Stefan G. Rohr

Der Funke eines Augenblicks


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in sich gesunken und sein Blick war nun ebenso leer, wie bei unserem Zusammentreffen.

      „Sie sind sehr höflich, vielen Dank!“ entgegnete die Tochter. „Manchmal scheint es so, als habe er ein paar helle Minuten. Das ist dann aber schnell wieder vorbei. Er erinnert sich auch nicht daran. Es ist einfach so, als wische ein großer Schwamm alles wieder hinfort. Und es ist solange niederschmetternd, bis man zu hoffen aufgehört hat, man eben weiß, dass da nichts mehr bleibt. Nie. Egal, was man zu sehen glaubt.“

      „Aber in diesen wenigen Momenten ist er glücklich. Und darauf kommt es doch an, oder? Und gerade, kurz bevor Sie kamen, da konnte ich Ihren Vater lächeln sehen. Er schien Freude zu empfinden, sprach durchaus klar und wir hatten eine sehr schöne Unterredung.“

      Sie lächelte mich milde an, sagte nun aber nichts mehr dazu.

      „Darf ich mich vorstellen?“ versuchte ich die Situation zu retten. „Mein Name ist Ludwig Maler. Seit wenigen Minuten, und für unbestimmte Zeit, Mieter des Parterre-Appartements in der Nummer 17, und somit vorrübergehend Ihr neuer Nachbar.“ Ich blickte kurz zu meiner Vermieterin. „Und Frau Metzger werden Sie ja sicher schon kennen.“

      „Herzlich willkommen in der schönen Bäckerallee.“ erwiderte mein Gegenüber am Zaun. „Ich heiße Laura Fiedler. Und natürlich: Frau Metzger kenne ich bereits.“ Doch bei ihrem letzten Satz schien es mir mehr als deutlich, dass die beiden Damen nicht sonderlich viel voneinander hielten. Dann nahm sie ihren Vater an den Arm. „Papa, es wird Zeit. Komm lasse uns zurück ins Haus gehen.“ Sie nickte kurz zu Louisa und mir herüber, dann waren Vater und Tochter auch schon verschwunden.

      „Arrogante Schnepfe!“ hörte ich Louisa murmeln. Sie hatte während der letzten Minuten schweigend auf ihrem Gartenstuhl gesessen und dabei die halbe Champagnerflasche geleert.

      „Sie mögen sich wohl nicht besonders?“ bemerkte ich ein wenig belustigt.

      „Pahh!“ krächzte Louisa laut. „Nach alledem, was war? Der feinen Dame passt es eben nicht, dass ich hier an seriöse Geschäftsleute vermiete. Fühlt sich in ihrer Villenlage wohl durch Leute wie Dich gestört. Und was die blöde Kuh alles versucht hat. Die Behörden hat sie mir auf den Hals gehetzt. Das Bauamt, den Zoll, der nach Schwarzarbeitern bei uns fahndete. Selbst die Parkplätze neben dem Haus wollte sie verhindern. Die Nachbarn hat sie gegen uns aufgehetzt, Briefe verfasst, mit Unterschriften von allen Hiesigen, wir sollten hier besser wieder verschwinden. Hat bis heute nichts Besseres zu tun, als mich anzugiften. Lebt vom Geld ihres Vaters, von dubiosen Einnahmen, und den Alten würde sie ganz gewiss lieber heute als morgen unter der Erde sehen. Aber ehrbaren Bürgern wie meinem Mann und mir die übelsten Machenschaften zu unterstellen. Nein! Ganz ehrlich: Diese Dame ist wirklich nicht nach meinem Geschmack.“

      Ich beschloss, jetzt besser keine weiteren Details zu erfragen. Zudem waren die beiden Kontrahentinnen so offensichtlich unterschiedlich, wie es maximal nur sein konnte. Die Tochter, eine großgewachsene blonde Frau von vielleicht Mitte Vierzig, ganz gewiss sehr attraktiv, doch insgesamt eher dezent anmutend, mit einer fast englisch wirkenden Zurückhaltung, einer klaren Ausstrahlung und einer Stilart, die vor allem auch eine gute Bildung vermuten ließ. Louisa Metzger hingegen stach, ich musst es mir einfach so deutlich eingestehen, in einer Offensichtlichkeit von dieser Laura Fiedler ab, die größer kaum sein konnte. Sie wirkte zwar weder ungebildet noch dumm. Doch im Vergleich mit der Nachbarin unterschied sie sich ungefähr so, wie eine überladen bunte Buttercremetorte von einem eleganten Zitronen Parfait. Louisa war gewiss auch eine hübsche Frau. Vielleicht nur ein wenig zu klein geraten, und deswegen etwas gedrungen wirkend. Doch ihr unübersehbares exotisches Flair, glühende schwarze Augen, ein Teint, der nur allzu gut zur Südsee passte, machten sie für die meisten Betrachter durchaus begehrenswert.

      Mir persönlich missfiel allerdings ihre deutliche Überladenheit. Vom Pelz und dem protzigen Schmuck, über ihren Schminkstil, bis hin zu einer fast theatral wirkenden Gestik, kam sie mir als typische Vertreterin der Kaste Neureich vor, denn diese zeichnet sich nicht selten dadurch aus, ihre Freude über das eigene Vermögen durch besonders ausgeprägte Zurschaustellung dessen zutage zu fördern. Alles an ihr war irgendwie `zu viel´. Gar nicht einmal auf den ersten Blick, bei dem sie jeder sofort, treffsicher und wohl auch richtiger Weise in die Kategorie `wohlhabend´ einsortieren würde. Dann doch aber bei näherer Inaugenscheinnahme. Vernahm das sensible Ohr eines semantischen Feingeistes dazu noch ihre etwas derb anmutende Sprache, gepaart mit der ihr eigenen mangelhaften Contenance, blieb von ihr nicht allzu viel mehr übrig.

      Da ich nicht vorhatte, mich weder mit der einen, noch der anderen zu ehelichen, beschloss ich meine Bewertungen zu beenden und mich darauf zu freuen, endlich aus dem Hotel ausziehen zu können. Und da ich davon ausgehen konnte, dass meine Begegnungen mit Louisa dann doch wohl eher selten, wenn dann aber in jedem Falle rein geschäftlich sein würden, wollte ich mir auch keine weiteren Gedanken um Buttercremetorten oder Parfaits machen. Das kleine Appartement war hübsch, passte bestens zu meinen Bedürfnissen und lag optimal nahe dem Zentrum der Bäderstadt. Der Kurpark war fußläufig gerade einmal zehn Minuten entfernt, direkt daneben lag die Fußgängerzone mit all ihren Geschäften und Cafés, den Kolonaden und einigen reizvollen Restaurants und Bars. Langweilig sollte es hier nicht werden, was diesem Örtchen im Übrigen auch als Ruf vorauseilte. Zudem reihten sich diverse Hotels aneinander, und hätte ich deren Sterne zusammengezählt, wäre die Zahl nicht wesentlich geringer als die Anzahl von Himmelskörpern in unserer Milchstraße ausgefallen. Und zudem war auch das Hospital, in dem mein Vater lag, nur einen Katzensprung entfernt, was meiner Betreuungsaufgabe sehr entgegen kam.

      Alles in Allem also eine recht reizvolle Mischung, die mich ein klein wenig in erwartungsvolle Spannung zu versetzen mochte. Ich war nie ein ausgeprägter Abenteurer gewesen, suchte bisher mitnichten das Prickelnde oder gar das Exzessive. Doch immer, wenn mich meine beruflichen Aufgaben an neue Orte verfrachteten, verspürte ich eine innere Aufregung und Neugier, ja vielleicht ein Quäntchen leicht überreizter Entdeckungslust. Ich hatte gelernt, dass in jeder neuen Situation unerwartete Begegnungen warten können. Das Schicksal, das stets so unvorhersehbar agiert, hielte mit jedem Mal aufs Neue eine Überraschung parat. Und so überkam mich dann ein klein wenig ein Kribbeln im Bauch, welches dem ähnelte, das einem als Kind in der Magengrube kreiste, wenn es auf Weihnachten zuging.

      Prinzessin von Hula-Hula hatte nun auch den Rest des Champagners konsumiert. Mir war es recht, denn ich wollte schnellstmöglich nicht nur meine Koffer aus dem Hotel holen, sondern auch noch meinem Vater den täglichen Besuch abstatten.

      „Komme doch mal zu uns, zum Grillen.“ Sie stand auf und schickte sich an zu gehen. „Vielleicht am Sonntag? Das Wetter soll gut bleiben.“

      Da blieb mir wohl kaum eine Chance zur Ablehnung. Warum aber auch nicht. Schließlich war ich allein in dieser Stadt und ein wenig Zerstreuung würde mir sicher guttun, ganz besonders nach meinen Krankenbesuchen. So verabschiedeten wir uns mit dieser Verabredung, ich erhielt die Wohnungsschlüssel, dann rauschte sie mit ihrem schwarzen Sportwagen die Bäckergasse hinab und ich war allein.

      3

      Als ich das Zimmer meines Vaters betrat, war er dieses Mal wach. Er saß, mit dem Rücken zur Türe, und schien aus dem Fenster zu schauen. Seine Arme hingen schlaff herab und nichts regte sich bei ihm, als ich den Raum betrat und ihn freundlich ansprach.

      Schnell stellte ich fest, dass er zwar wach, dennoch aber abwesend war. Nur kurz begegnete er meinem Blick, nickte kaum merklich, und schon verfiel er in die Pose zuvor, flach atmend, mit rundem Rücken und eingefallener Brust. Er trug seine Pyjamajacke, die ihm ordentlich zugeknöpft worden war, doch darunter erspähte ich nur eine seiner Feinripp-Unterhosen, während seine Schlafanzughose quer, einem lästigen Utensil gleich, unordentlich über die Lehne des beistehenden Stuhls gelegt war.

      „Wie geht es Dir, Papa?“ fragte ich, und ich bemühte mich, die Sorge, die in meinem Unterton mitschwang, nicht allzu offen kundzutun.

      Er zuckte kaum merklich mit den Achseln. „Ich habe von Deiner Mutter geträumt.“ begann er leise. „Von damals, als wir uns kennen gelernt