Milena Himmerich-Chilla

534 - Band I


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am Rande der Gesellschaft. Selbst für Hagar, der sich damals freiwillig meldete, nachdem kein anderer seiner Brüder sich dazu durchringen konnte ihn zu unterrichten, hatte er nur eine verabscheuungswürdige Kreatur geboten. Noch immer begleiteten Grindelwald die angeekelten Blicke seines glatzköpfigen Mentors in den spärlich gesäten Träumen.

      Schwer unter seinen Erinnerungen wiegend, sank der Körper im Polster des Stuhls ein, als er seine Ellenbogen auf die hölzernen Lehnen stemmte und die Hände vor seiner Stirn faltete. Müde lehnte er seinen Kopf nach vorne über, so dass seine Stirn die Finger berührte. Er atmete schwer.

      Kälte kroch die Beine hinauf und hüllte seinen Körper langsam ein. Dabei trieb er in einen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein. Das plötzliche, leise Scharren jedoch, welches aus der Ecke auf ihn zu drang, erlangte seine Aufmerksamkeit. Er öffnete die Augen.

      »Die Mitglieder warten auf ein Wort. Sie fragen, wann es wieder so weit sei zusammenzutreffen.« Noch immer im Sessel sitzend, winkte Grindelwald die blonde Gestalt zu sich heran, welche seiner Geste folgend zu ihm trat, um sich vor ihm zu verbeugen. »Sag ihnen, dass sie sich in zehn Tagen erneut hier einfinden sollen, Merin. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, sind wir ihrer Rückkehr doch schon so nahe.« Merins goldene Augen funkelten von Vorfreude übermannt, als er sich erneut, jedoch tiefer als nötig verbeugte. »Sag ihnen auch, dass wieder ein Opfer benötigt wird ... und dieses Mal sollte es kein daher gelaufener Ziegenbock sein.« Merin zuckte schuldig zusammen »Ja, ich habe verstanden. Vergib mir. Ich werde das nächste Opfer sorgsamer auswählen.«

      »Das hoffe ich für dich, Merin. Das hoffe ich wirklich. Enttäusche mich nicht noch einmal.« Grollendes Lachen ergoss sich durch das handgeschlagene Fenster ins Rauminnere und ließ den blonden Gestaltwandler just zusammenfahren. Er erkannte die Stimme sofort und spannte seinen Unterkiefer an. »Was bildete sich der Hühne ein?«, dachte er wutschnaubend.

      »Das wäre dann alles, Merin«, zischte Grindelwald erbost, während sein gesundes Auge aus dem Fenster starrte. Er mochte es nicht belauscht zu werden, egal von wem.

      Merin, der seine Aufmerksamkeit wieder auf den Magier vor sich gelenkt hielt, folgte dem unausgesprochenen Befehl und glitt lautlos zurück in den Schatten, aus dem er gekommen war.

      »Du bist und bleibst ein Risikofaktor, aber auch der Schlüssel zum Ganzen«, raunte der Magier vor sich hin, während seine Finger liebevoll das Holz des Stabes hinauf und herabfuhren. Etwas musste er jedoch zugeben. Ohne die schnelle Auffassungsgabe des Gestaltwandlers an jenem Tag hätten sie keine weitere Chance bekommen. Dennoch stieg Wut in Grindelwald auf, als er sich an das damalige Ereignis erinnert fühlte und die rechte Hand vor sein gesundes Auge hob. Sein Blick glitt dabei über den schlecht verheilten Stumpf, an dessen Stelle sich sein Zeigefinger hätte befinden sollen. Er erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen, an das Hochgefühl, welches ihn damals übermannt hatte, bevor die Situation ihm aus den Händen geglitten war.

      Merin war schnell gewesen, er jedoch auch. Seine geistesgegenwärtige Handlung, den verwesenden Finger Liliths Geist hinterherzuwerfen, hatte ihm so eine Hintertür geschaffen, durch die er sich nun bereit sah zu treten, um seine Ziele endgültig erreichen zu können.

      Ein schiefes Grinsen legte sich auf seine aufgeplatzten Lippen. »Meine liebste Lilith, schon bald wirst wieder an meiner Seite sein. Ich kann es kaum noch erwarten«, säuselte seine unheilschwangere Stimme, bevor sich ein wahnsinniges Lachen durch die Festung ergoss, sie ausfüllte und den berittenen Auszug der Getreuen in die Morgendämmerung übertönte.

      Merin folgte den donnernden Hufen mit seinen Augen, bevor auch er die Zügel seines braunen, durchtrainierten Hengstes ergriff und über den Hof schritt. Sein Weg führte ihn hierbei an den Rand des Vorplatzes, direkt vor den tiefschwarzen, schattigen Durchgang, der seine Reise etwas verkürzen würde. So lange er sich hinter den Grenzsteinen aufhielt, welche das unwirkliche Land vom Reich der zehn Königreiche trennten, war es ihm möglich, seine Reisen durch die Schatten anzutreten. Hinter jenen allerdings war ihm dieses Privileg nicht mehr vergönnt. Zwar besaß er immer noch die Fähigkeit dazu, aber eine Ausführung würde die Aufmerksamkeit seiner Brüder mit sich bringen und jenes war etwas, das er sich nicht hatte leisten können, unter keinen Umständen.

      Merin blinzelte gegen den Himmel und verweilte einen Augenblick, bevor er beherzt die Zügel enger umfasste und mit seinem Tier in den Schatten trat.

       Kapitel IV

      21.03.2017 | 03:03 Uhr – Eschenweg 5, 2.OG

      Ein schneidender Schrei weckte Elisabeth, welche nunmehr mit weit aufgerissenen, grauen Augen die Decke ihres Schlafzimmers fixierte. Das schwere Blau der immer noch währenden Nacht verwischte sich konturlos mit jenem Grau der sonst pastellfarbenen Tapete.

      Es dauerte eine geraume Zeit, bis ihr Geist in Bewegung kam und sie merkte, dass der helle Schrei ihrer eigenen Kehle entsprang. Nun jedoch gewann die Stille ihr Reich zurück, als auch der letzte Ton in dem spärlich eingerichteten Zimmer verklang.

      Ihr Mund war trocken, im starken Kontrast zur Feuchtigkeit, die keinen Zentimeter ihrer Haut aus ließ und in feinen Tropfen, Diamanten gleich im spärlichen Licht der von draußen hereinscheinenden Straßenlaterne funkelte. Ihr Shirt klebte von Schweiß getränkt am Körper und ließ keinen Makel unentdeckt. Dabei dramatisierte der dünne Stoff die zaghaften Wölbungen in jeder erdenklich unvorteilhaften Weise.

      Noch immer klangen die Bilder des vergangenen Alptraumes wie ein grausames Echo in Elisabeths Erinnerungen wider, während die aufgekommene Übelkeit siegte und sie in kurzen Schüben zu würgen begann. Schützend legte sie beide Hände vor ihren Mund und strampelte sich aus der noch immer nachtschweren Decke. Diese jedoch war nicht gewillt ihr Opfer gehen zu lassen und legte immer wieder einen festen Griff um ihre Beine. In letzter Sekunde jedoch eröffnete sich ihr jene sehnlichst herbei gewünschte Chance der feucht-warmen Umarmung zu entkommen.

      Diese nutzend, schwang sich Elisabeth aus dem Bett heraus und rannte barfuß den schmalen Flur ihrer kleinen Wohnung hinab. Das Klatschen blanker Fußsohlen, welche auf den kühlen Laminatboden schlugen, hallte dabei gespenstisch spitz von den kahlen Wänden wider. Bei ihrem damaligen Einzug hatte sie sich fest vorgenommen, den Flur mit allerhand Bildern zu schmücken, doch schon kurze Zeit darauf war ihr anfänglicher Wunsch unwichtig geworden.

      Die Kühle der rosa Kacheln des sanierungsbedürftigen Badezimmers stand im starken Kontrast zur lauen Wärme des Holzbodens. Augenblicklich zog sie ihre Zehen an und verlagerte das Gewicht auf die weniger empfindlichen Fersen. So, am Waschbecken angekommen, senkte sie ihren Kopf hinab und ließ ihrem Unwohlsein freien Lauf. Ihre Finger zitterten vor Anstrengung, hielten dabei jedoch den Rand des gesprungenen Beckens fest umklammert.

      Elisabeth stemmte, ohne einen Moment darüber nachgedacht zu haben, das gesamte Gewicht nach vorne. Hierbei knackte das Porzellan unter der Handfläche bedrohlich laut.

      Ihr Gesicht fühlte sich geschwollen an, als der Druck, der ihre Schläfen befiel, mit jedem weiteren krampfhaften Würgen zunahm. Die Äderchen um ihre Augen platzten bereits und sprenkelten ihre kalkweiße Haut lila. Immer wieder zog sich ihr Magen krampfhaft unter den nächtlichen Bildern, die sie erneut befielen, zusammen. Das Becken, immer lauter werdend der wellenartigen Belastung, drohte auseinanderzubrechen. Da jedoch ebbte die Flut, so schnell sie gekommen war, ab.

      Elisabeth war dankbar und hob ihren Kopf an, um einen Blick in den Spiegel des Hängeschrankes zu werfen. Das blutunterlaufene Augenpaar, welches ihr daraus entgegen starrte, wirkte fremdartig in ihrem fahlen Gesicht, das langgezogen, dem eines Geistes glich. Ein weiterer Würgereiz streckte sich just nach ihr aus und zwang erneut den Körper in die Knie, doch diesmal blieb die Erleichterung aus.

      Einige Minuten waren vergangen, als Elisabeth aus ihrer Starre erwachte und fahrig das Wasser anstellte und dabei die verräterischen Spuren vom Weiß des Porzellans wusch. Sie war schwach, fühlte sich benommen vom Gefühl der Übelkeit und der Schwermut in ihrem Inneren. So seufzte sie, bevor sie auf dem Rand der Badewanne Platz nahm und in sich zusammen sank. »Warum immer diese Alpträume?«

      Nunmehr stumm saß