Thorsten Reichert

Status Quo


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abgedruckt, dort stand:

      „e482a2b0-0ade-7409-eb81-a6f30591c388 : 11.44 : Bart, BND, Hammelsprung, Lubeck, Schleswig-Holstein : 1987“

      Die erste Zeichenfolge war der Name der Datei, in welcher das Dokument auf der Festplatte gespeichert war, dann kam die Uhrzeit des Drucks, dann Schlagwörter und Jahreszahl des Dokuments.

      „Hammelsprung. Bart.“

      Johannsen sprach die Worte leise vor sich hin, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Er ging zum Computer und suchte die entsprechende Datei. Dazu gab er Zeichen für Zeichen den Dateinamen in die Windows Suche ein. Das Ergebnisfenster zeigte die PDF-Datei. Er öffnete sie und sah sofort, dass es sich nicht um ein Originaldokument, also um eine Fotografie oder Kopie des Originals handelte. Zwar waren Briefkopf und Struktur des Dokuments vorhanden, aber das Schreiben hatte eine Standardformatierung, es fehlten Logo, Signatur und sonstige Gestaltungselemente. Das leuchtete ein. Es war viel einfacher, Dokumente als echte Texte aufzubewahren und nicht als Fotografien. Auf diese Weise konnte man innerhalb des Dokuments suchen und es nahm auf der Festplatte deutlich weniger Raum ein. Durch die Suche innerhalb des Windows Explorers konnte man auch nur Dateien finden, welche das Suchwort in Textform enthielten. Bilder, Fotos, Videos, Audiodateien usw. konnten auf diese Weise natürlich nicht gefunden werden. Das war ärgerlich, ließ sich aber im Augenblick nicht ändern. Schön wäre es gewesen, wenn die Dateinamen Aufschluss auf den Inhalt eines Dokuments geben würden. Johannsen konnte aber keine nachvollziehbare Nomenklatur erkennen. Er nahm das ausgedruckte Papier nochmals in die Hand und heftete es an eine der Pinnwände. Mit grünem Neonmarker hob er das Datum hervor: 1.6.1987. Dann ging er zurück zum PC und tippte er in die Windows Suche „Hammelsprung“ ein. Er wusste was ein Hammelsprung war: In Parlamenten wurde auf diese Weise gelegentlich eine schnelle und einfache Abstimmung erledigt. Die Abgeordneten mussten den Raum durch eine bestimmte Tür verlassen oder betreten, um damit ihr „Ja“, „Nein“ oder ihre Enthaltung zum Ausdruck zu bringen. Eine „Operation Hammelsprung“ war aber sicherlich eher ein Codename als die Bezeichnung für einen tatsächlichen Hammelsprung in Bundes- oder Landtag. Der 1. Juni 1987 war ein Montag, es war nicht unmöglich, dass an dem Tag im Landtag von Schleswig-Holstein ein Hammelsprung statt gefunden hatte, aber es schien nicht realistisch. Außerdem waren zusätzlich die Stichworte „Bart“, „BND“ und „Lubeck“ angegeben. Letzteres war die amerikanische Schreibweise für die Hansestadt, BND war eindeutig, und Bart war entweder ein weiterer Codename oder hatte etwas mit einem Bartträger zu tun. Johannsen googelte den 1.6.1987. Nur ein einziges politisch interessantes Ereignis hatte an dem Tag statt gefunden, das tödliche Attentat auf den libanesischen Ministerpräsidenten Raschid Karami. Der war tatsächlich Bartträger, aber wenn Operation Hammelsprung mit ihm zusammen gehangen hätte, warum würde sie dann als gescheitert bezeichnet – und warum würde weder Libanon noch Attentat oder sonst ein nahe liegendes Stichwort in den Metadaten enthalten sein, sondern stattdessen Schleswig-Holstein und Lübeck? Johannsen schrieb den Namen des damals getöteten Politikers auf das Dokument und setzte ein großes Fragezeichen dahinter. Dann markierte er den Vermerk ? 8c mit rotem Neonmarker. Sicherlich hatte das etwas zu bedeuten, im Moment war aber auch dieses Rätsel nicht zu lösen.

      So begann er, einzelne Dokumente nach und nach durchzulesen und zu versuchen, ihren Inhalt in den entsprechenden historischen und geografischen Zusammenhang zu setzen.

       Saalgasse, Wiesbaden, Dienstag 16.50 Uhr

      „Du musst da echt mal mitkommen, das tut sooo gut.“

      Stefanie Wohlfahrt telefonierte noch immer mit ihrer besten Freundin. Sie waren über deren gestriges Liebesabenteuer auf das Wetter, auf aktuelle Kinofilme, auf Einkaufen, Kleider, Kosmetik und schließlich auf Wellness im Allgemeinen gekommen. Carmen ging seit einiger Zeit einmal die Woche zur Massage, etwas, das Stefanie eigentlich zu teuer war, aber nach den schwärmenden Berichten ihrer besten Freundin hatte sie wirklich Lust, das auch mal auszuprobieren.

      „Jorge ist echt der Hammer. Aber für den Anfang kannst du dir natürlich auch ne Masseurin aussuchen, das ist ja nicht jedermanns Sache, sich splitternackt vor einen gut gebauten Spanier auf eine Massageliege zu legen.“

      Stefanie stellte sich die Situation vor ihrem inneren Auge vor und beschloss, sich weder von einem Mann massieren zu lassen noch sich dabei komplett zu entkleiden.

      „Könnten wir wirklich mal zusammen machen. Gehst du Donnerstag wieder?“

      „Ja, wir können uns dort um 5 treffen, oder du holst mich ab.“

      Carmen besaß kein Auto, weshalb sie gern Stefanies Fahrdienste in Anspruch nahm. Das war ok, denn sie machte nur in einem gesunden Maße davon Gebrauch, dass ihre beste Freundin einen schicken, kleinen Flitzer fuhr. Da sie selbst meist mit Fahrrad oder Bus zur Arbeit und zum Einkaufen fuhr, tat es ihrem Auto gut, wenn es gelegentlich bewegt wurde. Daher sagte sie, um das Telefonat einem baldigen Ende entgegen zu führen: „Klar, ich hol dich um kurz vor 5 ab. Jetzt muss ich mich glaub ich mal wieder um meine Arbeit kümmern, sonst wird das nichts mit Wellness übermorgen.“

      Das Gespräch dauerte anschließend noch immer weitere fünfzehn Minuten, weil Carmen und sie sich immer etwas zu sagen hatten. Der Gesprächsstoff war ihnen noch nie ausgegangen, selbst als sie einmal zwei Wochen mit dem Auto in Italien unterwegs gewesen waren und es fast nur geregnet hatte. Sie tickten einfach ähnlich, so unterschiedlich sie auch in manchen Dingen sein mochten. Mit Carmen wurde es nie langweilig, das war eine der vielen schönen Seiten, die sie an ihr schätzte.

      Als sie das schnurlose Telefon auf die Ladestation legte, blinkte der Akku bereits. Ihr rechtes Ohr fühlte sich heiß und zerdrückt an, weil sie bei Telefonaten mit Carmen oft beide Hände zum Abspülen oder Kochen frei haben musste und den Apparat daher zwischen Ohr und Schulter klemmte. Sie drehte ihren Kopf langsam nach links und rechts bis es hörbar knackte. Eine Massage wäre tatsächlich eine gute Sache, so verspannt wie sie in letzter Zeit oft war.

      In diesem Moment piepste ihr Smartphone, um ihr das Eintreffen einer SMS anzuzeigen.

       hey du, lust mal wieder was zu unternehmen? xo m.

      Michi. Sein Schreibstil war minimalistisch und von konsequenter Kleinschreibung geprägt. Lustig, dass er sich gerade jetzt meldete, nachdem sie erst heute früh an ihn gedacht hatte. Sie hatten sich seit sicherlich drei Monaten nicht gesehen, es wäre also durchaus mal wieder an der Zeit, Einblick in sein Nerd-Leben zu bekommen und sich anschließend wieder darüber zu freuen, dass ihr Leben sich nicht in Internet und einer dreckigen Kellerwohnung abspielte. Sie mochte ihn, keine Frage. Er war so etwas wie ihr einziger und bester männlicher Freund. Aber beim Gedanken an sein Leben grauste es ihr.

       Warum nicht? Schlag was vor?

      Drei Sekunden später war seine Antwort da.

       morgen um 8 ins kino?

      Das war ihr eigentlich nicht recht. Sie musste dringend mit ihrer Arbeit voran kommen und würde schon Donnerstag früher Schluss machen müssen, um sich für die Massage vorbereiten zu können. Lieber hätte sie ein Treffen aufs Wochenende verschoben, aber zwei Dinge sprachen dagegen. Erstens traf sie sich nie gern mit Michi an Abenden, an welchen sie am nächsten Morgen nicht sehr früh raus musste. Sie wusste selbst nicht so genau warum, vielleicht hatte sie Angst, sie könnte Michi damit eine Andeutung zukommen lassen, dass sie gern den ganzen Abend oder mehr mit ihm verbringen wollte (was natürlich nicht der Fall war). An einem Mittwochabend war von vornherein klar, dass ihre Verabredung nach dem Kinobesuch zu Ende sein würde, weil sie am nächsten Tag früh aus den Federn musste. Sie glaubte nicht, dass Michi etwas von ihr wollte, aber sie würde dafür nicht ihre Hand ins Feuer legen. Und dann gab es da noch den zweiten Grund: Sie musste ihm nichts von der NSA-Sache erzählen, vielleicht könnte sie dennoch ein paar Tipps von ihm bekommen, wie man sich in einer gigantischen Menge von Daten zurechtfinden könnte. Er musste ihr nicht gleich eine neue Suchmaske programmieren, nur ein paar gute Tipps zu „Suchen und Finden mit Windows“, das würde vielleicht reichen, um einen Kinobesuch mit ihm zu rechtfertigen.

       Gute Idee. Um viertel vor 8 vor dem Cineplex. Bis morgen! Lg

      Sie wartete ein paar Minuten, aber