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Ron Hellfuns


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er starrte den Einband eine Weile regungslos an. Langsam wanderte sein Arm an das Fußende seines Bettes, die Hand griff nach einem Stift und mit schwarzer Tinte schrieb er seinen Namen auf den Pappdeckel:

      RON HELLFUN

      Sein Pseudonym als weltbester Schriftsteller war geboren. Nun fehlte nur noch die Fertigstellung seines bahnbrechenden Erstlingswerkes. Doch das sollte nun ein Leichtes für ihn werden.

      Am folgenden Morgen erwachte Ronald erst spät am Vormittag. Eigentlich hätte er zur Schule gemusst, aber ihn schien niemand geweckt zu haben. Langsam erhob er sich und wischte sich die Sabber von der rechten Wange. Sein Rücken schmerzte, er hatte sehr verdreht in seinem Bett gelegen und geschlafen. Der Kopf hing halb aus dem Bett, als er die Augen das erste Mal zu öffnen versuchte. Blinzelnd sah er zum Boden und beim Anblick seiner roten Mappe stieg das Gefühl völliger Zufriedenheit in ihm auf. Er hatte es letzte Nacht tatsächlich geschafft, es war nicht bloß ein schöner Traum gewesen. Er hatte wirklich stundenlang geschrieben und seinen neuen Namen gefunden. Und schulfrei hatte er heute auch noch. Alles in allem also ein perfekter Start in den Tag.

      Ronald ging runter in die Küche, wo seine Mutter wie immer fleißig zugange war. Als sie seine Schritte auf den kalten weißen Fliesen hörte, drehte sie sich um. „Ach mein Junge!“, sagte sie und nahm ihn freudig in den Arm. „Hast du die Nacht gut überstanden? Wie geht es dir? Ist alles wieder in Ordnung?“ Er setzte sich und ließ sich ein Glas Cola und Cornflakes hinstellen. „Ich habe dich heute nicht geweckt, weil ich dachte, du brauchst erst einmal etwas Zeit, um alles zu verarbeiten.“, begann sie zu erklären. Eigentlich interessierte es Ronald aber recht herzlich. Hauptsache, er würde heute genug Zeit finden, um weiter an seiner Geschichte zu arbeiten. „Wir haben gestern noch lange mit deiner Schwester, also mit Barbara gesprochen. Wir sind der Ansicht, sie tut dir nicht gut. Versteh mich nicht falsch, ich will nur dein Bestes, aber ich hatte Angst, sie würde dich zu sehr verwirren. Außerdem ist sie doch schon beinahe erwachsen.“ Mit diesen Worten drehte seine Mutter sich wieder um und vergrub ihr Gesicht in der Spülmaschine. Was wollte sie ihm jetzt damit sagen? Das Gespräch des gestrigen Abends zwischen seinen Eltern, der kompetenten, pädagogischen Fachkraft und seiner Schwester hatte er deutlich hören können. Aber was hatte das ganze Gerede letztendlich zur Folge?

      „Und?“, fragte er in einem Tonfall, als sei er insgeheim gar nicht erpicht darauf, zu wissen, wie es weiter gehen würde. Seine Mutter seufzte. „Sie ist gegangen worden.“ Was? Was sollte das denn heißen? Dass seine Mutter nicht einmal Klartext reden konnte! Immer diese seltsamen Formulierungen! Von ihr hatte Ronald gewiss nicht sein Talent geerbt. „Aha“, brachte er deshalb nur heraus. Er hatte keine Lust, in ganzen Sätzen zu sprechen, die wollte er sich lieber für seine Geschichte aufheben. Aber wenn er es richtig verstanden hatte, dann war seine Schwester weg. Für immer. Und sie würde wohl auch nicht wieder zurückkommen. Und sie war wohl auch bloß nur noch Barbara und nicht mehr seine Schwester. Perfekt! Ronald stürzte nach oben und stolperte voller Euphorie in sein Zimmer. Seine Mutter ließ er in dem schuldbewussten Glauben zurück, er sei traurig über die Verbannung seiner größten Widersacherin, doch eigentlich gab es für Ronald kaum eine bessere Nachricht, als dass seine Idee bereits die ersten Früchte getragen hatte. Er musste es nur schaffen, dass nach und nach alle, die sich gegen ihn gestellt hatten im Laufe der Zeit verschwinden. Die Frage war nur, wie. Aber ihm als Genie würde schon für jeden das Richtige einfallen, da war Ronald sich sicher.

      Kapitel 3

       -Vernichtet und verloren-

      Ronald vermisste seine Schwester keine Sekunde lang, seitdem seine Eltern sie ihm zuliebe aus dem Haus gejagt hatten. Vielmehr genoss er nun das behagliche Gefühl der Gewissheit, dass sich Probleme und Störfaktoren einfach beseitigen ließen, um ungestört voran zu kommen, anstatt sie lang und breit mit allen Beteiligten ausdiskutieren zu müssen. Diese Methode war für Ronald gleich in mehrfacher Hinsicht äußerst praktisch. Denn so musste er sich nicht mit seinen Widersachern unnötig auseinander setzen, es genügte, sie leise und effizient zu beseitigen. Eine derartige Beseitigung machte zwar etwas Mühe, weil man einen gut durchdachten Plan dafür brauchte, doch im Gegensatz zum ständigen Ausdiskutieren aller Diskrepanzen war es doch erheblich schneller und weniger lästig. Schließlich hasste Ronald es, sich mit etwas oder jemandem auseinander setzen zu müssen, der nichts mit ihm oder seiner Arbeit zu tun hatte oder ihr förderlich wäre. Seiner Meinung nach brachte dieses Konzept des miteinander Redens sowieso niemals eine zufriedenstellende Lösung, mit der sich beide Seiten auf lange Sicht gesehen glücklich schätzen konnten. Es war doch immer das Gleiche nach klärenden Gesprächen, die über Stunden geführt wurden. Für einen Augenblick schien alles so harmonisch und friedvoll. Doch das wirkliche Problem war damit längst noch nicht aus der Welt geschaffen, höchstens vertagt worden oder oberflächlich geregelt. Aber auf keinen Fall eine akzeptable Lösung für die Ewigkeit. Eine Beseitigung hingegen war für Ronald der einzig vernünftige Weg, Probleme für immer zu lösen. Denn wie oft kam es vor, dass etwas, das ausgelöscht wurde, plötzlich aus dem Nichts wieder auftauchte. Immerhin war seine Schwester der beste Beweis dafür, dass diese Theorie stimmte und die Vernichtungsmethode am besten wirkte. Seit ihrem Verschwinden war sie hier nicht mehr aufgetaucht, nicht mehr in der Schule gesehen worden oder gar in der Stadt. Sie war weg. Wenn es also mit ihr funktionierte, warum dann nicht auch mit allen anderen Problemen dieser Welt?

      Seitdem Barbara fort war, ging es Ronald hervorragend, er fühlte sich wie von einer schweren Last befreit. So sehr er in der Vergangenheit auch ihre Pein gegen ihn genoss und rechtfertigte, hatte er nun Gefallen daran gefunden, selbst der Peiniger zu sein und alles zu attackieren, was ihm in die Quere kam. Zudem beflügelte der Gedanke daran, jemand anderem langfristig zu schaden ungemein seine Kreativität und stellte sich heraus als die beste Inspirationsquelle, die er bekommen konnte, um mit seiner Geschichte voran zu kommen. Diese neu gewonnene Erkenntnis wollte Ronald sofort am lebenden Objekt ausprobieren, um sicher zu gehen, dass nicht die bloße Verbannung seiner Schwester dafür gesorgt hatte, dass es bei ihm mit dem Schreiben besser klappte. Er wollte sicher sein, dass auch in Zukunft jede Art von Beseitigung ihm zu neuen Ideen verhelfen würde. So saß er auf seinem Bett und grübelte, wer sein nächstes Opfer werden sollte, vor sich seine Unterlagen ausgebreitet, um an seinem Roman weiter zu schreiben. Es war heiß gewesen an diesem Tag und der Schweiß tropfte in kurzen Intervallen auf das Laken, was hässliche, dunkle Flecken darauf hinterließ, die nach dem schnellen Trocknen in der Hitze lediglich das weiße Salz auf dem Stoff übrig ließen. Durch das geöffnete Fenster brummte eine dicke Fliege herein und schwirrte Ronald immer wieder um die nasse Stirn. Er hasste es! Mit den wulstigen Händen schlug er um sich, versuchte, sie zu packen, zu erschlagen oder zumindest abwimmeln zu können. Doch das Tier ließ ihm keine Chance. Völlig genervt raffte Ronald sich schließlich auf und seine Blicke verfolgten das Vieh genau. Erst flog es an seiner Stirn entlang, dann zum Fenster, zum Schreibtisch und wieder zu ihm. Immer wieder die gleiche Abfolge. Dann nahm der Brummer endlich Platz, aber das ausgerechnet auf Ronalds Unterlagen. Dort begann es auch sogleich, sich mit den Hinterbeinen gemächlich den Allerwertesten blank zu polieren. Ronalds Hand bewegte sich in Zeitlupe in Richtung Fliege. Er atmete ruhig und versuchte krampfhaft, seine langsame Bewegung unter Kontrolle zu halten. Erst als die Hand unmittelbar hinter dem Tier war, machte Ronald eine hastige Bewegung, mit der er die Fliege zu packen bekam. Sogleich verschloss er seine wulstigen Finger zu einer Faust und hörte, wie die kleine Fliege, die eben noch so unbeschwert daher flog, nun panisch immer wieder gegen die Innenseite seiner Handfläche schwirrte, in der Hoffnung, einen kleinen Spalt zu finden, durch den sie sich quetschen konnte, um die Freiheit zurück zu erlangen. Mit jedem Stoß gegen seine Haut wurde sein schadenfrohes Grinsen breiter. Er genoss die Situation, in der das arme und wehrlose Tier sich befand. Sie war ihm hilflos ausgeliefert, ihr ganzes Dasein hing nun von ihm ab. Er konnte sie fliegen lassen und sie würde es ihm damit danken, ihm weiterhin auf die Nerven zu gehen oder er könnte sie töten, dann hätte er Ruhe. Ronalds Grinsen wurde finster und kühl. Zunächst schüttelte er die geschlossene Hand kräftig, das Summen wurde sogleich noch lauter und hektischer. Die Fliege hatte Angst - Todesangst! Nun musste er sich entscheiden, ließ er sie frei oder sollte sie sterben? FLATSCH! Mit aller Wucht, die