Alexander Reiter

Das Schöpfer-Gen


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ließ meinen Blick durch das Zimmer wandern. Der Salon war ein Paradebeispiel für englischen Einrichtungsstil, mit vielen Details und einer sehr einladenden Sitzgarnitur. Die Wände des Salons waren mit goldornamentierten grauen Stofftapeten bespannt und das Mobiliar war mit handgeschnitzten Verzierungen versehen. Wahrscheinlich sündhaft teuer, Mahagoni oder so. Drei Männer, einer davon schon deutlich jenseits der fünfzig, eine fremde Frau und Karen Stanley sahen uns gespannt entgegen. Mein Mund wurde trocken, wer waren die denn nun schon wieder? Noch mehr Untersuchungen? Mich kribbelte es bereits unter dem Pflaster, das man mir in die Ellbogenbeuge geklebt hatte.

      Miss Stanley schien mir mein Unbehagen anzusehen, denn sie sagte rasch: „Mr Cole, Mr Richards, ich darf Ihnen Prof. Keith Woods vorstellen, Leiter der Abteilung für theoretische Physik in Oxford. Dr. Woods kann uns vielleicht bei einer Erklärung des Phänomens in Covent Garden helfen.“

      Der Grauhaarige schüttelte uns die Hand.

      Jetzt war ein Typ mit roten Haaren und Sommersprossen dran. „Des Weiteren Mr Ben Wright, Parapsychologe und Grenzwissenschaftler Der führende Experte auf seinem Gebiet.“ Grenzwissenschaftler? Glaubte der an Geister? Er bot uns nicht die Hand an, sondern nickte lediglich.

      Karen Stanley lächelte und fuhr fort: „Eine weitere Spezialistin in ihrem Fachgebiet, Dr. Ann Marie Singer, Neurowissenschaftlerin von der Universität Glasgow.“ Ihr Händedruck war überraschend kräftig, sogar Paul zuckte kurz zusammen.

      „Und last but not least, Mark Stettler, Genetiker und Forschungsleiter der Universität von Birmingham “, wurde ein junger Mann mit Hornbrille vorgestellt. Dieser musterte mich misstrauisch wie einen Studenten, der eine Klausur verhauen hatte.

      „Wir hoffen, dass Sie sich in der Zwischenzeit schon einmal untereinander bekannt machen können. Ich darf mich nun kurz entschuldigen, wenn Sie irgendetwas benötigen, wenden Sie sich bitte jederzeit an einen meiner Kollegen. Ich werde in Kürze wieder zu Ihnen stoßen.“

      Paul goss ohne Weiteres zwei Gläser Single Malt auf dem neben uns stehenden Barwagen ein, ließ sich dann auf einer Couch in der Mitte des Raumes nieder und zerquetschte dabei fast die kleinen Samtkissen.

      Ich setzte mich neben ihn, und er reichte mir das Glas mit den Worten: „Auf das Ende der Welt, mein Freund.“

      „So weit sind wir noch lange nicht“, sagte die Neurowissenschaftlerin und ließ sich in einen Sessel sinken. „Paul, ich darf doch Paul sagen, oder? Bekomme ich bitte auch einen Drink?“

      „Aber gern doch, kommt sofort.“ Paul erhob sich, schenkte ihr ein Glas ein und reichte es ihr. „Cheers!“

      Sie leerte ihr Glas mit in einem Zug, lächelte und sagte: „Ich glaube nicht, dass es das Ende der Welt wird. Ich glaube, was wir gerade erleben, ist der Beginn von etwas Neuem.“

      „Und wie sieht das Ihrer Meinung nach aus?“, fragte Paul interessiert.

      Ann Singer lehnte sich zurück.

      Die anderen nahmen sich nun ebenfalls etwas zu trinken, suchten sich eine Sitzgelegenheit und lauschten gespannt.

      „Während dieses Vorfalls wurde weltweit mehr neuronale Tätigkeit gemessen als je zuvor.“

      „Hä? Und was genau bedeutet das?“, schaltete ich mich ein.

      „Oh, Entschuldigung, Mr Cole, ich vergaß – wie Sie wissen, arbeite ich als Neurowissenschaftlerin und wir haben ständig Testreihen bei uns im Forschungszentrum. Meine Kollegen und ich haben in den letzten Stunden bei unserer Testgruppe eine so hohe Gehirntätigkeit gemessen, wie nie zuvor für denkbar gehalten wurde. Einige von ihnen benutzten Gehirnareale, die für gewöhnlich nicht stimuliert werden können. Sie nutzten für einen kurzen Moment fast fünfundneunzig Prozent ihrer Gehirnkapazität.“

      „Und das wissen Sie woher?“, fragte ich skeptisch.

      „Einige meiner Kollegen führten während des Events zufällig Gehirn-Scans an Primaten durch. Und der Computer hat während der ganzen Zeit weiter aufgezeichnet, mit dem gleichen Ergebnis.

      „Was? Wollen Sie damit sagen, dass uns dieser schreckliche Vorfall schlauer gemacht hat?“

      „Nein, Mr Cole, schlauer nicht. Ich will damit sagen, dass die durchgeführte Übertragung, die wir alle von Ihnen in unserem Geiste gesehen haben, die Menschen für einen kurzen Zeitraum evolutionär um Tausende von Jahren nach vorne katapultiert hat. Wissen Sie, wie unfassbar eine globale Suggestions-Übertragung ist? Bis jetzt hat niemand so etwas überhaupt für möglich gehalten.“

      Ich trank mein Glas in einem Zug aus und sah sie ungläubig an. „Entschuldigung, wenn ich Ihre Begeisterung nicht ganz teilen kann, aber dabei sind eine ganze Menge Menschen gestorben. Jeder Vollidiot auf der Welt hat mich gesehen und glaubt wahrscheinlich, ich sei dafür verantwortlich. Und Sie erzählen mir, dass Sie deswegen aus dem Häuschen sind, weil irgendwo Affen jetzt schlau genug sind, um allein aufs Klo zu gehen? Hurra, die Welt ist ein besserer Ort!“ Je mehr ich redete, desto wütender wurde ich.

      Ann Singer sah mich irritiert an und holte tief Luft, da schaltete sich der junge Genetiker ein.

      „So ganz unrecht hat Mrs Singer da nicht. Es könnte schon sein, dass in unserem Erbgut Änderungen eingetreten sind. Gravierende Änderungen.“ Er hob die Hand. „Lassen Sie mich kurz erklären, Mr Cole. Keiner von uns möchte, dass Menschen zu Schaden kommen oder auf diese grausame Weise sterben. Trotzdem können wir nicht ignorieren, was hier in uns drin geschieht.“

      „Ich höre Ihnen zu.“

      „Unsere DNA besteht zu etwa acht Prozent aus Material, das von Retroviren in unser Erbgut eingeschleust wurde. Bisher waren wir der Ansicht, dass dieses Material keinen Nutzen hat. Aber möglicherweise hat sich das durch die Geschehnisse gerade grundlegend geändert, denn wir konnten eine neuronale Interaktion feststellen, die eindeutig mit der Retro-DNA zusammenhängt. Wenn diese Veränderungen nicht mehr rückgängig zu machen sind, müssen wir davon ausgehen, dass diese Frau etwas in uns ausgelöst hat.“

      „Ich glaube, wir müssen noch einmal einen Schritt zurückgehen und das Ganze eher von außen als von innen betrachten.“ Jetzt meldete sich der Geisterseher zu Wort. „Ich glaube, dass das, was wir heute erlebt haben, schon einmal passiert ist.“

      „Ach ja? Wann denn?“, Paul klang süffisant. Er nippte an seinem Glas und sah Wright mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      Wright ließ sich nicht aufhalten. „Und ich denke, dass wir es hier mit einem Portal zu tun haben. Die Gestalt, die wir gesehen haben, ist möglicherweise auch nicht das erste Mal auf Erden. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Grenzwissenschaften und ich glaube, diese Events decken sich mit einigen meiner Forschungen.“

      Der hatte sie doch nicht alle … Ich warf Paul einen unübersehbar zweifelnden Blick zu. Portal? Gleich würde er uns erklären, dass wir es hier mit kleinen grünen Männchen zu tun haben.

      Paul grinste, sagte aber nichts.

      Ben Wright dozierte indessen weiter: „Viele Kulturen bauen auf dem Glauben an eine Urmutter auf – Griechen, Römer, Thraker und viele Weitere haben hier sehr ähnliche Vorstellungen. Und so viel wir wissen, ist die einstige Herrin der Stadt Karkemisch am Euphrat die Basis für diese Verehrung. Sie soll vor über 2000 Jahren geherrscht haben und wird in fast allen Kulturen der Frühgeschichte erwähnt, als Erneuerin oder Magna Mater. Sogar der Mithras- und Attiskult gehen auf sie zurück. Den Überlieferungen zufolge erschien sie den Menschen das letzte Mal in der Türkei, in einem Tempelkomplex in Pamukale. Man spricht davon, dass sie durch ein Portal wie aus dem nichts zu den Menschen kam. Was sich mit den Ereignissen von heute deckt. Und wenn meine Hypothesen zutreffen, haben wir es mit Kybele zu tun.

      Einen Moment lang herrschte Stille.

      „Sie wollen uns jetzt wirklich erzählen, dass wir es mit einer 2000 Jahre alten Göttin zu tun haben?“ Paul setzte sein Glas auf einem Tischchen ab. „Das erscheint mir nun doch etwas weit hergeholt. Ihre Göttin sah für mich eher wie eine junge Frau aus. Wie kann sie 2000 Jahre alt sein?“

      Jetzt