Thorsten Reichert

Status Quo


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NSA durch seine Abhördaten hatte, war sie zudem sehr eng mit dem US-Militär verbunden, was wiederum bedeutete, dass selbst hochrangige Politiker keinen kompletten Überblick über die Arbeit der NSA haben konnten, weil die für militärische Zwecke gesammelten Daten oftmals der militärischen Geheimhaltung unterlagen. Nicht zufällig lag der Hauptsitz der NSA innerhalb des riesigen Militärstützpunktes „Crypto City“ im US-Bundesstaat Maryland. Natürlich besaß die NSA in praktisch jedem Land dieser Welt eine Dependance, in der Regel auch dort innerhalb eines gesicherten US-Stützpunkts. In Deutschland zum Beispiel stand unter anderem auf dem Türschild eines ziemlich großen Gebäudes innerhalb der Patch Barracks in Stuttgart in großen Lettern NSA. Es war kein Geheimnis, dass die Amerikaner nicht nur den internationalen Internet-Datenverkehr, der zu nicht unwesentlichen Teilen ohnehin über amerikanische Server lief, abhörte, sondern dass sie in unserem eigenen Land ihre Richtantennen auf unsere Wohnungen und Regierungsgebäude ausrichteten. Das hatte nur bislang kaum jemanden gestört. Unter dem Eindruck des nationalsozialistischen Regimes hielt es Deutschlands erster Bundeskanzler, Konrad Adenauer, wohl für angebracht, sein Volk und dessen gewählte Vertreter von ausländischen Geheimdiensten zu überwachen, um jegliche faschistische Bewegung bereits im Keim ausmachen und stoppen zu können. Jedenfalls unterzeichnete er eine Erklärung, welche es den Besatzungsmächten auf unbegrenzte Zeit erlaubte, den kompletten Post- und Fernmeldeverkehr absolut legal abzuhören. Offiziell sollte dies in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst geschehen, aber man konnte sich denken, dass diese Zusammenarbeit bis heute eher einseitiger Natur war. Wenn man seinen Nachbarn abhören wollte, dann lag es nicht nahe, Nachbars Kinder dabei zu beteiligen. Dennoch war die amerikanische Abhörpraxis für deutsche Regierungen – ob konservativ, liberal oder sozialdemokratisch – offenbar lukrativ genug, um sie stillschweigend zu dulden. Erst im Jahr 1989 geriet diese Praxis zumindest ein wenig ins Wanken. Nicht ohne Stolz hatte Grit Junkermann herausgefunden, dass es der Spiegel gewesen war, welcher vor knapp 25 Jahren einen mutigen Artikel druckte, in dem das vermutete Ausmaß der NSA-Aktivitäten in Deutschland benannt wurde. Auslöser war ein Telefonat eines deutschen Industriellen mit einer libyschen Telefonnummer, die auf der Abhörliste der NSA gestanden hatte. Die Agency hörte mit, die Sache wurde publik und die Bundesregierung zeigte sich ungewohnt verschnupft ihren amerikanischen Freunden gegenüber. In dem am 20. Februar 1989 veröffentlichten Spiegel-Artikel „Freund hört mit“ kamen erstaunliche Einblicke in das Abhörwesen von NSA, BND und co zutage. Einblicke, die vielleicht ein ganzes Land hätten erschüttern können, wäre nicht der sich anbahnende Zusammenbruch des Ostblocks das alles überschattende Thema jener Tage gewesen. Die Sensibilität für den Schutz der Privatsphäre war Ende der 80er Jahre noch deutlich niedriger gewesen als jetzt im 21. Jahrhundert. Dennoch konnte die Journalistin kaum fassen, wie gering der Aufschrei damals war, angesichts des explosiven Inhalts jenes Artikels. Wenn sie auch nur ansatzweise einen so konkreten Einblick in die heutige Situation der NSA hätte wie ihr Vorgänger vor 25 Jahren, dann könnte sie einen Artikel schreiben, der in diesem NSA-Skandal die nächste Stufe zünden und ihre journalistische Karriere krönen würde. Doch der Whistleblower Edward Snowden war sämtlichen potentiellen Enthüllungsjournalisten zuvor gekommen, als er von sich aus zahlreiche explosive Details aus dem Alltag seines Ex-Arbeitgebers ausgeplaudert hatte. Wer könnte nun noch Dinge herausfinden, die nicht einmal Snowden wissen konnte und die nach all den immer neuen Skandal-Schlagzeilen der vergangenen Monate noch jemanden hinter dem Ofen vor locken würde. Grit Junkermann musste sich damit abfinden, dass sie nicht die große Enthüllerin sein würde, das war schließlich auch nicht die Aufgabe, welche ihr Chef ihr aufgetragen hatte. Sie sollte lediglich herausfinden, was denn nun in diesen ominösen NSA-Akten drin stand. Dazu hatte sie zunächst noch weitere Hausaufgaben zu erledigen. Ihr Wissen über deutsche und amerikanische Nachrichtendienste war in den vergangenen Stunden zwar exponentiell gewachsen, aber nun galt es, nach den Empfängern der Abhördaten zu fahnden und nach Möglichkeiten zu suchen, an diese Daten heran zu kommen. Sie wusste nur, dass die Daten an das BKA in Wiesbaden gegangen waren. Ob sie von dort weiter ans Kanzleramt, an den BND oder direkt in ein Schweizer Bankschließfach gewandert waren, ob eine hundertköpfige Sonderkommission seit Tagen an der Aufarbeitung der Daten saß und schon eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof vorbereitete – viele Szenarios waren denkbar, in den wenigsten würde sie auf auskunftsfreudige Kooperationspartner hoffen können. Ihre größte Chance waren ihre Wühlmaustaktik und ihr Trüffelschwein-Riecher, die ihr schon bei so mancher Story weiter geholfen hatten, als die meisten ihrer Kollegen schon lange aufgegeben hätten.

      Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, dem sie sich zu stellen hatte, keine Frage, aber kein unmögliches.

       Moselstraße, Frankfurt, Montag 20.16 Uhr

      Mike Pawelski lag gemütlich auf dem zerrissenen Sofa in seiner Souterrainwohnung im Frankfurter Rotlichtviertel und zappte mit der Fernbedienung durch die Kanäle. Er blieb auf einem Privatsender hängen, der die gefühlt siebzehnte Wiederholung eines Steven Seagal Films aus den Neunzigern zeigte. Dann legte er die Fernbedienung weg und nahm seinen Laptop auf den Schoß. Er prüfte die Daten, die sein Trojaner aus dem System der Deutschen Bank an seinen Server gesendet hatte. Aus Sicherheitsgründen loggte er sich für gewöhnlich nicht direkt mit seinem Laptop in gesicherte Systeme ein sondern überließ es seinen selbstprogrammierten Trojanern, selbstständig Daten an seinen Server zu senden, die er dann mit seinem Computer abrufen konnte. Alles schien ok zu sein. Der Trojaner war so programmiert, dass er seine Umgebung selbst überwachte. Würde jemand Verdacht schöpfen und den Speicherbereich, in dem er sich gerade eingenistet hatte, einer genaueren Untersuchung unterziehen, so würde er entweder den Speicherort ändern und die Daten am vorherigen Ort löschen, oder er würde notfalls sich selbst löschen. Im Moment lief alles wie geplant, Mike schaute sich die jüngsten Bilanzzahlen an und kam zu dem Schluss, dass es der Bank so gut wie lange nicht ging. Die Geschäfte in Fernost liefen hervorragend, der schwache US-Dollar spielte ihnen in die Karten und die Krise der kleinen Banken schien ein gefundenes Fressen für den Platzhirsch zu sein. Er fragte sich, ob es moralisch verwerflich wäre, das Unternehmen um ein paar hundert Millionen Euro zu erleichtern. Er würde das Geld noch nicht einmal selbst haben wollen, er könnte es in winzige Portionen aufgeteilt auf sämtliche Privatkunden der Deutschen Bank verteilen, als eine Art Volks-Dividende. Bei 15 Millionen Privatkunden wären das vielleicht zwanzig Euro pro Bankkonto. Ob das die Menschen glücklicher machen würde? Er rief die Daten eines anderen Trojaners ab, der seinen Dienst bei der Star Alliance machte, eines Unternehmens, in dem sich zahlreiche der namhaftesten Fluggesellschaften weltweit zusammengeschlossen hatten. Ein Hauptsitz der Star Alliance war am Frankfurter Flughafen, einem der wichtigsten Luftfahrtdrehkreuze und größter Luftfracht-Airport der Welt. Die Star Alliance ermöglichte nicht nur eine einfache Kooperation zwischen Airlines sondern sorgte auch dafür, dass gewisse Dienstleistungen von allen Airlines gemeinsam genutzt werden konnten. Zum Beispiel Sicherheitsberatung im Bereich Netzwerk und Internetkriminalität. Es war unglaublich, wie wenig Schutz Passagierdaten bei vielen Airlines genossen und wie einfach es gewesen war, Tickets zu fälschen, Passagierlisten zu verändern oder Unbefugten Zutritt zu sensiblen Bereichen des Frankfurter Flughafens zu gewähren, indem man Passwörter klaute und Zutrittsausweise fälschte. All das hatte er demonstrationsweise getan und vor den Augen schockierter Star Alliance Manager den fiktiven Passagier „Osama Bin Laden“ auf einen 1. Klasse Sitzplatz in einem Airbus A380 einer großen deutschen Fluglinie von Frankfurt nach Los Angeles gebucht. Dieser Passagier existierte natürlich nicht, er war auch nicht am Boarding-Gate erschienen, obwohl er online eingecheckt hatte. Aber er jagte den Fluglinienverantwortlichen einen genügend großen Schrecken ein, um Mike einen sechsstelligen Auftrag zur Überarbeitung des Sicherheitsstandards ihrer Buchungsserver einzubringen. Seitdem flog er nur noch erster Klasse und hatte sich sogar schon in Begleitung einer langbeinigen Blondine in die Honeymoon-Suite eines A380 nach Sydney gebucht. Die Blondine war das einzige, was er an dem Flug bezahlen musste, denn sein Erfolg bei Frauen war nicht ganz so groß wie sein beruflicher. Glücklicherweise konnte man mit Geld so ziemlich alles haben, auch Frauen, die sich auf Reisen als Partnerin oder Ehefrau ausgaben.

      Mike dachte über sein Pech mit dem weiblichen Geschlecht nach, während er die Star Alliance Daten überflog. Es gab nur eine Frau, die er wirklich geliebt hatte. Genau genommen würde es nur eine Frau geben, die er jemals lieben würde. Leider hatte sie damals nein gesagt, und er würde nie wieder wagen, sie nochmals zu fragen. Sie waren seit ihrer