Raya Mann

Serenus II


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geschenkt bekommen. Sie fuhr einen neuen japanischen Sportwagen, einen Zweiliterturbo mit über zweihundert PS, der gerade mal tausend Kilometer auf dem Zähler hatte. Ihre Garderobe füllte eine ganze Schrankwand, die fünf Meter breit und zwei Meter hoch war. Sie kleidete sich zwar weder teuer noch auffällig, aber sie kaufte gerne ein und sie sammelte sündhafte Unterwäsche, die außer Serenus niemand zu Gesicht bekam.

      Auch ihr Wesen erschien ihm irgendwie vollständig und abgerundet. Sie fand jeden Tag einen Anlass sich zu freuen und wenn sie frustriert war oder sich ärgerte, hatte sie es nach ein paar Stunden wieder vergessen. Ihr Seelenleben folgte einem festen Rhythmus und ihre Einstellung den Wechselfällen des Lebens gegenüber war so unerschütterlich wie ihre Prinzipien. Ohne Fehler lerne man nichts und ohne Frust verändere man nichts. Katastrophen seien dazu da, dass man irgendwann etwas zum Staunen und Lachen habe. Insgeheim bewunderte Serenus sie und hoffte, sie würde sein Leben in ruhigere Bahnen lenken. Nicht, dass er etwas aus seinem bisherigen Leben bereute, aber dass es so weiterging wie bisher, entsprach dennoch nicht seinen Plänen.

      Nach einem Monat steuerte er den Sportwagen, nach zwei Monaten teilte sie die Vierzimmerwohnung mit ihm und nach drei Monaten sprachen sie vom Heiraten. Nach vier Monaten nahmen sie gemeinsam Urlaub, um nacheinander ihre und seine Eltern zu besuchen.

      Seine zukünftigen Schwiegereltern lebten, bewacht von zwei abgerichteten Hunden, in einem gigantischen dunkelbraunen Bungalow mit einem unförmigen Walmdach, in welchem die oberen zwei Etagen verborgen waren. Fremden blieb der Anblick allerdings erspart, denn das Grundstück war von einer vier Meter hohen Hecke umgeben. Das Innere des Hauses war mit unzähligen Wildeberköpfen und Steinbockgehörnen dekoriert.

      Nach dem Abendessen bat der Vater Serenus immer in das Herrenzimmer, wo die Glastürenschränke mit den Flinten und Gewehren standen. Sie schlürften dunkelbraunen Armagnac und unterhielten sich in einer Atmosphäre erzwungenen Wohlwollens, die darauf gründete, dass Serenus vorgab, demnächst die Jagdkunst zu erlernen, über Politisches und Wirtschaftliches. Die Mutter floss über vor Vertrauen und Zuversicht, dass ihr einziges Kind die einzig richtige Wahl getroffen hatte, was sie jeden Tag mehrmals kundtat. In dieser Umgebung gab sich seine Zukünftige etwas kindlicher, als wenn sie alleine waren. Aber ihre Mädchenhaftigkeit unterstrich auf liebenswerte Weise ihre Natürlichkeit. Zudem ging Serenus davon aus, dass er sie höchstens in jährlichen Abständen hierher würde begleiten müssen.

      Nur ein einziges Mal fühlte er sich wirklich verunsichert, als nämlich sein Schwiegervater beim Armagnac auf die Mitgift für seine Tochter zu sprechen kam. Serenus schlug unbekümmert ein, obwohl er nicht begriff, was ihm angeboten worden war. Einige Zeit später erklärte ihm sein Anwalt, dass es sich um ein vorgezogenes Erbe handelte, wobei jedoch dieses Erbe mitsamt der Nutznießung nicht unter den Ehevertrag fiel.

      Den anderen Urlaub verbrachten sie nicht im Elternhaus, wo Serenus aufgewachsen war, denn der Vater hatte sie alle zusammen für ein paar Tage in das Gästehaus auf einem Weingut eingeladen, welches auf der Höhe von Colmar an den Osthängen der Vogesen lag. Serenus war das Kind seiner Eltern. Er hatte eine Schwäche sowohl für gutes Essen als auch für alkoholische Getränke.

      Der Vater konnte sich für vieles begeistern, sprach aber am liebsten von seinen volkskundlichen und ethnographischen Studien. Er korrespondierte nach wie vor mit seinen Bekannten vom Verein Freunde der Völkerkunde Wien, der auch ein paar seiner Aufsätze veröffentlicht hatte.

      Die Mutter interessierte sich in erster Linie für alles, was den Söhnen wichtig war. Folglich richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Schwiegertochter. Ihr Erstgeborener hatte überhaupt nichts mit Frauen im Sinn gehabt und Theologie studiert. Als gerechten Lohn für die Geduld, die sie für „ihre Männer“ aufgebracht hatte, präsentierte ihr Jüngster jetzt eine Braut, die sich als freundliche und wohlgeratene Tochter aus gutem Hause erwies. Sie fanden sogar ein gemeinsames Steckenpferd, nämlich Möbel und Textilien. Sie verbrachten einen ganzen Tag zusammen und besuchten ohne die beiden Männer das Tapeten-Museum in Rixheim. Währenddessen wanderten Vater und Sohn von Munster aus auf den Petit Ballon. Serenus war nicht entgangen, dass der Vater eher reserviert auf seine Zukünftige reagierte, und er nutzte die Gelegenheit, um ihn direkt danach zu fragen. Der Vater lachte und antwortete lakonisch: „Sie ist ein Schluck Wasser. Sie erinnert mich kolossal an die Mutter vor vierzig Jahren, als sie so jung war wie deine Frau heute. Du hast demnach gute Chancen, mit ihr alt zu werden.“

      Die Trauung fand an einem Mittwoch Ende Juli statt, am selben Tag, an welchem Serenus zweiunddreißig Jahre alt wurde. Zum Standesamt kamen das Brautpaar, alle vier Elternteile und die Trauzeugen, nämlich Ralf und Xenia, die beste Freundin der Braut. Abends ging man zu acht vornehm essen.

      Zwei Tage später stieg in Wallis Bar ein rauschendes Fest in geschlossener Gesellschaft mit mehr als zweihundert Personen. Auch seine Abteilung vom Krankenhaus kam vollzählig. Unter den Gästen befanden sich viele ehemalige Kommilitonen, Anja zum Beispiel, sowie die wichtigsten Bekannten von den After Work-Partys und natürlich zahlreiche Freundinnen und Arbeitskollegen seiner Ehefrau.

      Ganz unvorbereitet traf ihn die Anwesenheit einer einzigen Person. Walli hatte den besten DJ der Stadt engagiert, der an diesem Abend die passende Musik auflegte. Dieser brachte seine schwangere Freundin mit, die soeben ihre kaufmännische Lehre abgeschlossen hatte. Sie war erst achtzehn, seit ein paar Wochen. Sie trug eine silberne Kraushaarperücke, schaute immer wieder in seine Richtung und schickte ihm winzige vertrauliche Signale. Sobald er sich von seinen Gästen freimachen konnte, begab er sich zum Mischpult, begrüßte zuerst kurz den DJ und danach Yvette, die sich lange von ihm umarmen und drücken ließ. Er fühlte ihren dicken Bauch, der sich ihm entgegenwölbte, und empfand ein gewisses Bedauern.

      Sie verreisten in ihre Flitterwochen. Eigentlich wäre Serenus mit seiner Ehefrau am liebsten nach Sevilla oder nach Wien gefahren, um ihr etwas von seiner Vergangenheit zu zeigen. Sie jedoch drängte auf Strandferien und wählte Portugal als Urlaubsland, weil sie für den neuen Hausstand farbiges Geschirr und fröhliche Wäsche einkaufen wollte. Damit war er einverstanden, denn das Steingut mit den blauen und bunten Mustern erinnerte ihn an Spanien. Dafür begleitete sie ihn zu allen historischen Denkmälern, die er besichtigen wollte. Sie verbrachten drei Wochen an der Algarve und fühlten sich dort so richtig als frisch vermähltes Ehepaar.

      Sein neuer Zivilstand erfüllte ihn mit verschiedenen intensiven Gefühlen, von denen zwei besonders herausragten: Verliebtheit und Stolz. Er hatte eine attraktive Frau geheiratet, die seinen sinnlichen Bedürfnissen entsprach. Er liebte ihren Anblick, ihre Stimme und ihren Geruch. Sie zu berühren, zu küssen und zu umarmen bereitete ihm Lust. Darin bestand seine Verliebtheit. Der Eintritt ins Eheleben gab ihm das Gefühl, an Bedeutung gewonnen zu haben. Jetzt ließ er seinen Status als Uniabgänger und Berufsanfänger unwiderruflich hinter sich. Nach den Flitterwochen würde er die letzte Handlung vollziehen und seine Studentenbude räumen. Er hatte es geschafft, und nichts hinderte ihn mehr daran, sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu etablieren. Die Heirat beendete somit seine Adoleszenz. Er war erwachsen geworden. Darin bestand sein Stolz.

      Ungefähr ein Jahr nach der Hochzeit begannen beide Gefühle zu schwinden. Unbemerkt zuerst, aber unaufhaltsam. Nach zwei Jahren blieb nur noch ein kläglicher Rest von seiner Verliebtheit und seinem Stolz übrig. Theoretisch hatte er zwar gewusst, dass Verliebtheit ihren Glanz verliert, aber er war davon ausgegangen, dass sich an ihrer Stelle etwas Neues, vielleicht etwas Höheres, entwickeln würde.

      Als zwei Jahre um waren, erregten ihn ihr Anblick, ihre Stimme und ihr Geruch nicht mehr. Sie zu berühren, zu küssen und zu umarmen, verursachte ihm lediglich ein schales Gefühl. Dies geschah, obwohl sie eine tadellose Zeit gehabt hatten. Die Wohnung war immer schöner geworden, sie waren dreimal im Jahr zusammen verreist, zweimal hatten sie ihren Urlaub zusammen mit Ralf und seiner Schwester Walli verbracht. Vor ein paar Monaten hatte er sich sogar ein eigenes Auto gekauft. Seine Frau war im Begriff, Karriere zu machen, und die Firma hatte ihr bereits ein stupendes Angebot unterbreitet. Serenus plante, noch ein, höchstens zwei Jahre im Krankenhaus zu arbeiten und sich dann etwas Neues zu suchen.

      Er wusste, dass etwas Schreckliches geschehen würde und er wusste ebenso, dass er darauf wartete, dass es eintrat. Da er sich nicht vorstellen konnte, wie sich die Stunde