Frank Springer

Thiemos Bande


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atmete mehrfach tief durch. Tränen liefen über ihre Wangen.

       Thiemo fragte: „Bist du verletzt?“

       Bleich vor Schreck antwortete sie schwer atmend: „Nein, glaub nicht. Es geht schon.“

       Allmählich ging es ihr besser und sie sammelte sich.

       Dann schrie sie verzweifelt: „So ein Mist! Meine Schuhe! Meine Schuhe sind weg.“

       Thiemo war ebenfalls wütend über seinen Verlust und entgegnete: „Sei froh, dass es nur Schuhe sind. Sie haben mein gesamtes Taschengeld für diese Woche gestohlen.“

       Zornig sagte das Mädchen: „Du kannst ohne Geld laufen, aber wie soll ich ohne Schuhe nach Hause gehen?“

      Thiemo holte Beas alte Schuhe aus dem Gebüsch und stellte sie vor Dörtes Füßen ab.

       Dazu sagte er: „Du kannst ja die hier anziehen.“

       Voller Ekel schüttelte sich Dörte: „Igitt, diese alten Dinger zieh ich nie im Leben an. Dann gehe ich lieber den ganzen Weg barfuss.“

       Sie zog sich ihre kurzen Sneakersocken aus, die selbstverständlich ebenfalls rosafarben waren, und stopfte sie in ihre Rocktaschen.

       Thiemo schaute sich Beas Schuhe an und meinte: „Wenn ich so alte und ausgetretene Schuhe hätte, dann würde ich mir auch neue klauen.“

       „Jetzt nimm die beiden nicht auch noch in Schutz“, schnaubte Dörte vor Wut. „Es ist schlimm genug, was sie gemacht haben.“

       Thiemo erwiderte: „Ich nehme sie doch nicht in Schutz. Immerhin haben die beiden mich arm gemacht. Mein Taschengeld ist weg.“

       Dörte knurrte: „Sei lieber froh, immerhin bekommst du regelmäßig Taschengeld.“

      Eine Weile überlegte Thiemo, dann fragte er: „Was meinten die beiden mit Reichensöhnchen? Meine Eltern haben doch gar nicht so viel Geld. Die Eltern von Laetitia und Felicitas die sind richtig reich.“

       Dörte schaute ihn voller Mitleid an und antwortete: „Ihr wohnt in einer großen und schönen Wohnung, du hast ein eigenes Zimmer, bekommst regelmäßig dein Taschengeld und kannst teure Markenklamotten anziehen. Das ist viel mehr, als ich habe. Wir leben nur in einer kleinen Wohnung und ich muss mir mit meinem jüngeren Bruder ein Zimmer teilen. Taschengeld gibt es für mich auch nur, wenn am Monatsende vom Haushaltsgeld etwas übrig bleibt und das ist selten genug. Meine Sachen muss ich im Billigmarkt kaufen. Die beiden, die uns überfallen haben, bekommen vermutlich noch viel weniger.“

       Thiemo hakte ein: „Jetzt nimmst du sie aber in Schutz.“

       „So ein Unsinn“, fluchte Dörte.

      6. Der Heimweg

      Thiemo und Dörte hatten das gleiche Schicksal erlitten. Sie waren beide ausgeraubt worden. Durch den Überfall waren sie zu Leidensgenossen geworden.

       Obwohl Thiemo deswegen Dörte nicht weniger hasste als zuvor, fühlte er sich nun verantwortlich für sie und schlug ihr vor: „Wenn du möchtest, dann begleite ich dich nach Hause.“

       Dörte schaute ihn misstrauisch von oben bis unten an. Thiemo spürte, dass sie ihn genauso wenig mochte wie er sie und dass sie sich ihre Antwort genau überlegte.

       Sie zuckte mit den Schultern und sagte kurz: „In Ordnung. Warum nicht?“

       Gemeinsam setzten sich die beiden in Bewegung.

      Nachdem sie ein kleines Stück gegangen waren, schrie Dörte: „Au, das tut weh!“

       „Was ist?“, fragte Thiemo besorgt. „Tut dein Bauch noch weh?“

       Dörte kommandierte: „Nein, ich bin nur auf einen spitzen Stein getreten. Bleib bitte stehen!“

       Thiemo blieb stehen und Dörte hielt sich mit ihrer linken Hand an seiner Schulter fest. Dann hob sie ihren linken Fuß und legte ihn auf ihren rechten Oberschenkel ab. Mit ihrer freien Hand strich sie sich über die nackte Fußsohle. Danach gingen sie weiter. Nach weiteren hundert Metern trat Dörte erneut auf einen Stein und das Ganze wiederholte sich. Diesmal fiel ihr Blick auf Thiemos verletztes Knie.

       Sie fragte: „Du blutest. Tut das sehr weh?“

       „Nein, es geht schon“, sagte Thiemo und lächelte, obwohl es beim jedem Schritt schmerzte.

      Thiemo fuhr fort: „Wir müssen unbedingt so schnell wie möglich zur Polizei und die beiden anzeigen.“

       Wie zu Tode erschrocken sagte Dörte: „Nein, das geht nicht.“

       „Warum nicht?“, fragte Thiemo erstaunt. „Willst du, dass die beiden einfach so mit dem Überfall davonkommen?“

       Dörte entgegnete entschieden: „Nein, aber das geht auf gar keinen Fall. Bitte nicht.“

       „Wieso denn nicht?“, hakte Thiemo voller Unverständnis nach. „Möchtest du nicht deine Schuhe wiederbekommen?“

       „Das schon“, erwiderte Dörte, „aber bitte keine Polizei.“

      Thiemo verstand das Mädchen nicht. Er sah keinerlei Gründe, weshalb sie den Überfall nicht der Polizei melden sollten.

       Entschlossen sagte er daher: „Dann gehe ich eben alleine zur Polizei.“

       „Nein“, rief Dörte voller Entsetzen, „tu das bitte nicht.“

       „Weshalb denn nicht?“, fragte Thiemo erneut nach. „Ich möchte mein Geld wiederhaben.“

       Dörte wurde immer aufgeregter: „Das kann ich dir nicht sagen. Wenn du nicht zur Polizei gehst, dann gebe ich dir das Geld.“

       „Bist du verrückt?“, erwiderte der Junge. „Da hast doch selbst gesagt, dass du kaum Geld hast. Wie willst du mir denn das Geld geben?“

       Dörte war völlig aufgelöst: „Das schaffe ich schon irgendwie. Hauptsache, du gehst nicht zur Polizei.“

      „Mir reicht es“, sagte Thiemo wütend. „Ich gehe jetzt zur Polizei. Mach du doch, was du willst.“

       „Nein, bitte nicht!“, schrie Dörte und warf sich vor ihm auf die Knie.

       Thiemo wollte an ihr vorbeigehen, aber Dörte hielt ihn fest.

       „Dann sag mir endlich, warum nicht“, wurde Thiemo ungeduldig.

       „Nein, ich kann nicht“, schluchzte das Mädchen und fing an zu weinen.

       Thiemo riss sich los und ging weiter. Dörte rannte hinter ihm her und klammerte sich erneut an ihm fest.

       „Bitte, bitte nicht!“, schrie sie verzweifelt.

       Tränen rannen über ihr Gesicht. Thiemo blieb stehen und schaute in ihre verweinten Augen.

       Dann sagte er ruhig und bestimmt: „In Ordnung, ich gehe nicht zur Polizei, wenn du mir den Grund dafür erzählst.“

      Dörte atmete tief durch und antwortete: „Na gut, aber versprich mir erst, dass du nichts weitersagst.“

       Thiemo war erstaunt: „Warum soll ich nichts weitersagen?“

       Das Mädchen kniete vor ihm und hielt seine Hand umklammert.

       „Bitte versprich es mir, sonst kann ich es dir nicht erzählen“, sagte sie weinend.

       „Also gut“, lenkte Thiemo endlich ein, „erzähl schon.“

       „Du musst es schwören“, verlangte das Mädchen.

       „Wenn du unbedingt willst, dann schwöre ich eben“, entgegnete Thiemo genervt.

       „Schwörst du es wirklich?“, vergewisserte sich Dörte.

       „Ja, ich schwöre es“, wiederholte der Junge.

       „Was schwörst du?“, bohrte Dörte nach. „Sag genau, was du schwörst.“

       Thiemo stöhnte: „Hiermit schwöre ich, dass ich nichts von dem weiterersagen werde, was mir eine gewisse Dörte Schröter gleich erzählen wird. So, bist du nun zufrieden?“