Raya Mann

Serenus II


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      „Na ja. Wahrscheinlich wird gar nichts passieren. Es wird bei dem einmaligen Ausrutscher bleiben“, seufzte Ralf und es hörte sich fast wie Bedauern an. „Aber du musst auf dich aufpassen, Serenus. Ich rufe dich nächstes Wochenende wieder an, wegen der Fortsetzung“, schloss er das Gespräch.

      Yvette machte es ihm leicht. Sie kam in sein Büro, begrüßte ihn und fragte: „Passt es dir um halb vier? Heute ist Dienstag, da gehen wir doch immer zusammen in die Cafeteria.“

      „Genau. Apfelkrapfen und heiße Schokolade. Abgemacht!“

      Er sah sie ein paar Sekunden lang an und musterte ihr Gesicht. Sie war wieder seine stille Schönheit und hatte nichts mit Miss Sexy vom Planet Motion gemein. Aber bevor sie sich umdrehte, um sein Büro wieder zu verlassen, legte sie den Zeigfinger an ihre Lippen.

      Als Serenus am Nachmittag in die Cafeteria kam, saß sie schon an einem Tisch und wartete auf ihn. Er holte sich einen Kaffee und eine Laugenbrezel mit Butter und setzte sich ihr gegenüber. Wieder betrachtete er sie, konnte sich aber nicht vorstellen, dass er diese Yvette nackt auszog und ihre Brüste mit Eiswürfeln abrieb. Gleichzeitig wusste er mit größter Sicherheit, dass er sie, wenn sie sich ihre andere Haut überzog, wieder genauso heftig begehren würde wie vor drei Tagen und sie ihn auch. Und das letzte Detail würden sie dann auch nicht mehr auslassen.

      „Ich möchte etwas mit dir besprechen“, unterbrach Yvette seine Gedanken. „Es ist wegen meines Rotationsplans. Ich bin zwar erst sechs Wochen bei euch in der Administration, aber ich beherrsche die Fakturierung auf SAP schon jetzt. Heute sagte selbst die Teamleiterin zu mir, dass sie mir nichts mehr beibringen könne. Aber meine nächste Rotation ist erst zum ersten Juli vorgesehen. Ich habe jedoch gehört, dass im Dialyse-Ambulatorium zwei Sekretärinnen ausgefallen sind. Dort wären sie sicher froh, wenn ich einspringen würde, vor allem jetzt, wo ich auf SAP abrechnen kann.“

      „Die Idee ist genial. Die Pflegedienstleitung wird dir die Füße dafür küssen. Hast du schon mit Schwester Jacqueline gesprochen?“

      „Soviel ich weiß, ist Schwester Jacqueline diese Woche noch im Urlaub. Die Idee kam mir am Wochenende. Andererseits gefällt es mir gut bei euch in der Administration und ich gehe nicht gerne fort.“

      Serenus hatte Yvettes Absicht sofort durchschaut. Solange sie in seiner Nähe war, wären sie beide der ständigen Versuchung ausgesetzt, oder zumindest ihren Fantasien. Das wollte sie mit der Versetzung ins Dialyse-Ambulatorium verhindern, denn dieses befand sich außerhalb des Krankenhauses, in einem anderen Teil der Stadt.

      „Und wohin führt dich die Rotation im Juli?“, fragte er interessiert.

      „Dann komme ich für vier Monate in die Klinikleitung zu den Chefarztsekretärinnen.“

      „Das passt ja alles bestens zusammen. Ich kann dir nicht wirklich etwas entgegenhalten. Leider...“, seufzte er.

      „Wenn ich mit der Lehre fertig und volljährig bin, bewerbe ich mich einfach in deinem Bereich“, tröstete ihn Yvette und strahlte ihn an.

      ❖

      Als das nächste Jahr anbrach, verliebte sich Serenus ernsthaft und folgenreich. Er hatte die Frau schon oft beobachtet, wenn er Ralf und Walli nach Feierabend im Bermuda getroffen hatte. Aufgrund ihrer äußeren Erscheinung und ihrer Verhaltensweisen hielt er sie für sein weibliches Pendant. Die anderen Frauen im Bermuda trugen mehr Schmuck und mehr Make-up, rochen schwerer und süßer, gingen auf höheren Absätzen. Die Persönlichkeit dieser Frau strahlte sowohl Sicherheit und Ruhe als auch eine gewisse Verlorenheit aus. Sie schien nicht so viele Leute zu kennen, dafür führte sie mit ihren Freundinnen lange und ernsthafte Gespräche, wozu sie eine Zigarette nach der anderen rauchte. Als er eines Tages beobachtete, wie sie vergeblich nach einer Zigarette in ihrem leeren Päckchen suchte, verlangte er beim Barmann ein neues, trat zu ihr und bot ihr eine daraus an. Das Päckchen trug er von da an immer bei sich. Seither schenkte sie ihm jedes Mal ein Lächeln, wenn er ins Bermuda kam.

      Das große Ereignis jener Tage bestand darin, dass Ralfs Schwester sich einen lang gehegten Traum erfüllt und endlich ihr eigenes Lokal eröffnet hatte. Sinnigerweise nannte sie es ganz einfach und schlicht Wallis Bar. Nun feierte Serenus seine After Work-Partys dort, so dass er erst nach einigen Monaten wieder einmal das Bermuda betrat. Er war alleine unterwegs und früher dran als sonst. Die meisten Gäste würden erst in einer Stunde kommen. Er nahm sich eine Tageszeitung, setzte sich an die Bar und begann zu lesen.

      Er hörte die Frau nicht kommen und erschrak daher, als sie sich zu ihm setzte und ihn ansprach: „Welch schöne Überraschung nach so langer Zeit. Ich habe dich vermisst! Warst du verreist?“

      Er erklärte ihr die Sache mit Wallis Bar, welche sie auch kannte, in der sie aber bisher nur einmal gewesen war, weil ihre Bekannten eben nicht dort, sondern im Bermuda verkehrten. Sie wusste, wer Ralf war, weil sie beide zufällig für dieselbe Firma arbeiteten, hatte jedoch nie mit ihm zu tun gehabt, denn sie war in der Forschung tätig. Sie hatte in Biochemie oder Mikrobiologie promoviert, was Serenus ohnehin nicht unterscheiden konnte. Ihr Spezialgebiet war ein bestimmtes Virus und sie kannte jedes Atom und jede Bindung in der molekularen Struktur seines Erbgutes auswendig. Am Computer zeichnete sie neue chemische Substanzen, die exakt zur Struktur des Virus passten, so dass sie andocken und damit die Fortpflanzung des Virus blockieren konnten. Wenn sie ein solches Molekül entworfen hatte, versuchte sie, es im Reagenzglas herzustellen. Damit sich die einzelnen Gruppen von Kohlenwasserstoffen zu dem vorausberechneten Molekül zusammenfügten, waren zahlreiche chemische Reaktionen notwendig, die bei Minustemperaturen von hundert Grad und kälter abliefen. Das konnte einen Monat oder auch ein Jahr dauern. Wenn der vermutete Wirkstoff fertig war, überprüften die Kristallographen im Elektronenmikroskop, ob das Molekül auch tatsächlich die gesuchte Form besaß.

      Serenus hatte noch nie einen naturwissenschaftlichen Vortrag gehört, der so abstrakt und gleichzeitig so verständlich war. Er konnte sich alles, was sie ihm erklärte, ganz genau vorstellen. Zugleich sprach die Frau mit einer Begeisterung, mit einem solchen feu sacré, dass er um ein Haar Gänsehaut bekommen hätte. Für sie stellte ihr Labor so etwas wie eine Geburtsklinik dar, in welcher molekulare Babys gezeugt und auf die Welt gebracht wurden.

      Nach diesem Abend ging sie nicht mehr ins Bermuda, sondern in Wallis Bar, und zwar an denselben Wochentagen wie Serenus. Ralf zeigte sich zufrieden mit dieser Entwicklung und lobte ihn für seine Wahl.

      „Endlich gibst du dich mit einer Frau ab, die sowohl erwachsen als auch zurechnungsfähig ist. Weder ein Teenager noch eine Verrückte. Serenus, ab jetzt wird dein Leben unkompliziert. Du wirst sehen, dass die Liebe im Prinzip total easy ist. Ich bestelle noch zwei Mojitos, damit wir auf deine Zukunft als Normalo anstoßen können.“

      „Eigentlich eine schöne Idee“, gab Serenus zu. „Seit ich jeden Tag zur Arbeit gehe und jeden Monat mein Gehalt auf dem Konto habe, denke ich tatsächlich auch über ein geregeltes Liebesleben nach.“

      „Ich wusste, du kapierst es“, rief Ralf aus. „Männer, die mit dreißig ihre Adoleszenz nicht abgeschlossen haben, landen früher oder später im Irrenhaus!“

      Der Barmann stellte den Nachschub auf den Tresen und sie prosteten sich zu.

      „Und was ist mit dir? Warum bist du noch ungebunden?“, wollte Serenus wissen.

      „Jetzt mach mal halb lang“, lachte Ralf. „Du bist vier Jahre älter als ich. Wenn ich so alt bin wie du jetzt, wirst du mein Trauzeuge sein. Denk an meine Worte.“

      Serenus runzelte die Stirn. „Muss es gleich heiraten sein?“

      „Wenn ich dich mit deiner neuen Flamme sehe, wirkt es auf mich, als wärst du schon ihr Ehemann. Merkst du überhaupt, wie gut sie dir tut?“ Serenus dachte nach und stimmte dann zu.

      „Ja. Ihre Ausgeglichenheit und ihre Munterkeit sind ansteckend. Das möchte ich mir unbedingt bewahren.“

      Serenus hätte niemals zugegeben, dass er sich in die Frau verliebte, weil sie einfach alles hatte. Sie lebte alleine in einer großzügigen