich mit den beiden auch noch angelegt. Das ist Futter für die Fische!“

      In meinem Kopf rotieren die Gedanken und einen Moment glaube ich verstanden zu haben: Die ist Futter für die Fische!

      Ellen wendet sich an mich. „Ach Mensch! Auch das noch! Diese zwei Spinner sind echt nicht zu ertragen. Hätte ich Carolin damals bloß nicht mitgeschleppt!“ Sie scheint sich über etwas aus der Vergangenheit zu ärgern.

      „Das sind voll die Hohlköpfe! Machen da einen auf dicken Macker, dabei sind das nur ein paar dumme Zuhälter, die Drogen verticken. Sowas gehört ins Gefängnis“, brumme ich.

      Alle drei sehen mich an und Ellen lacht plötzlich kopfschüttelnd lauf. „Kannst du mir einen Gefallen tun, Carolin? Sag ihnen das nicht jedes Mal, wenn du auf sie triffst. Es entspricht zwar der Wahrheit, aber die verkraften so etwas gar nicht.“

      Erik zieht mich am Arm vor seine Füße und sieht mich forsch an. „Und wenn die etwas nicht verkraften, dann sind das kleine, blonde Mädchen, die ihnen die Stirn bieten. Das hast du schon mal gemacht und deswegen haben die dich auf dem Kicker!“

      Ich sehe ihn irritiert an. „Ich? Ich kenne die doch gar nicht.“

      „Oh doch!“, sagt Ellen und lässt sich auf einen Küchenstuhl fallen. „Als wir das erste Mal zusammen los waren - den Abend im Hyde Park - da hast du erst Teddy und dann Sam einen Korb gegeben. Sie wollten dich anbaggern und du hast sie völlig ignoriert. Ich weiß nicht mal, ob dir das überhaupt klar war. Du hast so ausgelassen getanzt und wir hatten so viel Spaß und die beiden rochen Frischfleisch und waren ziemlich aufgebracht darüber, dass du sie nur mit Verachtung gestraft hast. Ich dachte wirklich, die machen uns Stress.“

      Ich kann sie nur verständnislos anstarren.

      Daniel stellt für alle Bierflaschen auf den Tisch und öffnet seine mit einem Feuerzeug, das er dann weitergibt. Jeder macht seine Flasche damit auf, nur ich kann meine Flasche nur mit einem bittenden Blick an Erik weiterreichen, der das für mich erledigt.

      Daniel ergänzt: „Die haben sich ziemlich über dich ausgelassen und dass sie solche Püppchen wie dich eigentlich zum Frühstück verspeisen. Daraufhin hat Erik ihnen gesagt, du gehörst zu ihm und sie sollen sich das verkneifen. Natürlich fanden sie das lächerlich, auch wenn Ellen die ganze Zeit mit dir tanzte und er sollte denen das irgendwie beweisen. Also ist er zu dir auf die Tanzfläche gegangen …“

      Daniel grinst Erik an, der nur mit ernstem Blick sein Bier trinkt.

      „Und erst schien es so, als würdest du bei ihm sogar brav sein. Aber dann hast du auch ihn ziemlich unmissverständlich abblitzen lassen und bist abgehauen. Die Maas fanden das wenig lustig und meinten, er müsse noch einiges lernen, wenn du angeblich zu ihm gehörst und mit ihm so umspringst. Die sahen echt seine Ehre und ihr Zuhälterimage den Bach runtergespült und weil sie so etwas nicht durchgehen lassen, ist Ellen losgeschossen, um dich zu suchen, bevor sie das tun konnten. Und deshalb habe ich euch dann sofort nach Hause gebracht.“

      Ich sehe Erik an und kann nicht fassen, dass mein Leben schon da eine Wendung genommen hat, die ich nicht mal im Entferntesten ahnte und die mich jetzt noch verfolgt.

      „Und jetzt?“, frage ich ihn.

      „Ich werde morgen zu Walter gehen und er soll die beiden in ihre Schranken weisen. Du bist keines dieser Mädchen wie ihre. Du bist meine Freundin und gehörst zu mir“, knurrt Erik und ich habe das erschreckende Gefühl, er ist wütend auf mich.

      Ich stehe auf und lege meine Arme von hinten um ihn. Tausend Fragen wüten in meinem Kopf. Aber ich wage keine zu stellen. Ich weiß von Ellen, dass Walter der Typ ist, der Erik und Daniel zu Erledigungen seiner dubiosen Geschäfte schickt und scheinbar haben Sam und Teddy auch mit ihm zu tun.

      „Ich gehe mit!“, sagt Daniel. „Wenn er glaubt, du willst aussteigen, wird er dir trotz allem nicht zuhören.“

      Erik wirft ihm nur einen wütenden Blick zu und nickt.

      Ellen schiebt sich vom Stuhl. „Gut, dann lasst uns jetzt Essen. Flaschen vom Tisch! Teller auf den Tisch! Das Fleisch ist bestimmt jetzt gar.“ Damit scheint das Thema beendet zu sein.

      Es gibt Hähnchenfilets in Zwiebelsahnesoße mit Reis und es schmeckt köstlich, auch wenn keiner mehr richtig Appetit hat.

      Als ich abends mit Erik im Bett liege und er nachdenklich an die Decke starrt, frage ich ihn: „Bereust du, dass du dein altes Leben aufgegeben hast? Du hast jetzt wegen mir so viele Sorgen und Probleme.“

      Er legt sich auf die Seite und stützt sich auf dem Ellenbogen ab. „Mein Leben war vorher wirklich einfacher. Ich brauchte mir nur Sorgen um mich zu machen und das hieß, ich machte mir keine. Was ich verpatzte, musste ich auch selber wieder ausbaden und die Konsequenzen betrafen nur mich.“

      Mir stockt der Atem. Leise flüstere ich: „Und was heißt das? Dass du das mit uns bereust?“

      „Hätte ich dich nie kennengelernt, wäre mein Leben so weitergelaufen. Ich wusste nicht, dass mir etwas fehlt. Und dann kamst du. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich kann nie wieder in mein altes Leben zurückkehren und so sein und fühlen wie vor dir. Das ist vorbei. Und ich möchte das auch gar nicht. Das, was ich mit dir habe, brauche ich jetzt. Ich möchte ohne diese tiefe Zuneigung und Liebe nicht mehr leben … nicht die zu dir und nicht die von dir. Ich wusste nicht, wie das ist und wie sich das anfühlt. Aber ich habe ständig Angst, dass dir etwas zustößt. Unsere Welt ist so krank und unberechenbar. Fast glaube ich, ich sollte dich zu Marcel zurückschicken, damit du wenigstens vor meiner kranken Welt sicher bist.“

      Ich schnappe nach Luft. Wut kriecht in mir hoch. „Du kannst mich nicht zu Marcel zurückschicken! Du kannst mich verlassen. Aber du kannst mich nicht einfach wieder bei irgendwem abgeben und fertig. Wenn du mich nicht mehr willst, muss ich allein klarkommen und damit leben oder untergehen. Aber auch ich kann nicht mehr in mein altes Leben zurückkehren und alles, was mit uns war, vergessen. Und ich habe auch Angst um dich. Und ich habe Angst, dass du dich mit deinen Drogen umbringst, wie Ellens Alex, oder einer deiner dubiosen Freunde dich um die Ecke bringt, weil da gerade mal ein Deal nicht so gelaufen ist. Mir geht es also nicht besser als dir!“, kann ich ihm nur wütend entgegenschleudern und schlage seine Hand weg, die sich mir entgegenstreckt. Ich weiß, Erik bemüht sich, das Problem mit seinen Drogen in den Griff zu bekommen und sein Blick sagt mir, dass meine Worte ihn in seinem tiefsten Inneren treffen. Aber dass er auch nur in Erwägung zieht, mich wieder bei Marcel abzugeben, wie ein unliebsames Haustier, ärgert mich.

      „Komm her!“, knurrt er. „Ich werde dich niemandem überlassen und ich werde, wenn es so kommen sollte, mit dir zusammen untergehen.“ Er greift nach meinem Handgelenkt und zieht mich zu sich heran, legt ein Bein über meine und schiebt seinen Oberkörper ein Stück auf meinen, um mich zu fixieren. „Ich kann gar nicht mehr anders.“

      Sein warmer Körper und seine Nähe lassen mich meine Wut vergessen. „Ich auch nicht“, flüstere ich und ziehe ihn ganz auf mich.

      Ellen lässt mich am nächsten Tag nicht aus den Augen.