Carl Hilty

Schlaflose Nächte


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      Man kann auch sagen: Es ist bloß wichtig, den Geist in sein Leben hinein zu bekommen, den das Evangelium den heiligen nennt; der tut dann alles Weitere.

      So kann man auch noch weiter sagen: Mache zeitweise alle religiösen Bücher zu außer der Bibel, und selbst in dieser lass alles, außer den Worten und Taten Christi. Das andere ist zur Seligkeit nicht nötig, kann aber zeitweise wieder eine brauchbare Unterstützung oder Anregung sein.

      Es ist bemerkenswert, wie das Evangelium allein auf arbeitende Leute vollkommen wirkt. Dem tätigen Menschen ist es eine beständige Erquickung auf seinem Weg. Ein Müßiggänger, auch ein geistlicher, muss dagegen noch etwas dazu haben, fortwährende Gemeinschaft, Feste, äußere Kirchlichkeiten aller Art — lauter Dinge, die der andere zur Not ganz entbehren kann.

      Gnadenwahl

       Der du mich zu deinem Werke

       Auserwählt von Ewigkeit,

       Zur Erkenntnis gib die Stärke;

       Mache tätig und bereit.

       Was du forderst, lehre wagen;

       Was du tust, tu ganz und groß;

       Nur im Glauben kann man tragen

       Ein so schönes, schweres Los.

      8. Februar

      Die Mehrzahl der Menschen flieht beständig vor der Arbeit und sucht einen Ersatz für ihre Resultate in Kapitalansammlung, vorteilhaften Beziehungen oder bequemen Lebensstellungen zu gewinnen, das heißt in der Anstrengung anderer für sich selbst. Sie befinden sich aber nicht besser dabei als bei der Arbeit und sind viel abhängiger. Wenige begreifen das frühzeitig genug, wählen aus freien Stücken die Arbeit und sind dadurch die einzigen freien Menschen der Welt.

      Wenn man anfängt, alles Unnütze aus dem Leben zu entfernen — und damit muss man anfangen, wenn etwas Rechtes werden soll — dann entsteht eine solche Leere, dass sie nur mit Arbeit auszufüllen ist. Das empfinden viele Menschen instinktiv, und da sie sich nicht für die Arbeit begeistern können oder wollen, so fürchten sie sich vor diesem ersten Schritt und bleiben lieber auf dem alten Weg, den alle Welt geht.

      9. Februar

      Das Glück des Lebens besteht nicht darin, wenig oder keine Schwierigkeiten zu haben, sondern sie alle siegreich und glorreich zu überwinden.

      Kraft entsteht aus der Übung im Überwinden von Schwachheiten.

      »Jede Sünde, die du überwindest, überträgt dir ihren Geist, verwandelt in Kraft.« (Robertson)

      10. Februar

      »Erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallet.« (Jak 1 2)

      Dieser Ermahnung des Apostels während der Anfechtung selbst Folge zu leisten, ist ziemlich schwer, und ich möchte es einigermaßen bezweifeln, ob er diese unbegrenzte Freudigkeit im Augenblick des stärksten Leidens immer selbst gehabt hat. Sogar Christus hatte sie ja nicht; Mt 26 37–38. Wer das immer kann, der ist daher über dieses Leben bereits hinausgewachsen, und die Anfechtungen, die doch nur Prüfungen sind, haben keinen Zweck mehr für ihn.

      Den meisten Angefochtenen aber kann man mit einem solchen Spruch gar nicht beikommen; sie sehen ihn oft geradezu als Hohn auf ihr Leiden oder als Mitleidslosigkeit an. Was man ihnen dagegen mit Ernst zumuten kann, ist: nicht stumpf hinbrütend oder gar mit tiefer Verbitterung in ihr Leiden zu versinken, sondern »aufzublicken zu den Bergen, von denen die Hilfe kommt«, wenn es auch nur mit einem einfachen, kurzen Seufzer »Herr hilf mir« ist. Das hilft immer etwas. Und wenn die Seele einmal so weit beruhigt ist, dass sie überlegen kann, dient als weitere Stärkung ein Rückblick auf die vielen vergangenen Prüfungen, die doch alle ihr Ende gehabt haben — oft weit schneller, als es zu erwarten war, und auf wunderbare Weise.

      GBG 374 Hebr 10 32–39.

      Länger, als es nötig ist, wird ein Mensch oder Volk nie geprüft. Aber es ist bei beiden gut möglich, dass ein Augenblick kommt, von dem ab alles Schmelzen umsonst ist und deshalb auch aufhört. Dann kommt nur noch das Gericht, und auf diesem Wege befinden sich jetzt viele.

      Jer 2 19–20 Jer 2 25 Jer 4 22 Jer 6 14 Jer 6 27–30

      Auf mittlern Bergesstufen

       (Offb 3 8) Gott sei gedankt, die Tür ist offen! Die schweren Riegel sind gesprengt; Ich hab mit »Stillesein und Hoffen« Mich durch das Nadelöhr gezwängt. Mein Herz fasst Mut zum wahren Wollen; Die Seele atmet auf, befreit; Dumpf in der Ferne hör ich grollen Den Donner des Gerichts der Zeit.

      11. Februar

      Es gehört zweierlei zum inneren Fortschritt: eine Stimme, die zu uns spricht, und ein Ohr, das sie hören kann.

      Wenn ich auch sonst keinen Grund hätte, an die leitende Fürsorge eines ganz anderen, denkenden Geistes zu glauben, so wäre es doch diese Erfahrung: Alle für meinen inneren Lebensgang wichtigen Bücher sind mir »zufällig« in den Weg gekommen, während ich aus selbst ausgesuchten sozusagen nichts gelernt habe. Vielleicht nicht, weil nichts darin stand, sondern weil der richtige Augenblick noch nicht gekommen war, um es aufzunehmen.

      12. Februar

      Die weitaus meisten Menschen haben keine Ahnung von dem Glück und der Freudigkeit, die auf dieser mangelhaften Erde doch zu haben sind, trotz allem, was ihnen entgegensteht.

      Die Armen kleben beständig nur an ihrem Elend und sehen wegen der nächsten Sorgenwolke nie den Himmel. Die Reichen gehen selten durch das Nadelöhr, das sie unfehlbar passieren müssen, um wirklich glücklich zu sein; die dem Glauben Abgeneigten stoßen sich beständig an dem Gebaren der kirchlich Frommen, das ihnen zu viel Kritik Anlass bietet.

      Alle wollen Glück und Freude da herhaben, wo sie überhaupt nicht sind; die aber durch das alles hindurchdringen, werden zuletzt sämtlich sagen, dass die Erde doch kein »Jammertal« ist.

      Das Traurigste, was es gibt, ist der Rückblick im Alter auf ein halb oder ganz verlorenes Leben, das viel schöner hätte sein können. Das ist jetzt das Schicksal vieler Tausende, auch in den gebildeten Klassen — lass es nicht das deinige sein.

      Barnabas, »Sohn des Trostes«, ist ein schöner Name, den alle Christen unbedingt tragen sollten. Bei ihnen sollte man eben stets Trost haben können. Bei den meisten aber hat man nicht das Gefühl, dass sie ihn in Fülle haben und ihn nicht selbst beständig in allerlei Veranstaltungen suchen, ohne zu einer vollkommenen Befriedigung zu gelangen. Das ist das, was die Welt ihnen vorwirft, und ganz mit Recht.

      Der Grund, warum manche ausgezeichnete Menschen doch, wenn sie gestorben sind, sehr wenig vermisst werden und manche ganz einfache wohl, ist eben der, dass die einen Kinder des Trostes gewesen sind, bei denen man stets »Frieden« fand, die andern nicht.

      13. Februar

      Dann fängt das Leben an glücklich zu werden, wenn man alles, was kommt, aus Gottes Hand nehmen kann, nicht mehr viel sorgt und nur durch offene Türen geht. Vorher ist es eine einzige große Mühsal, mit einigen Erholungspausen, die meistens noch mit Selbsttäuschung verbunden sind.