war das alles ziemlich egal. Nach vielen Wochen als Gast in einem der billigen Hotels dieses ansonsten so mondänen Ortes sehnte ich mich nur nach einer Bleibe, die mir wenigstens ein klein wenig das Gefühl geben sollte, eine Art Zuhause, ein Deut an Privatsphäre zu besitzen. Und was lag da in meiner Situation näher, als ein kleines möbliertes Appartement, welches exakt auf solche Menschen wie mich zugeschnitten zu sein schien. Es sollte nach der Anzeige auch alles vorhanden sein, was zum Übergangs- oder Zwischenleben in einer neuen Stadt notwendig war. Zudem würden Wäsche und ein wöchentlicher Hausputz im Preis inbegriffen sein, TV, Geschirrspüler, Waschmaschine und Bügelgerätschaften ebenso. Und was die Dame am Telefon mir vorgeschwärmt hatte, sollte mich zufrieden stellen, selbst wenn sie ein wenig übertrieben haben würde.
Der Bäckerallee fehlte es aber nicht nur an Bäumen. Auch an horizontaler Ausgewogenheit. Von Anfang bis Ende erwies sie sich als Straße mit Extremgefälle sowie Zuwegung hinauf zu einem noch steileren Hang, der zu den sich angrenzenden Wäldern führte, zu einer der vielen Bergkuppen, die das Städtchen umschlossen. Die Steigung war enorm, und mir kam sofort der Gedanke in den Sinn, dass es den Anwohnern sicher ein besonderes Anliegen sein würde, die Handbremsen ihrer Autos regelmäßig auf Funktion prüfen zu lassen.
Mein Grund in dieser Stadt zu verweilen war kein angenehmer. So konnte ich die Freude, die so viele Neubürger und Gäste des noblen Kurortes empfanden, selbst leider nicht teilen. Meine Freude darüber, für eine unbestimmte Zeit hierhin verschlagen worden zu sein, hielt sich in Grenzen, denn mein alter Vater lag sterbenskrank seit einigen Wochen in einer der hiesigen Spezialkliniken. Ich wollte ihn seine letzte Zeit nicht allein verbringen lassen, und so reiste ich ihm hierher nach. Meine Zeitung hatte mir unbezahlte Dispens gegeben, zudem das Versprechen, dass ich hin und wieder etwas schreiben könnte, damit ich nicht ganz verarme. Somit befand ich mich inmitten eines echten Abenteuers, denn die Reichweite meiner Ersparnisse war überschaubar, und das mich nun beherbergende Städtchen zu allem Übel auch noch für seine hohen Preise und sein mondänes Publikum weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Ich suchte nach der Hausnummer, doch ich wurde schnell erlöst. Mein Blick fiel auf eine Dame, die bereits mit den Armen wedelte und ganz offensichtlich wusste, dass ich ihr neuer Gast war, der da den Berg heraufschlich. Mit großer Geste wies sie mir, einem Flugzeugeinweiser gleich, einen Parkplatz zu, der sich direkt neben einem kleinen und auf Anhieb sympathisch wirkenden alten Haus befand. Mir fiel sofort auf, dass sie einen Pelzmantel trug, obwohl der April bereits mit warmer Sonne auftrumpfte und es eher angeraten war, die leichten Blusen vom Bügel zu nehmen. Als ich ausstieg hatte ich für einen kurzen Augenblick das Gefühl, als überlegte sie, ob sie sich zu einer freundschaftlichen Umarmung hinreißen lassen sollte, und es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre dem nachgekommen.
Vor mir stand eine kleine, zunächst äußerst elegant wirkende Dame, deren dunkle Glutaugen unter einem schwarzen Pony herausstachen und mich freundlich, doch unverhohlen neugierig musterten. Ihr Nerzmantel war mit großer Wahrscheinlichkeit teurer als mein Auto, ihre goldene Armbanduhr, zusammen mit Ohrringen und Handschmuck, schien mir durchaus den Wert eines Mittelreihenhauses in gehobener Lage auszumachen. Nun wusste ich, dass der Wohnungspreis sicher nicht am unteren Ende des Mietspiegels angesiedelt war, mangels Alternativen bemühte ich mich jedoch, diesen Gedanken nicht weiter auszugestalten. Ihre Lippen waren mit einem knallroten Fett belegt, und mich umhüllte eine Wolke satten, süßlichen Parfums, das zweifelsfrei einen sündhaften Preis hatte. Ich schätzte sie auf Mitte Vierzig ein, und konnte mich kaum erwehren, ein wenig in ihren Bann gezogen zu werden. Zwar war sie nicht der Typ Frau, auf den ich reflektierte, doch schien sie mir spontan so außergewöhnlich, ja ein wenig exotisch, dass ich innerlich hoffte, nicht zu erröten.
„Normalerweise vermieten wir ausschließlich an das Fernsehen.“ betonte sie, die sich mir als Frau Metzger vorgestellt hatte. „Vor allem kommen die Regisseure gerne zu uns. Wegen des Gartens und der Ruhe. Und weil alles so nah liegt, man alles zu Fuß erreicht.“ Und sie lächelte keck, während sie mich erneut von Kopf bis Fuß musterte. „Aber sagten Sie nicht, Sie sind Journalist?“ Meine Antwort wartete sie jedoch gar nicht ab. „Das ist ja dem Fernsehen sehr ähnlich.“
„Ein wenig.“ antwortete ich. „Nur eben ohne Werbepausen.“
Frau Metzgern musste scheinbar überlegen. Sie entschied sich für die Fortsetzung ihres Lächelns und nickte verständig, wirkte dabei aber fast abwesend.
„Vor einiger Zeit hat schon einmal ein Zeitungsredakteur bei uns gewohnt.“ Sie nahm bei diesem Hinweis schier glückliche Züge an. „Auch ein sehr netter Mann. Und so zurückhaltend.“ Sie stierte nun wieder in meine Augen. „Er war Polizeireporter und beriet bei einer Krimi-Produktion des Senders als Experte vom Fach.“
„Na, dass passt doch!“ lächelte ich erleichtert.
Wir hatten das Haus betreten und Frau Metzger schloss die Türe zu dem Appartement in das Parterre auf. Das ganze Häuschen bestand zwar aus drei Etagen, da es aber ein sehr schmales Gebäude darstellte, befand sich jeweils nur eine Wohnung auf jeder Ebene. Gebaut musste es um 1920 worden sein. Die Eingangstüre hatte bunte Glasscheiben, knarrte und war mit einem großen blankgeputzten Messingknopf ausgestattet, ein amerikanisches Model zum Drehen, was jemanden, der nicht daran gewöhnt war, schon mal verwirren konnte.
Das Appartement umfasste vielleicht fünfzig Quadratmeter. Neben einer großen Küche und einem Mini-Bad, das die Ausmaße von zwei Telefonzellen aufwies, besaß es ein Wohn- sowie ein Schlafzimmer. Alles war ordentlich und hübsch eingerichtet und machte einen recht gepflegten Eindruck. Das schönste allerdings war der Ausgang in den hinten liegenden großen Garten. Man gelangte direkt aus der Küche auf einen kleinen, im Hochparterre gelegenen Balkon, von dem eine Treppe auf das Grundstück führte. Dort standen einige Obstbäume und an der Seite, zwischen einem hölzernen Schuppen und einer riesengroßen Tanne, war eine offene Laube platziert, deren Sprossenwände von Wein umrankt waren. Lauschig stand dort ein alter Gartentisch mit vier gusseisernen Klappstühlen.
Mir gefiel dieser Ort sofort. Das Appartement hatte die richtige Größe, alles war vorhanden. Und dieser leicht verwilderte Garten, mit seiner ganzen Ruhe und Besonnenheit, die dieses Fleckchen spontan auf mich ausstrahlte, hatte einen ganz eigenen Zauber.
„Gefällt es Ihnen nicht?“ fragte mich Frau Metzger urplötzlich.
Ich wusste nicht, was mich so zweifelnd erscheinen ließ, doch scheinbar interpretierte sie meine stille Bewunderung dieses Örtchens als Ablehnung.
„Oh, ganz im Gegenteil.“ bekundete ich sofort. „Ich hatte es mir nur nicht so schön vorgestellt.“
Sie schaute mich mit leicht listig zusammengekniffenen Augen an. Einen Blick, den ich bei ihr noch einige Male zu sehen bekommen sollte. „Wann möchten Sie denn gerne einziehen?“
„Heute?“ krachte es aus mir heraus.
Sie lächelte bereits wieder. „Sehr gut.“ erwiderte sie knapp und in einem perfekten Tonfall geschäftsmäßiger Abmachung. „Ich habe auf dem Küchentresen einen vorbereiteten Mietvertrag liegen. Wenn Sie wollen …?“
Während wir wieder hineingingen, erklärte mir meine zukünftige Vermieterin die wichtigsten Punkte aus dem Vertrag. Ich könnte jederzeit kündigen, es würde tagesgenau abgerechnet. Strom, einmal wöchentlicher Hausputz, vierzehntägig frische Bettwäsche, Wasser und Heizung wären im Mietpreis enthalten. Die Putzfrau käme jeweils Mittwochvormittag. Waschmaschinen und Trockner befänden sich im Keller und würden über einen Münzspender bezahlt. Alle Gebühren für TV und Kabel sowie die Kurtaxe wären ebenfalls inklusive. Allerdings war ein Anmeldeformular von mir auszufüllen, was vom Fremdenverkehrsamt gefordert war.
Ich hatte alles verstanden und unterzeichnete den Vertrag. Noch heute wollte ich mein Hotelzimmer räumen, was nicht allzu große Mühe bereiten würde, denn ich hatte außer zwei größeren Koffern keine weitere Habe dabei.
Frau Metzger bat mich kurz zu warten und verschwand darauf für einen Moment im Keller. Als sie wieder erschien, hielt sie eine eisgekühlte Flasche Champagner in der Hand, überreichte sie mir und