Frank Springer

Thiemos Bande


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„Nichts wichtiges. Nur so eben.“

       Damit gab sich das Mädchen jedoch nicht zufrieden: „Wenn es nicht wichtig ist, dann können wir uns doch treffen. Nun sag schon, was es ist!“

       „Das kann ich nicht sagen“, antwortete Thiemo. „Es geht einfach nicht. Sieh es bitte ein!“

       Merle spürte, dass es Thiemo unangenehm war, darüber zu sprechen, und dass er deshalb etwas böse wurde. Daher gab sie sich geschlagen und sah von weiteren Fragen ab.

       Sie sagte traurig: „Schade, dann eben nicht.“

       Auch Thiemo war traurig, denn er hätte viel lieber etwas gemeinsam mit Merle unternommen. Vor dem Bandentreffen hingegen hatte er große Angst, da ihm noch nichts eingefallen war, womit er die Jungen aus seiner Bande beeindrucken konnte. Er durfte es sich keinesfalls erlauben, bei diesem Treffen zu fehlen. Dann würde er seinen Posten als Anführer sofort verlieren.

      Zu Hause stocherte Thiemo lustlos in seinem Mittagessen herum und machte sich kurze Zeit später auf den Weg zum Hauptquartier. Als er unten im Treppenhaus angekommen war, glaubte Thiemo zu hören, dass in einem der Stockwerke über ihm eine Tür zugezogen wurde. Er blieb kurz stehen, um zu lauschen, hörte aber keine Schritte. Schnell stieß er die schwere Haustür auf und lief los. Er wollte auf keinen Fall zu spät zum Treffen kommen. Obwohl er den Schuppen noch kurz vor der vereinbarten Zeit erreichte, waren die anderen schon alle da und erwarteten ihn. Thorben hatte bei einem Schulfreund aus seiner Klasse zu Mittag gegessen und war direkt von dort gekommen.

      Alle schauten erwartungsvoll Thiemo an. Thiemo wurde es ganz heiß, denn er hatte noch immer keine Idee, die er seinen Freunden mitteilen konnte.

       Um Zeit zu gewinnen, fing er umständlich an: „Meine lieben Freunde, hiermit eröffne ich offiziell unser planmäßiges Bandentreffen. Wie ich sehe, sind alle Mitglieder anwesend, sodass wir voll beschlussfähig sind.“

       Emilio fiel ihm ins Wort: „Lass den Unsinn! Gibt es nun etwas Neues, was wir machen können? Los erzähl schon!“

       „Ja, erzähl es uns!“, stimmten die anderen mit ein.

      Thiemo stockte. Er spürte, wie seine Hände feucht wurden und sich der Schweiß auf seiner Stirn sammelte. Alle hatten ihren Blick auf ihn gerichtet und erwarteten seinen Vorschlag. Thiemo versuchte nachzudenken, aber je mehr er sich konzentrierte, desto weniger fiel ihm ein. Er spürte, wie die anderen Jungen allmählich unruhig wurden. Thiemo wusste, dass alles für ihn auf dem Spiel stand. Er musste jetzt etwas sagen, irgendetwas. Aber sein Kopf war leer. Kein Gedanke kam ihm, der ihn hätte retten können. Ihm war klar, dass er nicht mehr länger Anführer seiner Bande sein würde, wenn es ihm nicht in diesem Moment gelang, seinen Freunden einen überzeugenden Vorschlag zu unterbreiten. Diese Schmach wollte er nicht ertragen. Daher unternahm er einen letzten verzweifelten Versuch.

       Ohne zu wissen, was er sagen sollte, stammelte er unsicher: „Also, ja, ich habe mir Folgendes überlegt ...“

      Weiter kam er nicht, denn vor der Schuppentür war ein Geräusch zu hören. Es war nicht laut, aber dennoch deutlich vernehmlich. Es war wie ein leises Knacken. Alle hatten es gehört und starrten mucksmäuschenstill wie gebannt zur Tür. Thiemo war zunächst froh, dass er vorerst gerettet war, da dieses Geräusch die anderen davon ablenkte, dass er noch keinen Plan hatte, mit dem er sie begeistern konnte. Langsam und leise ging er auf die Tür zu, fasste den Griff und riss die Tür mit einem Schwung auf. Thiemo glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Hinter der Tür stand Merle und schaute ihn erschreckt an. Sie musste ihm gefolgt sein, denn alleine hätte sie das Versteck nicht so schnell finden können. Im allerersten Augenblick freute sich Thiemo, sie wiederzusehen. Dann wurde ihm klar, dass sie ihn in eine unangenehme Lage gebracht hatte.

      Noch ehe Thiemo einen sinnvollen Gedanken fassen konnte, fragte ihn Emilio: „Was will die denn hier? Hast du ihr etwa von unserem Treffen erzählt?“

       Axel fügte hinzu: „Du weißt doch selbst ganz genau, dass hier bei uns keine Mädchen dabei sein dürfen.“

       Thiemo war rot geworden und versuchte zu beschwichtigen: „Nein, ich habe ihr nichts gesagt. Ehrenwort.“

       Mirko setzte nach: „Und das sollen wir dir glauben? Ich habe doch selbst gesehen, dass ihr beide heute in der Schule immer die Köpfe zusammengesteckt habt.“

       „Das war doch nur wegen der Schulbücher, in die wir gemeinsam hineingucken mussten“, wand sich Thiemo.

      Es war ihm bewusst, dass dieses Treffen entscheidend dafür war, ob er weiterhin Anführer der Bande bleiben konnte. Daher musste er so schnell wie möglich diese Situation klären. Thiemo wusste sich in dieser aussichtlosen Lage nicht anders zu helfen. Er packte Merle, die immer noch überrascht in der Tür stand, grob am Arm und zerrte sie mitten in den Schuppen.

       Dann rief er triumphierend: „Sie ist eine Spionin der Mädchenclique. Sie hat sich heimlich angeschlichen, um uns auszuspionieren.“

       Axel entgegnete: „Sie sieht aber gar nicht so aus wie eine von denen. Sie trägt doch gar kein bisschen Rosa.“

       „Das ist alles nur Tarnung, damit sie nicht auffällt“, behauptete Thiemo.

       Emilio erwiderte: „Sie kann doch gar nicht zur Mädchenclique gehören. Dazu ist sie noch nicht lange genug in der Klasse.“

       Mirko warf ein: „So gemein, wie die beiden Rosas sie heute Morgen in der Schule behandelt haben, gehört sie mit Sicherheit nicht zu denen.“

       Thiemo rang nach Worten: „Das war nur ein Ablenkungsmanöver. Das war alles geplant.“

      Merle hatte bislang kein Wort gesagt, sonder verfolgte verstört das Treiben. Alle Augen ruhten auf Thiemo. Der jedoch steigerte sich immer mehr hinein und fing selbst an zu glauben, was er sagte. In seiner Verzweiflung wusste er nicht, was er tun sollte. Aus der größten Not heraus versuchte Thiemo, sich zu retten. Er griff Merles Arm und drehte ihn ihr auf den Rücken, ohne darüber nachzudenken, was er tat.

       Dazu sagte er zu ihr: „Los, gestehe! Sag, dass du eine Spionin bist!“

       Merle fauchte ihn an: „Spinnst du jetzt komplett? Du tust mir weh. Lass mich sofort los! Ich bin dir vorhin nur nachgegangen, weil ich neugierig war, was du machst. Mehr nicht.“

       Das war für Thiemo fast noch schlimmer, dass er so nachlässig gewesen war und zugelassen hatte, dass ein Mädchen ihn unbemerkt verfolgen konnte, ausgerechnet als er auf dem Weg zum Bandenversteck war. Daher dachte er nicht daran aufzuhören, sondern drehte ihren Arm weiter um.

       Bedrohlich sprach er zu ihr: „Nun sag endlich die Wahrheit!“

      „Au!“, schrie Merle vor Schmerz laut auf und Tränen rannen über ihr hübsches Gesicht.

       Energisch sagte Emilio zu Thiemo: „Lass sie los! Du tust ihr doch weh.“

       Kämpferisch entgegnete Thiemo: „Ja und? Im Krieg wurden auch weibliche Spione umgebracht.“

       Mikro bemerkte scharfsinnig: „Wir sind aber nicht im Krieg und sie ist nur ein Mädchen, das du letztendlich hierher gelockt hast.“

       Thiemo wollte nicht aufgeben und hielt Merles Arm weiterhin fest.

       Daraufhin näherten sich Emilio und Axel ihm drohend und Emilio sagte entschlossen zu ihm: „Lass sie sofort los!“

       Nun erst löste Thiemo seinen Griff. Er musste einsehen, dass er allein auf verlorenem Posten stand und keiner bereit war, ihn zu unterstützen.

       Zu Merle gewandt sprach Emilio mit freundlicher, aber kühler Stimme: „Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“

       Blitzschnell drehte sich das Mädchen um und lief weinend nach Hause.

      Eine ganze Weile lang sagte keiner etwas. Thiemo stand fassungslos mitten im Schuppen.

       Emilio brach das Schweigen: „Das Verhalten von unserem Anführer war eben unzumutbar. Es bringt unsere gesamte Bande in Verruf, wenn er Mädchen quält. Mädchen zum Spaß zu ärgern, ist ganz lustig. Aber was Thiemo hier mit Merle gemacht hat, ging eindeutig viel zu weit. Er ist nicht mehr würdig, unser Anführer zu sein, denn er wirft damit auch schlechtes Licht auf uns alle. Daher fordere