Milena Himmerich-Chilla

534 - Band I


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hörst du mich?« Übersteuert drang eine Stimme an ihr Ohr, doch es dauerte, bis sie die Worte verstand. »Wolfgang?«, wisperte sie tonlos. Sie fühlte den kalten Schweiß auf ihrer Stirn, während sich die Nässe bereits zwischen den schmerzenden Brüsten sammelte. »Was ist ...?«

      »Ruhig, mein Herz. Du warst kurz ohnmächtig.«

      Müde und noch immer benommen drehte sie ihren Kopf zur Seite, als unzählige, verschwommene Gestalten murmelnd an ihr vorüber zogen. Sie fühlte, dass etwas nicht in Ordnung war.

      »Kalt«, hauchte sie.

      »Was?«

      »Es ist kalt.« Sie fror bis auf die Knochen. »Es ist alles gut, Frau Heyn«, drang eine weitere, jedoch fremde Stimme durch den pastellfarbenen Sud, der vor ihren Augen lag.

      Margarethe versuchte, den Blick zu klären und ließ jenen über ihren, noch immer prallen Bauch, hinab zur Quelle gleiten. Immer wieder verschwamm dabei die Welt vor ihren Augen, bis sie der Müdigkeit nichts mehr entgegenzusetzen hatte und sich kraftlos nach hinten fallen ließ. Dann plötzlich brannte ihr Körper und Schweißperlen legten sich erneut, einer Krone gleich, auf ihrer Stirn ab. »Pressen Sie, jetzt!«

      »Ich kann nicht mehr!« Entgegen ihrer Aussage allerdings krümmte sie sich und presste so gut sie konnte.

      »Ich kann nicht mehr.« Jene raue Hand, die in ihrer lag, drückte schmerzvoll die aufgedunsenen Finger. »Wolfgang«, stöhnte Margarethe zwischen zusammen gepressten Zähnen.

      Sie erinnerte sich plötzlich an ihre erste Begegnung im Stadtpark. Sein Lächeln damals war einfach atemberaubend gewesen. Bilder ihrer Hochzeit flogen sekundenschnell vorbei. Die Schmerzen jedoch nahmen weiter zu, dass es bald darauf kein Platz mehr dafür gab. Etwas stimmte nicht, das konnte sie mit Bestimmtheit sagen. »Der mütterliche Instinkt trügt nie«, dachte sie.

      »Pressen, Frau Heyn! Fester!« Sie konnte nicht mehr und fühlte nunmehr auch den letzten Rest ihrer Kraft dahinschwinden, bevor sie erneut drohte, das Bewusstsein zu verlieren.

      Aufgeregte Stimmen drangen an ihr Ohr und verwoben sich zu einer undurchdringlichen Wand aus ungreifbaren Worten, während die Welt begann, sich schneller zu drehen. »Wir haben keine Zeit mehr!«, hörte sie die Stimme des Arztes, der mehr zu sich selbst, als zu den bereitstehenden Helfern sprach. Der gellende Schmerz, gepaart eines reißenden Geräusches, ließ Margarethe just aufschreien. Ihr wurde sofort schlecht. »Was habe ich Schlimmes getan, dass ich das verdiene?«

      Erbrochenes stieg ihren Hals hinauf »Nein!« Entschlossen, sich nicht die Blöße zu geben, drängte sie die aufkommende Übelkeit zurück und versuchte das Geschehen neu zu erfassen. Die unregelmäßigen Töne der Geräte, welche zahlreich um sie herum standen, drangen ihr dabei ins Bewusstsein. »Oh Gott, bitte.« Sie presste weiter, bis ein erneuter heller Schmerz ihren Geist ergriff. Wieder dieses Geräusch. »Reißender Stoff«, schoss es ihr schonungslos durch den Kopf. Sie war es, die gerissen war, dann ging alles ganz schnell. Der Druck in ihrem Unterleib verschwand und nahm den Schmerz mit sich. Es war vorbei, endlich hatte die Qual ihr Ende gefunden. Mit diesem Gedanken ließ sich Margarethe erleichtert nach hinten fallen und atmete tief durch. »Etwas stimmt nicht«, schoss es ihr abermals durch den Kopf.

      Leises Gemurmel erfüllte den Kreißsaal. Margarethe jedoch vermisste etwas. Nur langsam setzte sich ihr Verstand in Bewegung. Etwas fehlte, davon war sie überzeugt, aber was war es nur?

      Margarethe öffnete die Augen und sah ihren Mann an, der stramm neben ihr stand und das Gesicht dabei abgewendet hielt. Sie folgte seinem Blick. Einen kurzen Moment konnte sie ihre gemeinsame Tochter, eingewickelt in ein rosafarbenes Handtuch erkennen, bevor ihr eine Schwester die Sicht auf das Baby stahl. Dann brach die Realität über ihr zusammen. Sie wusste mit einem Mal, was an dieser Situation schon die ganze Zeit störte. Es fehlte das Geschrei, der erste Laut ihrer neugeborenen Tochter.

      Panik hielt Einzug, als sie auch schon versuchte, sich mit immer noch gespreizten Beinen hochzustemmen, um noch einmal einen Blick auf ihr Kind zu erhaschen. »Margarethe?«, stöhnte ihr Mann. Das Gesprochene ließ je die Köpfe der Anwesenden zu ihr herum drehen »Frau Heyn, legen Sie sich bitte wieder zurück. Das ...«

      »Was ist los? Was ist mit meinem Baby? Was ...?« Der Blick in die trüben Augen des Arztes verschaffte ihr Gewissheit. »Nein!«, stöhnte sie ungläubig. »Das kann nicht sein. Wolfgang?! Sag mir, dass alles in Ordnung ist.« Der angesprochene Mann drückte ihre Hand, mit der sie dessen Unterarm schraubstockartig umgriffen hielt. »Nein«, keuchte sie. »Das ist nicht wahr! Das darf nicht sein, Wolfgang! Ich habe doch nichts Böses getan. Warum wir?«

      Ein leiser, zittriger Schrei erfüllte den Raum und ließ die Anwesenden je in ihrer Handlung innehalten. Ihrer aller Blicke legten sich auf das bewegende Handtuch in den Armen der tragenden Hebamme, welche etwas abseits gestanden war.

      Ungläubigkeit verdrängte das Mitleid aus den Gesichtern der Ärzte und Schwestern. Margarethe umschloss Wolfangs Arm fester, während dieser seine Augen weitete und den Hals weiter als nötig reckte. Erneut erklang der Schrei des Säuglings.

      »Puls?«

      »Ja, Herr Doktor ...« Wieder vermengten sich die wild durcheinander sprechenden Stimmen für Magarethe zu einer wogenden Masse, als sie sich zurückfallen und den Moment, Moment sein ließ. Es war alles wieder in Ordnung.

      »Sie hat bestimmt deine Augen.« Wolfgang, der sich bereits neben sie auf den bereit gestellten Hocker gesetzt hatte und ihre Hand umklammert hielt, nickte zustimmend. »Bestimmt, aber sie wird mit Sicherheit deinen Dickkopf haben.« Margarethe lachte tonlos und schloss die Augen. »Wenn du so sicher bist.« Wolfgang stimmte in das Lachen seiner Frau ein.

      »Elisabeth, so soll sie heißen.« Wolfgang nickte und strich seiner Frau abwechselnd liebevoll über die noch immer geröteten Wangen. »Es ist ein Wunder.« Margarethe lächelte. »Ja, sie ist ein Geschenk des Himmels.«

       Kapitel III

      11. Des Ankh 534 (279 Jahre später) | Festung Nimro

       – abseits der Grenze

      Die zahllosen Stimmen, welche durch die verlassen gelegenen Gänge hallten, verwoben sich zu einer monotonen Bracke. Wie sich brechende Wellen trieben diese unerbittlich gegen die moosbewachsenen, schroffen Felswände der Festung. Zwischen den spärlich gesäten Lücken des saftigen Grüns hangelte sich in dünnen Rinnsalen die Feuchtigkeit herab. Das Geräusch der tropfenden Nässe untermalte das Grollen der Männerstimmen. Jene drangen weiter aus den tieferen Hallen herauf.

      Die sieben Gestalten im Zentrum der großen Halle formten einen unsteten Kreis am Rande, einer, auf dem Boden von Runen und Linien durchzogenen, gemalten Kreidezeichnung. Ihre durchweg erdig gefärbten Umhänge ließen dabei den benötigten Kontrast vermissen, welcher sie vom Hintergrund der Szenerie abgehoben hätte. So verschmolzen ihre Leiber nahtlos mit den dahinter gelegenen Felswänden.

      Kühl zog die Luft ihre Bahnen durch jene schmalen Korridore, die von der großen Halle ab gingen, und spielte dabei mit den Säumen der grob gewebten Stoffe. Der Kälte trotzend bewegte keiner der Anwesenden auch nur einen Muskel. Zu wichtig war der Moment, um sich auch nur einer Unachtsamkeit zu ergeben. Stumm ertrugen sie daher die Schmerzen, welche sich die nackten Füße der Beteiligten hinauf schlängelten und sich dabei tief in die Glieder hinein fraßen.

      Der stetige Sprechgesang, welcher aus ihren Kehlen drang, erklomm die steinerne Kuppel und presste sich durch das schmale Auge am Ende jener in die Freiheit hinaus. Zeitgleich des Entkommens, zwängte sich der Mondschein an diesem vorbei und legte sich sanft leuchtend auf den äußeren Teil der Kreidezeichnung. Dabei ließ er das berührte Weiß hell erstrahlen. Nur noch wenige Augenblicke trennten das Leuchten von einer Berührung der filigran gezeichneten Mitte.

      Jener Moment war es, als sich eine weitere Gestalt aus dem umliegenden Schatten löste und humpelnd auf das Geschehen zutrieb. Dessen Fingerknöchel zeichneten sich weiß unter seiner grauen Haut ab, als er die Hand fester um das Horn des Ziegenbockes schloss, welchen er