schien sich meine Sätze innerlich noch einmal selbst vorzusprechen. Dann guckte er wie eine Straßenbahn, weil er noch nicht zu einem Ergebnis gekommen zu sein schien. „Ja und was ist das …?“
Ich begann sehr leise: „Ich bin beim Film.“
Rontrop grinste skeptisch: „Sollten wir Sie kennen …?“
Nun wurde ich wieder lauter: „Wenn ich Sie beiden so sehe, dann möchte ich davon ausgehen, ja!“
Beide schauten mich von oben bis unten an und prüften mein Gesicht, ob sie vielleicht nicht doch einen Leinwandstar entdecken konnten. Doch sie hoben bereits nach wenigen Sekunden die Schultern und schüttelten den Kopf. Nein, ich war ihnen völlig unbekannt.
Ich blieb freundlich. „Es ist auch nicht mein Gesicht! Meine Stimme werden Sie kennen. Ganz gewiss.“ Und ich machte eine kurze Pause. „Donald Duck!“ rief ich ihnen freudestrahlend entgegen. „Ich bin die Stimme von Donald Duck, sein deutscher Synchronsprecher, verstehen Sie?“ Ich setzte mich nun wieder gerade hin. Der Abstand zu den anderen war wieder hergestellt.
Beide glotzten mich an. Rontrop ein wenig skeptischer, als der andere. „Los, machen Sie mal vor!““ befahl er in provokantem Unterton.
Ich schüttelte den Kopf. „Das darf ich leider aus lizenzrechtlichen Gründen in der Öffentlichkeit nicht tun.“ Ich lehnte mich nach hinten. „Aber wenn wir gemeinsam nach hinten …“
Rontrop machte eine ablehnende Geste. Das wollte er ganz offensichtlich nicht.
Bodo hatte nachgedacht. „Wie kommt man bloß zu einem solchen Beruf?“
„Früher habe ich gestottert.“ gab ich beiden zu wissen. „Mein Logopäde hat mich entdeckt.“
Es folgte bei meinen Zuhörern eine erneute Phase des Schweigens. Der Mann namens Bodo kratze sich an seinem Hinterkopf. Dann kamen erste Zweifel bei ihm auf: „Davon kann man doch gar nicht leben!“ konstatierte er, noch immer etwas nachdenklich.
Rontrop vermutete das Gegenteil: „Oh, mein lieber Bodo, da kann man sich täuschen. Es wird, Du wirst es nicht glauben, immer noch sehr viel Deutsch auf der Welt gesprochen, nicht nur bei unseren Alpennachbarn. Auch in den USA, Australien, Neuseeland, Südafrika, Südamerika …“
„… und mit einer heißen Kartoffel im Mund funktioniert das auch in Holland und Dänemark, nicht zu vergessen: Grönland!“ ergänzte ich seine Aufführung. „Sehr lukratives Geschäft, sage ich Ihnen. Wirklich sehr, sehr lukrativ.“
Rontrop grinste diebisch. „Der Bursche hier verarscht uns, Bodo! Und zwar ganz gewaltig.“
Bodo wagte noch einen prüfenden Blick in meine Richtung, dann begann er zu nicken. Dabei murmelte er: „Ja, Rontrop, Das tut er wohl.“ Sein Gesicht erhellte sich zu einem freundlichen Grinsen. „Hat er aber sauber hingekriegt!“
Beide begannen laut und krähend zu lachen. Und auch ich konnte mich dem nun nicht mehr entziehen und stimmte, ein wenig leiser, aber dennoch herzlich mit ein.
„Ich bin übrigens Ludwig Maler, aber ich denke, Ludwig sollte reichen.“ unterbrach ich selbst mein Lachen.
„Und Du darfst mich Rontrop nennen. Rontrop von Welfenbein, um genau zu sein. Und der Bursche neben mir hier ist mein Knappe Bodo. Er verfügt über keinen Nachnamen, das macht die Sache einfacher. Und seinen Grabstein irgendwann billiger.“ Rontrop reichte mir seine Hand entgegen und wir begrüßten uns in einer ungewohnt herzlichen und anhaltenden Weise. Ich merkte sofort, dass dieser Mann mit mir eine dieser Wellenlängen aufwies, die man nicht ohne weiteres erklären konnte. Seine hellen Augen blitzen mich freundlich an, sein Blick war dennoch gefasst und neugierig zugleich.
Wie ich im weiteren Verlaufe erfuhr, hieß er in Wirklichkeit Kurt Kaiser. Doch ihm gefiel der Name Rontrop von Welfenbein einfach besser, und zudem würde dieser ideal in die hiesige Gesellschaft passen. Er war ein kleiner untersetzter Mann von etwas über sechzig Jahren, mit einer wehenden grauen Löwenmähne auf dem Kopf, die ihm das Aussehen eines verarmten Karajans verlieh. Sein eigentliches Markenzeichen allerdings waren die Zigarren, von denen fast durchgehend eine zwischen seinen Fingern glühte und deren Genuss für ihn nicht zu enden scheinen wollte. Ab und zu nahm er einen großen Schluck aus dem vor ihm stehenden Weizenbierglas. Dann schmatzte er ein wenig und mir fiel schnell auf, dass er sich danach mit dem Handrücken so über den Mund wischte, als trüge er einen Kaiser-Wilhelm-Bart.
Sein Begleiter Bodo war vielleicht zwanzig Jahre jünger. Er war groß und schlank, und schien einem Kleidungsstil zu frönen, den ich eher bei Rappern vermutet hätte. Eine große Sonnenbrille mit orangefarbenen Gläsern saß weit vorgeschoben auf seiner Nase, an seinem Arm prangte eine sündhaft teuer aussehende und zudem riesengroße Armbanduhr. Auch er rauchte gerade eine Zigarre, und ich sollte noch lernen, dass es genau dieses Tabakprodukt war, was die beiden besonders miteinander verband.
Bodo hatte sich die Banderole seiner Zigarre wie einen Ring auf den kleinen Finger gesteckt. Ich konnte zwar keinen Markennamen erkennen, doch meine Vermutung sollte sich in der Folge und vielen weiteren Begegnungen bestätigen, dass diese braunen Stängel einzeln den Wert eines feudalen Abendessens in einem Nobelrestaurant ausmachten.
Ich klärte meine neuen Bekannten über meinen wirklichen Beruf als Journalist auf und sowie den unerfreulichen Grund meiner vorübergehenden Anwesenheit in diesem Städtchen. Sie registrierten alles ohne weitere Kommentare, so als klinge der Schlag einer entfernten Turmuhr um halb Drei.
Auf meine Frage, was denn sie beruflich beschäftigen würde, antworteten beide synchron im Chor: „Nichts!“ So kurz und bündig es war, so selbstverständlich kam es bei mir an.
„Das wahre Leben, die eigentliche Entfaltung des freien Geistes, ist nur im Müßiggang zu erzielen.“ Rontrop grinste nicht einmal bei seiner These. Er schien es vollkommen ernst zu meinen. „Viele der Großen dieser Welt haben nur auf diese Weise das vollbringen können, was ihnen den Ruhm über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende einbrachte.“ Und er schaute mich fordernd an. „Denk an Diogenes, an Sokrates, an Goethe.“
„Und was ist mit Sauerbruch, Schweitzer oder Einstein?“ konterte ich, denn seine These war mir deutlich zu einseitig.
„Dieses Argument ist unzulässig.“ antwortete Rontrop scharf. „Es bleibt uns im Verborgenen, was sie noch viel Größeres hätten leisten können, wenn sie sich ihrer proletarischen Mühlen, ihrer Jochs entledigt, und sich allein dem Müßiggang hingegeben hätten.“
„Für mich klingt das wie ein Paradoxon.“ befand ich ehrlich. „Denn Müßiggang bedeutet nichts anderes als Nichtstun. Und wer nichts tut, der kann auch nichts schaffen. Auch Diogenes hat in seiner Tonne gearbeitet. Er hat gedacht. Und er ist hierüber zu Ergebnissen gekommen, die man durchaus als Produkte eines Schaffens, und eben nicht eines Unterlassens, versteht.“
„Was Du als Paradoxon verstehst, ist nach meiner Lesart vielmehr wie ein Oxymoron zu verstehen.“ dozierte Rontrop nun, und es schien mir, dass er in seinem Element angekommen war. „Wir können es mit `Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke´ vergleichen. Das hat übrigens George Orwell in seinem Roman 1984 geschrieben, ist also leider nicht von mir. Dennoch richtig. Müßiggang ist Schaffenskraft. Es sind die Gegensätze, die zur allergrößten Leistung führen. Oder hast Du schon einmal gehört, dass man in einem kleinen viereckigen Büro von acht Uhr morgens bis sechszehn Uhr abends zum Nobelpreis gelangt sei?“
„Ich glaube, dass die weit überwiegende Mehrheit der Nobelpreisträger ihre Verdienste und Meriten in eckigen Arbeitszimmern, weiß gekachelten Labors, an sterilen Operationstischen oder in muffig riechenden Hörsälen errungen haben.“ erwiderte ich, und ich merkte, dass ich mich tatsächlich zu echauffieren begonnen hatte. „Welchen kennst Du, lieber Rontrop, der es liegend, säuselnd in einer Hängematte, mit einem Glas Champagner dazu, vielleicht auch einem Joint oder eben mit einer kapitalen Cohiba geschafft hat?“
„Tschechov hat in seinem