Edgar Wallace

Edgar Wallace - Gesammelte Werke


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kommen, und verläßt sich darauf, daß die Aussicht auf dieses galante Abenteuer seine Wirkung nicht verfehlen wird.«

      »Und Thornton Lyne kommt in Filzschuhen?« fragte Tarling sarkastisch. »Nein, Whiteside, da stimmt irgend etwas nicht.«

      »Da haben Sie schon recht«, gab der andre zu, »aber ich möchte den Fall erst einmal in großen Umrissen skizzieren. Lyne kommt tatsächlich und trifft Milburgh in der Wohnung von Odette. Milburgh spielt jetzt seinen letzten Trumpf aus, er gesteht seine ganze Schuld und steuert auf die Lösung zu, die er seit langer Zeit vorbereitet hat. Lyne lehnt ab, es entsteht ein Streit zwischen den beiden, und in seiner Verzweiflung erschießt Milburgh den anderen.«

      Tarling schüttelte den Kopf und lächelte eine Weile vergnügt vor sich hin.

      »Ja, die ganze Geschichte gibt uns viele Rätsel auf«, sagte er dann.

      Die Tür öffnete sich, und ein Polizeibeamter trat ein.

      »Hier sind alle Einzelheiten, die Sie wünschten.« Er wandte sich an Whiteside und überreichte ihm ein maschinebeschriebenes Blatt.

      »Ach, sehen Sie, hier haben wir alle Details über unseren Freund Sam Stay«, sagte Whiteside, als der Beamte den Raum verlassen hatte. Er las halblaut vor sich hin. »Größe ein Meter zweiundsechzig, blasse Hautfarbe ... trägt einen grauen Anzug und Unterzeug mit dem Stempel der Landesirrenanstalt ... Hallo!«

      »Was ist los?« fragte Tarling.

      »Das ist wichtig.« Der Inspektor las weiter: »Als der Patient ausbrach, hatte er keine Schuhe. Er hat einen außergewöhnlich kleinen Fuß. Außerdem fehlt ein großes Küchenmesser. Es ist auch möglich, daß der Mann bewaffnet ist. Alle Schuhmacher sollten benachrichtigt werden ...«

      »Sam Stay war barfuß, als er ausbrach?« Tarling stand vom Tisch auf und runzelte die Stirn. »Sam Stay haßte Odette Rider.«

      Die beiden sahen sich an.

      »Sehen Sie nun, wer Mrs. Rider umgebracht hat?« fragte Tarling. »Sie wurde von einem Menschen getötet, der sah, wie Odette Rider ins Haus ging, und der vergeblich darauf wartete, daß sie wieder herauskam. Er schlich ihr nach, um, wie er sich einbildete, seinen toten Wohltäter an ihr zu rächen. Und dann tötete er diese unglückliche Frau. Jetzt erklären sich auch die Buchstaben M. C. A. auf dem Griff des Messers. Sie bedeuten Middlesex County-Asylum. Er hat das Messer bei sich gehabt. Als er seinen Irrtum einsah, suchte er nach ein Paar Schuhen für seine blutenden Füße, und als es ihm nicht mehr gelang, auf einem anderen Weg wieder in das Haus zu kommen, ging er um das Gebäude herum, um zu sehen, ob er nicht durch irgendein Fenster hineingelangen konnte, um Odette Rider zu finden.«

      Whiteside sah ihn erstaunt an.

      »Schade, daß Sie ein so großes Vermögen geerbt haben«, sagte er bewundernd. »Wenn Sie sich zurückziehen, wird unser Vaterland um einen großen Detektiv ärmer werden.«

      »Ich habe Sie bestimmt schon irgendwo gesehen?«

      Der stattliche Geistliche mit der tadellos weißen Halskrause beugte sich liebenswürdig zu dem Mann hinab, der ihn fragte, und schüttelte dann mit einem freundlichen Lächeln den Kopf.

      »Nein, mein lieber Freund, ich kann mich durchaus nicht besinnen, Ihnen jemals begegnet zu sein.«

      Es war ein kleiner Mann mit einem abgetragenen Anzug, der ungewöhnlich blaß und krank aussah. Sein Gesicht war mager und von vielen Furchen durchzogen. Seit Tagen hatte er sich nicht mehr rasiert, und die vielen kleinen Bartstoppeln gaben ihm ein düsteres Aussehen.

      Der Geistliche hatte gerade Temple Gardens verlassen, als ihn der andere ansprach. Er sah als Pastor wohlwollend aus und trug einen großen Band unter dem Arm.

      »Ich habe Sie aber doch schon gesehen«, sagte der kleine Mann beharrlich. »Ich habe Sie sogar im Traum gesehen.«

      »Wollen Sie mich jetzt bitte entschuldigen«, erwiderte der Geistliche. »Ich kann mich nicht länger mit Ihnen aufhalten. Ich habe eine wichtige Verabredung.«

      »Warten Sie, ich muß mit Ihnen sprechen«, rief der unscheinbare Mann so heftig, daß der andere stehenblieb. »Ich sage doch, daß ich von Ihnen geträumt habe, ich habe gesehen, daß Sie mit vier nackten schwarzen Teufeln tanzten. Und sie sahen alle fett und häßlich aus.«

      Er hatte die letzten Worte leise gesprochen, aber mit einer eindringlichen, monotonen Stimme.

      Der Geistliche trat erschrocken einen Schritt zurück.

      »Mein lieber Mann«, sagte er ernst. »Sie können nicht andere Leute auf der Straße anhalten, um ihnen derartigen Unsinn zu erzählen. Ich habe Sie früher nie getroffen. Mein Name ist Reverend Josiah Jennings.«

      »Sie sind Milburgh, ganz bestimmt, jetzt weiß ich es. Er hat oft von Ihnen gesprochen, dieser wunderbare Mann. Hören Sie doch zu!« Er faßte den Geistlichen am Ärmel, und Milburgh – er war es wirklich – wurde blaß, denn der andere hatte ihn wütend gepackt und sprach nun leidenschaftlich und wild. »Wissen Sie, wo er jetzt ist? Er liegt in einem schönen Gewölbe, das ist so groß wie ein Haus und steht auf dem Highgate-Kirchhof. Zwei Türen führen hinein, sie sind so schön und so groß wie Kirchentüren. Und dann muß man eine kleine Marmortreppe hinuntersteigen.«

      »Wer sind Sie eigentlich?« fragte Milburgh. Er war so von Furcht gepackt, daß seine Zähne klapperten.

      »Sie kennen mich nicht?« Der kleine Mann schaute, ihn scharf an. »Sie haben doch gehört, wie er Ihnen von mir erzählt hat? Ich bin Sam Stay – ich habe mehrere Tage im Warenhaus gearbeitet. Alles, was Sie haben, stammt von ihm. Jeden Pfennig, den Sie verdienten, haben Sie von Mr. Lyne bekommen. Er war freundlich zu allen Menschen, zu den Armen und Elenden, selbst zu einem Verbrecher, wie ich es bin.« Seine Augen füllten sich mit Tränen.

      Mr. Milburgh sah sich um, ob ihn auch niemand beobachtete.

      »Reden Sie keinen Unsinn«, sagte er leise. »Und hören Sie einmal zu. Wenn Sie jemand fragt, ob Sie Mr. Milburgh gesehen haben, dann sagen Sie nein, haben Sie mich verstanden?«

      »Ich habe Sie wohl verstanden. Ich kenne Sie ganz genau. Ich kenne alle Leute, mit denen er in Verbindung stand. Er hat mich aus dem Schmutz aufgelesen.«

      Sie waren zusammen langsam weitergegangen und hatten eine stille Ecke im Park erreicht. Milburgh setzte sich auf eine Bank und ließ den anderen neben sich Platz nehmen.

      Zum erstenmal war er mit der Wahl seiner Verkleidung zufrieden. Der Anblick eines Pastors, der mit einem abgerissenen Mann sprach, mochte wohl auffallend sein, aber er konnte unter keinen Umständen Verdacht erregen. Es gehörte ja zu den Pflichten eines Geistlichen, die Armen und Elenden zu trösten, und man konnte annehmen, daß sie ein ernstes religiöses Gespräch miteinander führten.

      Sam Stay schaute neugierig und mißtrauisch auf das schwarze Gewand und den weißen Kragen.

      »Seit wann sind Sie denn Pastor geworden?« fragte er.

      »Das ist schon eine ganze Weile her«, sagte Milburgh glatt. Er versuchte sich alle Tatsachen ins Gedächtnis zurückzurufen, die er über Sam Stay gehört hatte, aber er wurde dieser Mühe durch den anderen enthoben.

      »Man hat mich irgendwo im Land eingesperrt, aber Sie wissen ja ganz genau, daß ich nicht verrückt war, Mr. Milburgh. Er hätte sich doch nie mit jemand abgegeben, der nicht richtig im Kopf ist. Und Sie sind nun mit einemmal Geistlicher geworden?« Er nickte plötzlich klug und verständig. »Hat er Sie zum Geistlichen gemacht?« fragte er dann neugierig. »Mr. Lyne konnte wunderbare Dinge tun. Haben Sie die Leichenrede über ihn gehalten, als er begraben wurde? Sie wissen doch, in dem schönen kleinen Gewölbe in Highgate? Ich habe ihn dort gesehen. Ich gehe jeden Tag dorthin. Ich fand es ganz durch Zufall. Zwei kleine Türen führen hinein. Sie sind wie Kirchentüren.«

      Mr. Milburgh seufzte lange und tief. Er erinnerte sich jetzt daran, daß Sam Stay in eine Irrenanstalt gebracht worden war. Er hatte auch erfahren, daß er von dort wieder ausgebrochen war. Es war gerade nicht sehr angenehm, sich mit einem entsprungenen