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Ron Hellfuns


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alles immer nur um ihn, den armen kleinen Jungen drehte. Auch in der Schule wurde sie ständig damit aufgezogen, was für ein verzogenes fettes Schwein ihr Bruder doch sei. Und dass es kein Wunder sei, dass sie so mager ist, wenn er ihr immer alles weg frisst. Tatsächlich wollte sie gar nichts essen. Zum einen aus Angst, sie sähe eines Tages genauso aus wie Ronald, zum anderen kümmerte es auch keinen, wie viel oder in ihrem Fall wenig sie auf die Waage brachte. Schließlich ging es jeden Tag nur um den kleinen Ronald, da blieb für Barbara einfach keine Zeit mehr für Aufmerksamkeit.

      Obwohl sie immer so fies zu ihm war, liebte Ronald seine Schwester insgeheim abgöttisch. Sie war die Einzige, der er nichts vormachen konnte. Außerdem war Barbara auch die Einzige, die ihm in Sachen Gemeinheiten in nichts nach stand. Es verletzte ihn zwar, dass sie kaum etwas Nettes für ihn übrig hatte. Aber andererseits war er froh darüber, dass wenigstens eine den Mut hatte, ihm die Meinung zu geigen und nicht mit dieser „Ich will dir doch nur helfen“ - Nummer daher kam. Trotzdem wich er ihr lieber so oft es ging aus, denn manchmal bekam er es auch ohne jeglichen Grund von ihr drüber. Sie schlug ihn gern grün und blau, wenn er auf leisen Sohlen versuchte, an ihrer Zimmertür vorbei zu schleichen und sie es mit bekam. Denn sie hatte überhaupt keine Skrupel, ihn zu vermöbeln, er hatte es in ihren Augen nicht anders verdient, es schadete ihm nicht und sie schlug auch nur auf die Körperstellen, für die sich ihr kleiner Bruder zu sehr schämte, als dass er sie für irgendjemanden frei machen würde, um all die blauen Flecke und Kratzer begutachten zu können. Ronald hatte sich mit seiner Rolle als so etwas wie ihr Wutablass-Ventil abgefunden. Wann immer Barbara einen beschissenen Tag hatte, musste Ronald her halten und die Schläge aushalten, anderenfalls würden sie noch heftiger und noch mehr werden. Es kümmerte Ronald nicht weiter, denn er kannte es nicht anders als so und konnte das Verhalten seiner Schwester sogar noch ein Stück weit verstehen, denn jeder ging hin und wieder nicht vorbildlich mit seinem Ärger im Bauch um. Das Einzige, was Ronald Bauchschmerzen beim Gedanken an die Schläge seiner Schwester bereitete war die Tatsache, dass sie eigentlich immer wütend oder schlecht gelaunt war. Und genau das war wohl auch das Einzige, was die beiden miteinander gemeinsam hatten, eine ungeheure Wut, die unbedingt aus den Tiefen ihres Bewusstseins heraus gelassen werden wollte.

      Am Abend stand die Lehrerin auf der Matte, um mit Ronalds Eltern über ihn, seine Geschichten und sein Verhalten in der Klasse zu sprechen. Den Rucksack hatte sie mitgebracht und schon beim Eintreten erwähnt, dass er seine Hausaufgaben ausnahmsweise nicht zu erledigen brauche. Während die beiden Frauen bei einer Tasse Tee am Küchentisch saßen, hockte Ronald auf der Treppe, um zu lauschen. Er wollte um jeden Preis gewappnet sein, wenn es nachher heißen würde, er möge doch bitte einmal herunter kommen, damit sie sich auch mit ihm unterhalten können. Ronald hasste diese Gespräche. Aber was tat man nicht alles für ein verfrühtes schulfrei und keine Hausaufgaben.

      Seine Mutter klang besorgt und hörte sich in aller Ruhe an, was die Lehrerin ihr mit Bestürzen erklärte. Ronalds Vater saß am PC und zockte. Ihn interessierte das Weibergewäsch nicht. Er hatte einen harten Arbeitstag und wollte Ruhe haben. Der Junge war seines Erachtens einfach nur zu fett und stelle sich an. Das wären seine einzigen Probleme. Schuld dafür gab er natürlich ausschließlich seiner Frau, die ihren Sohn stets mit Samthandschuhen anfasste. Er selbst entzog sich jeder Verantwortung. Schließlich sei er den ganzen Tag nicht da und nach Feierabend wolle er nur essen und seine Ruhe haben, das sei doch nicht zu viel verlangt.

      Ronald war verwundert, als er beide Frauen im Flur stehen sah. Sie redeten immer noch, als hätte einer vergessen, ihren Sprechmotor auszuschalten. Die Lehrerin zog ihren Mantel über und verschwand durch die Haustür ins Dunkle nach draußen. Seine Mutter hatte die Hände übereinander geschlagen und sah ihn auf der Treppe sitzen. Langsam ging sie auf ihn zu. Warum wurde er diesmal nicht zum Gespräch dazu geholt? Warum musste er sich nicht rechtfertigen? Er hatte sich doch bereits so gute Ausreden einfallen lassen, sie wieder alle um den Finger zu wickeln! Erst wollte niemand seine Geschichte hören und jetzt besteht nicht mal mehr Interesse an seinen Ausflüchten? Das darf doch nicht wahr sein! Anstatt froh darüber zu sein, dass er aus der Nummer raus war, stieg wieder der Zorn in ihm auf. Seine Mutter nahm ihn an die Hand, stellte ihn auf die Beine und ging mit ihm in sein Zimmer. Sie sagte, er solle seinen Schlafanzug anziehen und dann legte er sich ins Bett, während sie ihn zudeckte. Auf seiner Bettkante nahm sie Platz. „Ronald, mein Junge. Du musst damit aufhören. Du musst aufhören, dich immer über alles hinwegzusetzen. Du musst aufhören, immer alles anders zu machen als die anderen. Vor allem aber musst du aufhören, vor deinen Problemen weg zu laufen, oder dich hinter ihnen zu verstecken. Du bist ein kleiner Junge von neun Jahren. Du bist ein Schüler. Du gehörst nicht zu den großen Schriftstellern, die die Welt verändert haben. Vielleicht bist du das eines Tages, da glaube ich ganz fest dran, aber jetzt bist du nur ein kleiner Junge. Also versuch nicht länger jemand zu sein, der du nicht bist.“ Sie drückte ihm einen saftigen Kuss auf die Stirn, der brannte wie Feuer. Dann verließ sie den Raum. Die hinterhältige Hexe war endlich weg. Nun hatte sie ihm auch den Rücken gekehrt und sich gegen ihn verschworen. Warum wollte nur niemand glauben, dass er bereits jetzt zu den Großen gehörte? Ronald musste es allen beweisen, er musste eine Geschichte schreiben, nein, er musste DIE Geschichte schreiben. Es musste etwas Einzigartiges sein, etwas, dass sich bereits in den ersten Wochen verkaufen würde wie warme Semmeln. Etwas, aus dem in ferner Zukunft eine eigene Religion entstehen könnte. Etwas, das noch nie zuvor dagewesen war.

      Dann würde er sich eben mehr anpassen. Als Tarnung für sein großes Vorhaben war das sogar gar keine schlechte Idee. Am Tag würde er allen den bekehrten Ronald vorgaukeln und am Abend würde er bis tief in die Nacht an seinem Werk arbeiten. Keiner würde es merken. Und am Ende bekäme er gleich die doppelte Anerkennung, denn er hat sich der Gesellschaft angepasst, trotzdem etwas Eigenes kreiert und damit wesentlich zur Historie beigetragen. Er würde in die Geschichtsbücher dieser Welt eingehen. Dieser Ansporn reichte aus, um künftig Bücher in der Klasse von seiner verhassten Konkurrenz so zu präsentieren, als würde er sie für gut befinden.

      Also begann er voller Feuereifer zu schreiben...

      Kapitel 2

       -Die neue Identität-

      Die Jahre vergingen ohne merklichen Unterschied in Ronalds Leben und auch mit Beginn der Pubertät wurde es für den mittlerweile dreizehn jährigen Jungen nicht leichter, denn er hatte nach wie vor an seinem starken Übergewicht zu nagen und zu allem Überfluss richtete sich eine ausgeprägte Akne an seinem Körper häuslich ein. Sein verfetteter Körper war der ideale Nährboden für all diese fiesen, kleinen Eiterpickel, sodass sie sich nicht nur schlagartig in seiner gesamten Visage ausbreiteten und damit seinem mühsam angezüchteten Flaum über der Oberlippe die Schau stahlen, nein, die Akne erstreckte sich zu allem Übel auch noch von den Schultern über die gesamte Rückenpartie bis hin zum Steiß. Nun war er nicht nur fett, sondern auch noch gänzlich entstellt in den Augen seiner Mitschüler. Dafür mied man ihn, wer wollte sich schon mit dem Loser der Schule abgeben und somit zwangsläufig selbst einer werden. Er hatte also die lang ersehnte Ruhe vor den anderen, wovon er in der Grundschulzeit lange nur träumen konnte. Niemand wollte sich mit einem hässlichen Versager abgeben, das war allen, die immer nur darauf achteten, zu den Coolen oder wenigstens nicht zu Ronald zu gehören, viel zu peinlich. Keiner von ihnen hätte das Mobben lange ausgehalten, das ihnen Ronalds Gesellschaft eingebracht hätte. Doch es störte ihn nicht, nur so konnte er unbesorgt tun und lassen, was er wollte. Meistens zumindest. Denn Ronalds Körper brachte ihm in der Pubertät einen weiteren zweifelhaften Segen. Zwar machte man sich nicht mehr über ihn lustig, weil er sich selbst seit jeher als großartiger Schriftsteller feierte, das hatte er nun gekonnt verbergen können und so getan, als habe er sich den anderen seines Alters angepasst. Schließlich würden alle noch früh genug erkennen, dass er der Schriftsteller des Jahrtausends ist, wenn sie erst sein Buch ehrfürchtig in den Händen halten und sich dafür schämen, ihn als Kind zur Anpassung an die Normen der Gesellschaft gezwungen haben. Dafür galt er nun in den Pausen als Versuchsobjekt der anderen Jungs. Denn Ronalds Fettleibigkeit sorgte für eine gute handvoll Oberweite, eine pralle Brust, wie sie viele Mädchen in seinem Alter gern hätten vorweisen können. Der Streuselkuchen mit den