Hubert K.

Bei der Laterne wolln wir stehn


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      Richard war um die Mittagszeit zu Fuß aus der Stadt gekommen, wo er gegen elf Uhr mit dem Zug angekommen war. Er hatte seinen Fronturlaub im letzten Brief angekündigt, konnte aber nicht auf den Tag genau sagen, wann er wiederkommen würde. Nun stand er plötzlich da, in Uniform, frisch rasiert und den schweren Rucksack neben sich auf der Straße.

      Sie hatte die Zeit am Nachmittag, in der Kurt noch einmal schlief, für einen Einkauf genutzt und kam eben die Hauptstraße entlang zum Haus zurück. Es lag in der Seitenstraße, die hinunter ins Tal führte, und schon von weitem sah sie ihren Mann auf sie warten. Als sie ihn vor dem Haus stehen sah, merkte sie, wie ihre Knie weich wurden und sie nicht mehr in der Lage war, auf ihn zuzugehen und ihn zu umarmen.

      Stattdessen ließ er den Rucksack stehen, rannte nicht, sondern ging mit entschlossenem Schritt auf sie zu und in seinem Gesicht erkannte sie die Liebe, die er für sie empfand. Weinend fielen sie sich um den Hals und küssten sich, als ob ihr Wiedersehen nur eine Einbildung sei oder Richard im nächsten Moment wieder fort müsste.

      Richard hätte ohne weiteres den Schlüssel nehmen können, der immer rechts oben am Haustürrahmen hing. Sie war froh, dass er draußen gewartet hatte, weil sonst Kurt vielleicht wach geworden wäre. Der Kleine kannte seinen Vater bisher nicht und wäre mit der Situation wahrscheinlich überfordert gewesen.

      Als Kurt kurz darauf aufwachte, konnte Richard seinen Sohn zum ersten Mal auf den Arm nehmen und fing dabei sogar an zu weinen. Kurt saß mit verschlafenen Augen auf seinem Schoß und bemerkte davon nichts. Sie saßen zu dritt am Küchentisch und für einen Augenblick fühlten sie sich wie eine ganz normale Familie.

      Als Richard eingezogen wurde, war sie bereits im neunten Monat schwanger. Sie wussten damals nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde. Für den Vornamen Kurt hatte sie sich entschieden, weil ihr eigener Vater so geheißen hatte. Wäre es ein Mädchen geworden, hätte es nach ihrer Mutter Karla heißen sollen.

      Kurt war Anfang des Jahres ein Jahr alt geworden und fing bereits an, mit unsicheren Schritten langsam in der Küche herum zu stapfen. Als Richard nach Hause kam, konnte Kurt bereits “Mama” sagen. Er schien so stolz darauf zu sein, dass er ständig und scheinbar ohne Grund mit lauter Stimme nach ihr rief.

      Sie hatte damals versucht, Kurt auch beizubringen, seinen Vater mit “Papa” anzusprechen. Er lernte dieses Wort während der zwei Wochen nicht und es dauerte noch eine ganze Weile, bis er anfing, von seinem Vater zu sprechen. Wie sollte er auch über einen Mann reden, den er nur von dem Hochzeitsfoto kannte, das im Wohnzimmer neben dem Schrank hing.

      Karla kam im Sommer 1942 zur Welt. Sie hatte ihren Vater nie gesehen und auch sie hatte zu dem Bild an der Wand nie einen Bezug finden können. Für die Kinder war der Mann auf dem Foto ein Fremder, mit dem sie keine Erinnerungen verbanden und den sie deshalb auch nicht vermissen konnten.

      Sie hatte sich immer bemüht, der scheinbaren Gleichgültigkeit ihrer Kinder entgegenzuwirken. Sie konnte nachvollziehen, dass man nur dann etwas vermissen kann, wenn man es kennen gelernt und lieb gewonnen hatte. Es war beinahe so, als ob Kurt und Karla nie einen Vater gehabt hätten. Mit dem sie zusammen spielen und lachen konnten. Der sie ihn den Arm nahm und liebevoll küsste. Sie hatte diese Erinnerungen an Richard, die sie sozusagen am Leben hielten, den Kindern schienen sie völlig zu fehlen.

      Wenn Kurt und Karla bereits im Bett waren, stellte sie sich manchmal vor, dass alles so war wie früher. Manchmal ertappte sie sich dabei, dass sie mit Richard sprach, als ob er direkt neben ihr stand. Sie erzählte ihm von den Dingen, die sie heute zu tun gehabt hatte. Fragte ihn, ob er auf dem Feld gut vorangekommen ist. Und hörte ihn reden, als ob es diesen Krieg niemals gegeben hätte und er nach wie vor bei ihr war.

      Später fiel es ihr immer schwerer, den Kindern von Richard zu erzählen. Am Anfang hatte sie ihnen immer gesagt, dass er die beiden unheimlich lieb hat und dass es ihm gut geht. Dass er bald wiederkommt und sie dann wieder beisammen sein werden. Mittlerweile fing sie dabei an zu weinen, weil sie sich nicht mehr sicher war, ob sie selbst noch daran glauben konnte.

       Kapitel 4

      Als Richard auf Heimaturlaub war, schliefen sie gleich am ersten Abend miteinander. Sie hatte Kurt bereits um sieben Uhr im Bett und saß mit Richard, wie früher auch, in der Küche. Sie war dabei, Kartoffeln zu schälen und wollte sie am nächsten Tag in der Pfanne anbraten. Richard liebte Bratkartoffeln mit Speck und hatte dies seit zwei Jahren nicht mehr gegessen.

      Wie früher auch unterhielten sie sich, ohne dass sie den Blick vom Küchenmesser und den Kartoffeln ließ. Richard hatte sich zu Beginn ihrer Ehe darüber beschwert, sah dann aber ein, dass dies kein Desinteresse und von seiner Frau nicht unhöflich gemeint war. Er hatte irgendwann verstanden, dass sie keinen Blickkontakt brauchte, um aufmerksam zuhören zu können.

      An diesem Abend aber nahm Richard plötzlich die Schüssel, die sie auf ihrem Schoß stehen hatte und in der sie die Kartoffelschalen sammelte. Er stellte sie auf den Küchentisch, nahm ihr das Messer aus der Hand und schob behutsam ihre Knie auseinander. Dann kniete er zwischen ihren Beinen und begann, seinen Kopf an ihren Brüsten zu reiben.

      Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten und streichelte ihn an Rücken und Nacken. Sie küsste sein immer lichter werdendes Haar und bemerkte dabei, dass er nachmittags in der Badewanne sich wieder nur mit Kernseife gewaschen hatte. Doch sie vergaß schnell, wegen dieser Unart mit ihm zu schimpfen. Seine rechte Hand war inzwischen unter ihren Rock gewandert und streichelte zärtlich die Innenseiten ihrer Oberschenkel.

      Ihr Atem ging schneller und sie merkte, wie lange es her war, dass Richard sie auf diese Weise berührt hatte. Auch er atmete laut, hatte sich nun aufgerichtet und zog sie an sich. Er küsste sie intensiv und seine Zunge suchte die ihre. Seine Hände streichelten ihre Brüste und um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, zog sie ihn hinüber zum Küchenschrank, um besseren Halt zu haben.

      Ohne hinsehen zu müssen, öffnete sie seinen Gürtel und die Knöpfe seiner Hose. Sie spürte, dass sein Glied bereits steif war und danach verlangte, aus der engen Unterhose befreit zu werden. Langsam ging sie auf die Knie, holte vorsichtig sein Glied hervor und begann es zu küssen. Er strich zärtlich über ihren Kopf und bebte bereits heftig. Dann schob er sie auf die viel zu schmale Eckbank.

      Er zog ihren Rock nach oben und half ihr dabei, den Schlüpfer auszuziehen. Sie legte sich langsam nach hinten und spürte, wie er vorsichtig und dennoch entschlossen in sie eindrang. Sie erwiderte seine rhythmischen Bewegungen und genoss es, endlich wieder ganz Frau sein zu dürfen. Er kam etwas früher zum Höhepunkt als sie, achtete aber darauf, dass auch sie sehr schnell den Punkt erreichte, der sie zumindest für einen Moment alles andere vergessen ließ.

      Während Richard zuhause war, erzählte er ihr von einem Lied mit Namen Lili Marleen, das sie an der Front hin und wieder im Radio hörten. Es ging um ein Mädchen, das mit einem Soldaten befreundet war. Das mit ihm am Kasernentor unter einer Straßenlaterne stand und sich dort von dem Soldaten verabschiedete. Der an die Front musste und davon träumte, einmal wieder mit dem Mädchen bei dieser Laterne zu stehen.

      Dass der Soldat Angst davor hatte, sein Mädchen nicht mehr wieder zu sehen, wusste sie nicht. Richard hatte ihr bewusst nur die ersten Strophen des Liedes vorgesungen. Von den beiden Schatten, die wie einer aussahen. Vom Kameraden, der sie ermahnte, dass bereits Zapfenstreich war und sie sich verabschieden sollten.

      Sie stellte sich vor, wie Richard und sie eng umschlungen vor der Kaserne standen. Romantisch fand sie das nicht, sie wusste nicht einmal, ob vor der Kaserne, bei der Richard sich melden musste, eine Laterne stand. Soweit sie sich erinnern konnte, war der Eingangsbereich sowieso mehr als hell von Scheinwerfern beleuchtet.

      Sie hatte das Lied von Lili Marleen noch nie zuvor gehört und wusste nicht einmal, ob es auch in Deutschland gespielt wurde. Die Schwiegereltern hatten zwar einen Volksempfänger im Wohnzimmer stehen. Doch dort war sie sehr selten. Auch bei den Schwiegereltern war das Wohnzimmer ein Raum, der meist nur am Sonntag genutzt wurde.

      Das