Stefan G. Rohr

Der Funke eines Augenblicks


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laut. „Es war mir so, als ob Isabella hier gewohnt hätte.“

      „In seinem Kopf wirbeln die Ereignisse durcheinander, das ist der Grund.“ Laura sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, die mich fast erschrecken ließ. „Und heute ist es mal wieder besonders arg. Er springt binnen Sekunden von einem Jahrzehnt ins andere. Er steuert das natürlich nicht. Es ist sein Unterbewusstsein. Er sieht eine Fliege, und er glaubt gerade als Kind am Seeufer zu angeln. Drei Sekunden später sitzt er zitternd im Luftschutzkeller und hält sich die Ohren zu, weil er das Dröhnen der Bomber nicht mehr erträgt. Und nach einer Minute darauf lächelt er glücklich, weil ihm sein Hochzeitswalzer im Ohr zu klingen begonnen hat. Dann tanzt er sogar, glaubt meine Mutter im Arm zu halten, küsst grotesk in die Luft. Wie gesagt, das alles in der Abfolge von wenigen Minuten. Er durchlebt in solchen Phasen die unterschiedlichsten Szenen seines Lebens. Unaufhörlich. Ein Martyrium.“

      Ich wusste darauf nichts zu erwidern. Wie sollte ich auch. Wie ungleich erschien mir das Schicksal meines eigenen Vaters. Er, der er vielleicht bislang noch ein wenig klarer im Kopf geblieben war, sich aber deshalb grämte, seine Erinnerungen als Dämonen betrachtete, weil sie ihm doch wie ein Mahnmal seines nahen Ablebens so schmerzlich in der Seele brannten. Wer von beiden hatte es denn nun besser? Gab es in diesem Vergleich überhaupt ein `Besser´ oder `Schlechter´?

      Laura Fiedler wandte sich zum Gehen. „Ich werde es wohl kaum verhindern können, dass er nicht hin und wieder hier bei Ihnen am Zaun erscheint.“

      „Machen Sie sich darüber keine Gedanken.“ erwiderte ich sofort. „Ich fühle mich mitnichten gestört.“ Ein kleiner Gedanke flog mir nun durch den Kopf. „Ebenso hoffe ich, dass Sie sich durch meine Anwesenheit in diesem Haus nicht gestört fühlen.“

      Laura Fiedler begann zu lachen. Und es war ein sehr schönes Lachen, ein wenig zauberhaft sogar, und ihre Augen blitzten mich freundlich an. „Da hat die verehrte Frau Metzger also bereits schon ihr Gift gespritzt. Aber machen Sie sich diesbezüglich keine Sorgen. Es sind ganz bestimmt nicht die Bewohner der Appartements, um die es geht. Die können nichts für die vermeintliche Eigentümerin, die an sie vermietet. Und eigentlich …“ fügte sie hinzu, „finde ich es durchaus ganz angenehm, wenn nette Nachbarn zugegen sind.“

      „Da bin ich wirklich froh.“ bekundete ich, und war ehrlich ein wenig erleichtert. Ich wollte aber noch zu einem Punkt nachhaken: „Aber wieso `vermeintliche´ Eigentümerin?“ Das war mir doch sofort aufgefallen und hatte mein Interesse geweckt.

      Laura Fiedler lächelte immer noch. „Das müssen Sie schon alleine herausfinden. Und ich bin sicher, dass Sie nicht allzu lange dazu brauchen.“

      Sie winkte mir noch kurz zu, dann hakte sie ihren Vater unter und führte ihn behutsam weg vom Zaun, zurück in ihr Haus.

      4

      Mein Telefon klingelte. Rontrop von Welfenbein, eigentlich ja Kurt Kaiser, war am anderen Ende der Leitung. Er stünde gerade vor einem kleinen Appartementhaus in der Bäckerallee und fragte sich, ob es wohl das Haus sei, in das ich gerade vorübergehend eingezogen war.

      Ich lief vom Garten auf die Straße. Mein neuer Kumpan saß auf einem schnittigen Rennrad, trug die passende schenkellange Radfahrerhose und einen schon etwas lädiert aussehenden Helm, den er schräg nach hinten in Richtung seines Hinterkopfes geschoben hatte. Seine langen grauen Haare zeigten deutliche Schweißspuren, aber seine Wangen hatten rosa Farbe angenommen und seine blauen Augen blitzten mich lustig und aufmunternd an.

      „War gerade in der Gegend.“ rief er mir zu. „Und da dachte ich, dass ich mal sehe, ob Du uns gestern nicht noch einen Bären aufgebunden hast.“ Er stieg vom Rad ab, was ihm ganz offensichtlich keinerlei Mühe bereitete, obwohl es eindeutig war, dass die Größe seines Drahtesels nicht zu seinen geringen Körpermaßen passte. „Bin ich hier richtig, in Entenhausen?“

      Dann blickte er auf das kleine Haus und nickte. „Habe ich´s mir doch gedacht.“ sagte er etwas kryptisch und lächelte mich wissend an. „Ich denke, dass ich auch Deine Vermieterin kenne, zumindest vom Hörensagen.“

      „Das wird ja immer spannender!“ bekundete ich. Doch so richtig amüsant wollte ich das nicht finden. „In mir macht sich allmählich das Gefühl breit, dass mit dem Gebäude etwas faul ist.“

      „So kann man es ausdrücken.“ grinste Rontrop mich unverhohlen an. „Hast Du ein Bier in Deinem Kühlschrank?“

      „Nur eine halbgekühlte Flasche Champagner.“ antwortete ich.

      „Sehe ich aus wie Bodo?! Die kannst Du alleine trinken.“ rief er mir sofort zu. „Als Prolet brauche ich jetzt ein kühles Bier. Für Champagner ist es zu früh. Die Nutten pennen alle noch.“

      „Auch wenn sie wach wären, hättest Du keine Chance. Derlei Damen schauen auf Kunden mit Fahrradklammern an den Hosen verächtlich herab. Mit oder ohne Champagner.“ erwiderte ich ihm. „Was machen wir nun?“

      Wir beschlossen, gemeinsam den kurzen Weg bis in die Innenstadt zu nehmen und uns dort in das Bistro zu setzen, in dem wir uns kennengelernt haben. Ich schloss schnell das Appartement ab, und schon gingen wir die Bäckerallee hinab, wobei mein Begleiter sich schräg auf die Stange seines Fahrrades setzte und mit wiederkehrendem Quietschen seiner Bremsen hinunterrollte. Als wir am Ende der Straße um die Ecke in Richtung der Innenstadt gelangten, kamen wir an einem Biergarten vorbei, der, ein wenig höher gelegen, unter schattenspendenden Kastanien angelegt war. Ich war erfreut diesen durchaus schönen Ort so unvermutet entdeckt zu haben, und ich machte Rontrop das Angebot, dass wir uns doch zu einem ersten Bier gleich hier einmal niederlassen sollten.

      Doch er winkte energisch ab. „Um keinen Preis!“ rief er entrüstet. „Hier sitzen nur die Verlierer.“

      Das verstand ich natürlich nicht, und so fragte ich nach. „Verlierer?“

      „Ja!“ sein Tonfall blieb barsch und mit sturem nach vor gerichteten Blick marschierte er weiter gerade aus. „Das ist das Stammlokal der erfolglosen Zocker. Allesamt mit Spielbankverbot ausgestattet. Die von denen zusammen verspielte Summe reichte aus, um mit einem saudischen Prinzen konkurrieren zu können.“

      „Woher weißt Du das bloß alles?“ Und ich war tatsächlich erstaunt, was mein neuer Freund alles parat hatte.

      „Eigentlich bin ich selbst Mitglied in diesem Club!“ antwortete er trocken. „Mich mit denen aber zusammen zu hocken, kommt nicht in die Tüte.“

      „Wie?“ fragte ich nach. „Mitglied in welchem Club?“

      „Nun, kein wirklicher Club.“ begann Rontrop zu erklären. „Es ist eigentlich nur eine bestimmte Clique. Alles Geächtete, haben Haus und Hof verspielt. Können sich in keinem Casino der Welt mehr blicken lassen. Da gehen sozusagen schon im Foyer die Sirenen los und die Sprinkleranlage wird ausgelöst. Gilt im Übrigen auch für mich, damit Du´s weißt. “ Er schüttelte nun aber noch heftiger den Kopf. „Aber deshalb mit denen am gleichen Tisch sitzen, um die Wetter jammern? Nicht ums Verrecken, sage ich Dir. So tief kann ich gar nicht sinken.“

      Ich blieb geschockt stehen. „Du meine Güte!“ rief ich aus. „Dir sieht man den Spieler gar nicht an.“

      „So?“ auch Rontrop war stehen geblieben. „Dann erzähl mir mal, wie ein Spieler aussieht?“ Doch ohne meine Antwort abzuwarten redete er weiter: „Wie oft warst Du in einer Spielbank? Dreimal? Vielleicht fünfmal? Bist mit ein paar Scheinchen in der Tasche rein, und als die erste Hälfte futsch war, hast Du es mit der Angst bekommen und bist schnell wieder nachhause gelaufen. Ich aber erkenne die Zocker. Egal wie gut sie sich auch verstellen. Ich sehe es Ihnen in Sekundenschnelle an. Und wenn wir gleich im Café sitzen, dann kann ich sie Dir zeigen. Die zum Beispiel, die schon völlig am Ende sind. Obwohl: Die erkennt man ja noch leicht. Wie sie mit ihren wirren Blicken zum Casino hetzen. Gequält, weil sie es nicht ertragen könnten, vielleicht die erste Kugel zu verpassen. Sie sitzen auf den Bänken vor dem Portal, notieren sich ihre neuesten