AeNNiE Rupp

Ron Hellfuns


Скачать книгу

seines Alters. Er empfand, dass er sich als einer von wenigen für die wesentlichen Dinge des Lebens begeistern konnte, während die anderen sich mit lächerlichen Banalitäten wie Geschlechtsverkehr oder Beziehungen aufhielten. Es gab Wichtigeres zu erleben als das erste Abspritzen im Arsch einer Frau, so sahen es Ronalds Augen. Statt Mädchen kreisten seine Gedanken um seine Geschichte und die Anerkennung, die sie ihm eines Tages einbrächte. Und natürlich die Genugtuung, wenn all seine Widersacher und Kritiker angekrochen kämen, um ihn um Verzeihung zu bitten und womöglich noch stolz darauf wären, ihr Fett in seiner Geschichte abbekommen zu haben. Allen voran seine Schwester natürlich. Sie würde die tragischste Rolle von allen bekommen. Weil sie ihn für seine Notizen auslachte. Weil sie ihn lange ignoriert und mit Missachtung gestraft hatte. Weil sie ihm durch ihre verweigerten Boshaftigkeiten zeigte, dass sie ihn nicht mehr liebte. Der unglaubliche Held hingegen war natürlich er! Der Außenseiter, der alles heroisch bekämpft, was sich ihm in den Weg stellt, damit seine Welt eine bessere würde. Aber auch wirklich nur seine. Der ganze Dreck auf den Straßen, die Peiniger, die Kinder, die ihn auslachten, die Erwachsenen, die sich durch ihre Sorge um ihn so lächerlich machten ohne es zu bemerken. Er würde sie alle „entsorgen“.

      Ein breites Grinsen huschte über Ronalds Gesicht, während er seine Story weiter spann. Er wäre der gefürchtete Antiheld, der er ohnehin längst war und er würde es allen zeigen. Sie würden ihm am Ende zu Füßen liegen und sich fragen, wie sie nur so blind sein konnten, sein unermessliches Talent und seine einzigartigen Fähigkeiten nicht zu erkennen.

      In seinem Kopf war die Geschichte bereits perfekt bis ins letzte Detail. Der Ablauf, die Figuren, die einzelnen Schauplätze, jede Einzelheit hatte er in seinem Gedächtnis gespeichert. Es würde das blutrünstigste Buch aller Zeiten werden, vollends frei von Liebe - außer der, die ihm entgegen gebracht wurde – und sinnlosen Gefühlsduseleien. Alles beruhte lediglich auf der einen ernüchternden wie einleuchtenden Tatsache, dass die Welt und alles darauf Existierende seiner Ansicht nach schlecht war und beseitigt werden musste.

      Während er seine Skizzen den Abläufen nach sortierte und ihm dabei die zahlreichen Demütigungen durch den Kopf schossen, die er bislang zu erleiden hatte, stieg ein unwohles Gefühl in seiner Magengegend auf. Es bahnte sich mit jedem Gedanken an bereits durchlebte Schikanen den Weg Richtung Mund ein Stückchen höher, bis er es schließlich nicht mehr zurück halten konnte. Eine große Flut halbverdauter Lebensmittel ergoss sich über den gereinigten Teppich. Der Geschmack seines Mundes war fad geworden, der säuerliche Geruch der Pfütze auf dem Boden widerlich und der bloße Anblick seiner Kotze befähigte ihn geradewegs dazu, einen weiteren Schwall darüber ergießen zu müssen. Es war ekelhaft.

      Natürlich hatte Ronald keine Lust, sich ein weiteres Mal übergeben zu müssen. Es war anstrengend und danach müsse der Magen schließlich auch wieder erneut befüllt werden. Stattdessen hielt er es für angebrachter, erst einmal im Bad zu verschwinden und sich wieder frisch zu machen, während seine Mutter den Dreck im Zimmer beseitigt. Also trottete er zur Tür, schloss auf, rief die Treppe herab nach seiner Mutter, damit sie die Kotze aufwische und verschwand im Badezimmer.

      Ronald betrachtete sein verpickeltes Gesicht mit den letzten kleinen Stückchen des Herausgewürgten dazwischen, die er sich noch nicht weg gewischt hatte, im Spiegel. Er war weiß Gott kein hübscher Kerl und würde es auch niemals schaffen, dass aus ihm ein schöner Mann werden würde. Aber das machte ihm nichts. Im Gegenteil, er sah es als Chance, sich voll und ganz auf seine Geschichte konzentrieren zu können, ohne dass Störfaktoren wie eine Frau zum Beispiel ihn abzulenken vermochten. Mit diesem Maß an Hässlichkeit gesegnet zu sein konnte er sich wenigstens mit seinem einzigartigen Talent als Schriftsteller einen Namen machen und Ruhm und Ehre erlangen, was ihm ohnehin längst gebühren sollte. Er musste es nur schaffen, sein Gedankenwirrwarr zu sortieren und geordnet zu Papier zu bringen.

      Ronald spuckte den Zahnpastaschaum ins Waschbecken und wischte den Rest mit dem Ärmel aus seinen Mundwinkeln. Fest entschlossen, sein Vorhaben, mit dem geordneten Schreiben zu beginnen, schritt er zurück in sein Zimmer. Seine Mutter, die noch immer auf Knien über dem Fleck hing und schrubbte, zitierte er mit kurzen Worten heraus. Sie störte jetzt mehr als das sie nützlich war. Auch durch den Versuch ihres Einwandes, dass die Stelle noch nicht komplett gereinigt sei, ließ ihn nicht davon abhalten, sie kurzerhand raus zu werfen. Er packte sie an den Schultern und drückte sie in Richtung Tür. Kaum war ihr zweiter Fuß über die Schwelle, knallte er die Tür zu, riss sie erneut auf, um den Putzeimer hinter ihr her zu schmeißen und warf die Tür erneut ins Schloss. Nachdem er den Schlüssel umgedreht hatte, sprang er wieder auf sein Bett. Zu viele Neuerungen warteten nur darauf, nieder geschrieben zu werden. Weitere Notizen füllten die Zettel. Listen mit den Namen all derer, die Ronald blamiert hatten, wurden erstellt. Jeder einzelne, der Kritik an ihm oder seinem Vorhaben verübt hatte, wurde schriftlich festgehalten. Denn niemand sollte bei Ronalds literarischer Abrechnung zu kurz kommen. Akribisch und im Takt des Gebrülls aus dem Wohnzimmer folgte ein Name dem nächsten. Eine Idee reihte sich an die andere, die Roland seinen Widersachern in der Geschichte nur zu gern antun würde. Kein Kritiker sollte übrig bleiben, kein Skeptiker verschont werden. Am Ende sollte nur er da stehen als der große Held, der einzige gute unter all dem schlechten.

      Stundenlang kritzelte, schrieb und malte Ronald mit großem Eifer die Seiten voll, alles zwar weiterhin auf den ersten Blick zusammenhanglose Wortfetzen und Bilder, doch für einen Anfang durchaus ausreichend. Aus vier Zetteln wurden sechs, aus sechs wurden zehn, bis schließlich das ganze Bett voller Papiere war, die in wie eine Mauer umgaben. Siegessicher überblickte er sein bis hierher vollbrachtes Werk und wog sich in der Gewissheit, alles in den nächsten Tagen so zu sortieren, dass er bald mit dem ausführlichen Schreiben seiner Geschichte starten könne, denn das Grundgerüst hatte er nun erstellt. Jetzt ging es lediglich noch darum, jedes Blatt mit dem anderen wie ein Puzzle so zusammen zu setzen, bis schließlich ein Meisterwerk daraus entstanden war. Sein Meisterwerk. Das Buch, dass jeder haben wollen wird, ohne das ein weiterleben sinnlos scheint. Aus dem in ferner Zukunft eine Religion entstehen wird mit ihm als den anbetungswürdigen Helden. Man wird seine Taten ehren, seine Geschichte von Generation zu Generation fort tragen. Sein Name wäre über die Jahrzehnte hinweg weltweit bekannt und habe neue Maßstäbe der Literatur gesetzt:

      RONALD HOLLEWITZ

      DER BESTE AUTOR ALLER ZEITEN!

      Ronald stutzte. Mit diesem Namen würde er nicht einmal eine Banane gewinnen. Ronald Hollewitz war doch kein Name für eine Heldenfigur. Was hatten sich seine Eltern nur dabei gedacht, ihn so zu taufen? Kein Mensch würde seine Kinder nach einem Helden benennen, der Ronald heißt! Er durchforstete abermals seine Unterlagen, studierte seine Zeichnungen. Seine Stirn warf tiefe Falten. Was er brauchte, war ein Name, der einer großen Persönlichkeit wie er es war, gerecht werden würde. Es musste etwas cooles sein, etwas, mit dem man dramatische Action und lebensgefährliche Situationen in Verbindung brachte. Einen Namen, der versprach, dass es krachen würde und er daran seinen Spaß fände. Ronald überlegte. Zu weit entfernt von seinem tatsächlichen Namen sollte es auch nicht liegen, sonst würde keiner den Helden mit ihm in Verbindung bringen und man würde davon ausgehen, der Charakter seines Buches entspräche lediglich seiner Wunschvorstellung über sich und keinesfalls der Realität. Amerikanisch musste der Name sein, schließlich haben sich dort alle Millionäre der Kunst- und Filmszene angesiedelt und die sind ja auch Arten von Helden.

      Doch kein Name wollte ihm einfallen. Deshalb beschloss er, seine Dokumente fürs Erste zusammen zu packen, denn er war langsam schläfrig geworden. Der morgige Tag brächte ihm noch genug Zeit zum Weiterarbeiten. Kreatives Schaffen forderte mehr Kraft, als Ronald sich erhofft hatte. Erschöpft griff er nach einer roten Pappmappe, legte seine Papiere hinein und schloss sie wieder. Einen Moment hielt Ronald inne und lauschte. Unten war alles ruhig geworden. Kein Stimmengewirr mehr. Keine Schreie mehr. Kein Gebrüll mehr. Als sei es da unten zur einer gewaltigen Explosion gekommen und nun hörte man nichts mehr. Die Ruhe nach dem Sturm. Umso besser, dachte Ronald, denn er wollte ohnehin schlafen und das konnte er bei Lärm nun mal nicht. Ein letztes Mal holte er tief Luft, um den Kopf frei zu bekommen. Gleichzeitig stieg der säuerliche Geruch des Erbrochenen wieder in seine Nase. Es war einerseits widerlich und