Stefan G. Rohr

Der Funke eines Augenblicks


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hatte einen roten Kopf bekommen.

      Bodo war hellwach geworden. „Champagner!“ rief er. „Das ist das Stichwort.“ Er drehte sich zu einem Ober des Bistros um. „Fantomas“, rief er laut, „eine Flasche Dom Pérignon Rosé, bitte nur mit einem Glas!“ Dabei betonte er `mit einem´ in unüberhörbarer Deutlichkeit.

      „Wie hast Du den Ober gerade genannt?“ ich glaubte nicht richtig verstanden zu haben, musste aber schon wieder ein wenig schmunzeln.

      „Fantomas!“ antwortete Bodo etwas gelangweilt. „Eigentlich heißt er nur `Thomas´, aber Rontrop und ich finden das deutlich zu langweilig.“

      „Ihr scheint Eure Namen ohnehin nicht besonders zu schätzen.“ bemerkte ich freundlich. Ich war nämlich ein wenig froh, dass wir gerade das Thema wechseln konnten.

      „Ich, für meinen Teil, halte es mit Goethe.“ antwortete Rontrop ruhig.

      „Nenn es dann, wie du willst,

      Nenn´s Glück! Herz! Liebe! Gott!

      Ich habe keinen Namen

      Dafür! Gefühl ist alles;

      Name ist Schall und Rauch,

      Umnebelnd Himmelsglut.“

      Er zog an seiner Zigarre, die mittlerweile so kurz war, dass diese nur noch wenige Millimeter vor seinen Fingern glühte. „Faust I!“ fügte er hinzu. „Dir werde ich das wohl nicht erklären müssen. Meinem ungebildeten und manierlosen Kumpan an unserer Seite hingegen schon. Er ist in gleicher Weise als bildungsfern zu bezeichnen, wie er es an Anstand und Höflichkeit missen lässt. Er kennt zudem nur sich, und solch Leute interessieren sich weder für Goethe noch für Knigge. Er genießt seinen Wohlstand, gleichsam als Absolution für fehlenden Kulturantrieb, was ihm, ich muss es leider zugeben, auch noch ein mehr als sanftes Ruhekissen darbietet. Er konsumiert in vollen Zügen, wie ein Proletarier, ohne dabei einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, dass ein guter Champagner einen noch viel größeren Genuss bereitet, wenn er in geeigneter Gesellschaft, kameradschaftlich geteilt, verkostet wird.“

      Bodo nahm es gelassen und grinste provokativ in die Richtung seines Anklägers. „Als ich ihm das letzte Mal ein Gläschen aus einer sechshundertfünfzig Euro teuren Flasche anbot, hat dieser Flegel mich tatsächlich gefragt, ob ich ihm nicht lieber ein Weizenbier spendieren würde. Man stelle fest: Ein so derbes Getränk für ein Glas edlen Champagners eintauschen zu wollen, das entlarvt doch den wahren Proleten.“

      „Ich hatte einfach nur Durst!“ krächzte Rontrop.

      „Und ich habe Verantwortung!“ erwiderte sein Freund gelassen. „Es käme einer Erniedrigung all derer gleich, die sich mit Hingabe, unter Anwendung jahrhundertealter Rezepturen, einem mühevollen und akribischen Herstellungsprozessen unterwerfen, feinste Nasen- und Gaumenkünste entwickeln, um schließlich Getränke zu offenbaren, deren Konsum nur Genießern obliegen darf, deren Hang zum Edlen größer ist, als profaner Durst, der in der Not auf jedem Pissoir gestillt werden könnte.“

      Mir gefiel dieser Schlagaustausch durchaus, und so wollte ich meinen Teil dazu beitragen: „Die Tatsache, Bodo, dass Du dennoch nur ein Glas geordert hast, lässt mich vermuten, dass Du mich in die gleiche Kategorie der Unwerten sortierst, wie Du es mit Deinem Freund tust. Da es für Dich hierzu keinen Anlass geben kann, neige ich der Vermutung zu, dass es bei Dir nichts anderes ist, als purer Egoismus oder trivialer Geiz.“

      Bodo schüttelte leicht den Kopf. „Du, verehrter Herr Ludwig Maler, musst Dich der Ehre erst erweisen. Nur das ist der Grund. Ich kenne Dich kaum, sehe aber, dass Du dem Mineralwasser zuneigst. Und wer an einem solchen Tag, in dieser Stadt, an diesem Ort, ein Glas Wasser zum Munde führt, ist meinethalben per se suspekt. Don´t drink it, fish fuck in it! Du hast Dich damit verdächtig gemacht ein kulinarischer Betonklotz zu sein. Beweise das Gegenteil, und ich werde Dich stets zu einem kleinen Gläschen einladen. Aber höchstwahrscheinlich bist Du obendrauf auch noch Veganer, gehst dreimal wöchentlich zum Yoga, und auf Deinem Auto klebt ein Aufkleber: Ich bremse auch für Katzen!“

      „Bedenke“, riet ich meinem Gesprächspartner, „dass Dein Champagner ein ganz und gar veganes Produkt ist, welches zudem fast in Gänze aus Wasser besteht. Du solltest also nicht so unflätig urteilen …“

      Bodos Augen begannen zu funkeln. „Na siehst Du, dann lag ich ja gar nicht so verkehrt.“ Und er schnalzte mit der Zunge, denn Fantomas brachte den Kühler mit der Flasche. „Und bestimmt auch Nichtraucher! Da lass ich einen ´drauf!“

      „So ist er, unser Bodo!“ rief Rontrop fröhlich. „Merkt er doch stets und sofort, wem er intellektuell unterlegen ist, um ihn sodann mit Tritten in den Unterleib zu bekämpfen. Wenn er nicht so reich wäre, würde er einen perfekten Marxisten abgeben.“ Er lachte mich offen an. „Ludwig, ich freue mich über unser Kennenlernen. Lasse uns Weizenbier und Wasser in Hülle und Fülle bestellen, dass unserem Neureichen die Galle explodiert.“

      „So soll es sein. Wenngleich auch kein schöner Tod.“ stimmte ich Rontrop zu. „Allerdings bevorzuge ich zum Wasser die Beigabe eines guten Rieslings. Nicht zu jung, der Säure wegen. Und ich werde dann, vor den Augen unseres `La-noble-vie-Fetischisten´ das Wasser mit dem Wein in einem Glas zusammenmixen. Ein Frevel in seinen Augen, zugegeben, aber mit einem Stückchen Zitrone und zwei, drei Eiswürfeln herrlich erfrischend. Und Champagner behalte ich mir für Gelegenheiten vor, die sich mit französischen Spitzendessous, kirschfarbenen Lippenstiften und pfirsichzarter Haut zu erkennen geben.“

      „Das, Ludwig, macht Dich nun wieder salonfähig.“ Bodo probierte jetzt den Champagner, nickte, nachdem er einen kleinen Schluck verkostet hatte, und sah mit sichtbarer Ehrfurcht zu, als ihm das dünne Glas halbvoll geschenkt überreicht wurde.

      An diesem Nachmittag, zugegeben, es war sicher bereits Abend, rauchte ich nach langer Zeit einmal wieder eine Zigarre. Mir fehlte zwar jedwede Hingabe dazu, obwohl das prachtvolle und aromavolle Stück gewiss zu einer ebensolchen Luxuskategorie gehörte, wie der Champagner im Kühler neben Bodo, dennoch gab ich recht glaubwürdig den äußeren Anschein eines Semi-Verständigen ab. Gottlob hatte ich schon einmal von `Montecristo´, `Bolivar´oder `Partagas´ gehört und verfiel somit nicht der Gefahr, diese mit etwaigen Bossen südamerikanischer Drogenkartelle zu verwechseln. Auch wusste ich, dass es einem Frevel gleichkam, die Asche zu früh fallen zu lassen oder an dem Stängel zu saugen, als säße dort ein Schnuller. Rundum, ich tat mein Bestes, und es gelang mir wohl in ausreichender Weise, meine beiden Beobachter zufrieden zu stellen.

      Wie ich im Laufe des fortschreitenden Miteinanders erfuhr, würde ich Bodo nur ab und zu an diesem Ort wiedersehen. Er verbrachte seine Zeit auf Reisen, tingelte von Cannes nach Monaco, frönte dem Müßiggang in der elterlichen Villa in Saint Tropez, jettete zum Frühstück nach Ibiza oder besuchte Freunde auf ihren Motoryachten in Port Andratx.

      Kurt Kaiser, alias Rontrop von Welfenbein, hingegen war seit über vierzig Jahren mit diesem Städtchen verbunden und behauptete von sich selbst, ein lokales Unikum mit `Inventarcharakter´ zu sein. Ihn würde ich fast ausnahmslos in den einschlägigen Cafés und Bistros sowie den anliegenden Hotelbars treffen, sollte ich es denn wünschen.

      Vorsorglich tauschten wir unsere Telefonnummern aus und versprachen, ein wenig trug der Alkohol dazu bei, uns recht bald wieder zu sehen. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, wie sehr sich dieses Vorhaben tatsächlich verwirklichen sollte.

      2

      Die Bäckerallee war gar keine Allee. Es fehlten dazu die Bäume, die links und rechts in einer solchen Straße zu stehen haben. Mir erschien diese kleine Straße auch viel eher als Gasse, wenngleich sich mir nicht der Eindruck aufdrängte, dass die Gegend hier etwa ärmlich erschien. Denn Gassen beherbergen gewöhnlich keine Patrizier. Und die Bäckerallee war, so die Dame, die ich gleich treffen sollte, eine ausgezeichnete Adresse mit erlesenen Anwohnern. Ein Schauspieler des städtischen Theaters, zum Beispiel. Mehrere Rundfunk- und Fernsehgrößen der naheliegenden Sendeanstalt. Auch ein Stadtabgeordneter