einen kurzen Blick zu erhaschen, doch es blieb ihr verwehrt, ganz im Gegensatz zum aufgekommenen Schmerz in ihren Schläfen.
Die Augenlider zusammen pressend, massierte sie die brennenden Stellen mit ihren Fingerkuppen, wobei sie das Heben und Senken ihrer Haut deutlich darunter erfühlen konnte. Das kontinuierliche Rauschen in ihren Ohren zehrte augenblicklich an den Nerven. Jenes baute sich auf, bis es alle weiteren Geräusche im Keim erstickt hielt und Elisabeth an einem Punkt angekommen, gehörlos zurückließ.
Panik befiel ihren Geist, als sie sich mit weit aufgerissenen Augen an die Ohren fasste und den skeptischen Blicken des nahe stehenden Mannes, der von seinem Smartphone auf schaute, auf sich liegen fühlte. Er öffnete seinen dicklippigen, breiten Mund, mit dem er ausladend Worte formte, auf dessen Ankunft Elisabeth vergebens wartete. Nur erahnen konnte sie seine Frage, was mit ihr sei. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, dabei erst sanft, dann immer fester gegen ihre Ohren schlagend. Entgegen ihrer Bemühung änderte sich jedoch nichts am Zustand der plötzlichen Gehörlosigkeit.
Nun legten sich weitere Blicke auf ihre Person, während die anderen wartenden Fahrgäste ihre Handys wegsteckten und einen Kreis um sie bildeten. Das Rauschen untermalte gespenstisch jene unwirkliche Szenerie, als zahllose, sich bewegende Münder tonlose Stimmen zu ihr trieben. Sie betrachtete jeden einzelnen mit hilflosem Blick und wandte sich um sich selbst. Sie wussten nicht, was mit ihr war, jedoch spürten sie instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Ihr fiel die Frau im blauen Kostüm wieder ein. Elisabeth drehte sich, suchte mit ihren Augen nach jener. Hatte doch das Rauschen begonnen, als sie versucht hatte, einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Lag darin nun auch die mögliche Antwort darauf?
Als ihr Blick die emotionslosen, unter wohl gezupften Brauen gelegenen, alten Augen traf, welche sie unverhohlen anstarrten, zuckte sie zusammen. Nichts war mehr von jener Weichheit der alten Züge geblieben, die Elisabeth zuvor zu einem Lächeln bewogen hatten. Ihre nunmehr eiserne Maske wirkte höchst beängstigend auf sie, als sich die ausgeprägten Altersfalten wie Narben über das kantige Gesicht mit seinen hängenden Wangen zogen. Erst jetzt bemerkte Elisabeth den Schatten, der sie schmückte.
Das kleine Mädchen, welches die behandschuhte Hand der alten Dame umgriffen hielt, stand entspannt an ihrer Seite und lächelte falsch unter einem Gestrüpp aus grauen, durcheinandergeratenen Haaren. Elisabeth verschlug es unweigerlich den Atem. So trat sie einen Schritt zurück. Als sie jedoch mit dem Rücken gegen einen beleibten Mann stieß, der sie mit einem verwirrten Ausdruck in seinen Augen musterte, schluckte sie schwer. Das Rauschen dröhnte augenblicklich lauter in ihrem Bewusstsein, während das Mädchen ihre zierliche Kinderhand aus der ledernen Umklammerung zog und einen Schritt auf sie zu tat.
Ihr wurde speiübel, als sie sich an dem Mann vorbei schob und unsicher nach hinten taumelte, dabei jedoch immer wieder an sichtlich besorgte Personen stieß. Ein Windzug kam auf und riss an ihrer Jacke, um daraufhin die grauen langen Haare des Mädchens nach hinten zu streichen. Dies legte jene saphirblauen Augen frei, welche auf sie gerichtet waren.
Elisabeth würgte beim Anblick des kindlichen Gesichtes, in dessen Mitte nun ein breites Grinsen thronte und die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen frei gab. Sie hatte dieses Kind schon einmal gesehen, in ihren Träumen.
Elisabeth hielt sich den zitternden Handrücken vor den Mund und krampfte unter erneutem Würgen. All die über Jahre in ihrem Geist gesammelten Alpträume brachen just über ihr zusammen und immer tiefer brannte sich das markante blaue Feuer der Augen jenes Kindes ein, welches nur noch eine Armlänge von ihr entfernt war.
Sie nahm den aufgekommenen, rauchigen Geruch verbrannten Holzes wahr, als sie sich zwischen den letzten, schwarz gewandeten Männern hindurch presste. Eine schwere, großflächige Hand legte sich dabei um ihren rechten Oberarm und zog sich schraubstockartig zusammen. Elisabeth riss just ihren Kopf zu Seite und starrte in die braunen Augen eines jungen Mannes. In dessen Zügen lag Besorgnis. Er redete auf sie ein, doch sie verstand ihn einfach nicht. Flehend wandte sie sich unter seinem Griff, bis sie erkannte, dass er sie nicht so einfach gehen lassen wollte.
Ein weiterer Mann löste sich aus der Masse und trat auf Elisabeth zu. Auch in seinem Blick lag die Frage, die auch sie beschäftigte. Was war hier nur los?
Elisabeth’s Versuch, sich erneut loszureißen wurden nachdrücklicher, als nun auch der zweite, hochgewachsene Mann ihren Arm umfasste. Sie ließ sich fallen, warf sich nach hinten und schrie. Jedenfalls nahm sie es an, denn hören konnte sie es nicht.
Die Hand des jungen Mannes rutschte schmerzhaft von ihrem Arm und hinterließ dabei eine blutende Spur auf ihrer sonst blassen Haut. Erneut streckte er seinen Arm in ihre Richtung und ergriff jenen Rucksack, den sie eng an sich gepresst hielt. Nicht gewillt, ihm diesen zu überlassen, zog sie mit aller Kraft an diesem und sich schlussendlich von beiden Männern los, welche sie mit hochgezogenen Brauen ungläubig anstarrten.
Elisabeth drehte sich keuchend auf dem Absatz um und rannte drauf los. Erst einige Meter weiter die Straße hinab, hielt sie inne und sah prüfend zurück. Ihr Blick traf hierbei jene Augenpaare, die sie zurückgelassen hatte. Immer noch schlug ihr Herz unerbittlich gegen ihre Brust. Gehetzt und mit den aufgekommenen Seitenstechen kämpfend, versuchte sie zwischen den einzelnen Personen das zurückgelassene Mädchen aus zu machen.
Schweiß lief ihren Rücken und zwischen den wenig ausgeprägten Brüsten hinab. Schwer keuchend kniff sie dabei ihre Augen zusammen, doch konnte sie kein Kind mehr aus machen. Einzig und alleine die stillstehenden Männer und jene Frau im taubenblauen Kostüm konnte sie erkennen. »Wo ist sie hin?«
Elisabeth versuchte klar zu denken, als sie unbewusst weitere Schritte nach hinten tat, um zwischen sich und dem Ort des Geschehens so viel Distanz zu erhalten, wie es ihr möglich war. Je weiter sie ihre Füße über die grauen Waschbetonplatten trugen, je mehr nahm das Rauschen in ihren Ohren ab und die Geräusche der Welt fanden zu ihr zurück. Was war eben nur passiert? Spielte der wenige Schlaf der vergangenen Nächte mit ihren Sinnen Streiche oder verlor sie nun endgültig den Verstand? Sie wusste es nicht.
Kapitel V
08:16 Uhr – Bushaltestelle – Am Dornenbusch
Keuchend hielt der überalterte Bus neben ihm an und senkte sich pfeifend herab, so dass die ringsum stehenden Personen nacheinander den schmalen Einstieg erklimmen konnten. Seine rot-gelbe Farbe war schon mehr als verblasst und ließ die aufwendige Bemalung aus besserer Zeit nur noch erahnen, während hier und da der Lack begann, ab zu platzen und den Rost darunter frei legte.
Schaukelnd sog er auch den letzten Fahrgast ein, als sich der schwer beleibte Fahrer, in seinem an Geruchsbelästigung grenzenden Führerhaus, über das abgegriffene Lenkrad hob und genervt sein Kinn nach oben zog. Seine Augen taxierten den Übriggebliebenen, der weiterhin regungslos mit dem Rücken zu ihm stand, als wollte er ihn durchbohren. »Was isn? Fahrn se mit oder nich?«
Der Busfahrer war ihm vollkommen egal, wie auch jene Fahrt ins Büro, die er vor gehabt hatte. Noch immer hielt er breit grinsend seinen Blick auf die Straßenecke gerichtet, an der das braunhaarige Mädchen zuvor eilig und verstört abgebogen war. »Nein danke, bei diesem schönen Wetter werde ich laufen! Soll ja bekanntlich gesund sein, nicht wahr?«
Untermalt vom Zischen des erbosten Fahrers und dem quietschenden Schließen der abgenutzten Fahrertüren, schob er seine linke Hand in die viel zu engen Hosentaschen seines Anzugs und begann gemütlich über das Pflaster in Richtung der Kreuzung zu schlendern, welche vor ihm lag. Nein, nach Eile war ihm heute ganz und gar nicht zumute. Hatte er doch endlich das gefunden, nachdem er schon so lange Ausschau hielt. Hier war sie nun überraschend vor ihm gestanden und ohne Zutun in seine Arme gestolpert.
Er freute sich diebisch und schlang den dünnen, bordeauxfarbenen Schal enger um das ausladende Doppelkinn. Hierbei fielen ihm seine aufgeblähten Finger auf. Angewidert schnalzte er mit der Zunge und begann die vorbei ziehenden Passanten, die seinen Weg kreuzten, zu mustern. »Zu alt, zu dick, eine Frau.« War denn niemand auf der Straße, der seinen Ansprüchen auch nur halbwegs genügte?
Er war schon bereit gewesen, sich mit der jetzigen Hülle abzufinden, als ihm ein schmaler, jugendlicher