auf der Welt ist es immer Fünf!“ war ihre trockene Antwort.
Und so kam ich nicht umhin, das kostbare Nass zu entkorken und die Gläser zu füllen.
„Ich heiße Louisa.“ Und sie nickte mir freundlich zu. „Jetzt, wo wir doch Vermieter und Mieter sind …“
„Für Dich gerne Ludwig.“ erwiderte ich höflich, allerdings doch ein wenig über das von ihr hingelegte Tempo erstaunt.
„Das ist so üblich bei uns Metzgers.“ Sie schien meine leichte Irritation bemerkt zu haben. „Und schließlich trinkst Du gerade mit einer waschechten Prinzessin.“ Sie schaute mir geradewegs ins Gesicht. Offensichtlich wollte Sie schauen, wie diese Information bei mir ankommen würde.
„Na so was!“ Ich war tatsächlich ein wenig verblüfft. „Eine Adlige also?“
„Gewiss doch.“ Ihr Mund verzog sich ein wenig. „Mein Vater war ein echter Hawaiianischer König.“ Sie genoss den Augenblick ausgiebig und sicher nicht das erste Mal.
Ich überlegte sofort, wie sie dann wohl heißen würde, bevor sie Herrn Metzger geheiratet hatte. Vielleicht `Prinzessin von Hula-Hula´? Doch ich verkniff es mir, den Gedanken laut auszusprechen. Aber mir erschloss sich nun ihr zuvor bereits bemerktes exotisches Aussehen. Hawaii, das passte durchaus.
„Wie kommt eine Hawaiianische Prinzessin in diese Stadt?“ wollte ich wissen.
„Oh, das war ein weiter Weg.“ erklärte sie bereitwillig. „Von Hawaii bin ich nach Boston zum Studieren gegangen. Dort lernte ich meinen ersten Mann kennen. Er war Offizier bei der Army und wurde ein paar Jahre nach unserer Hochzeit hierher in diese Stadt versetzt. Und ich bin dann hiergeblieben.“
„Du sprichst aber völlig akzentfrei.“ bemerkte ich.
Und Louisa lachte nun herzlich und laut. „Ja, so ist es. Schließlich hatte ich eine deutsche Mutter. Das hat es mir sehr leicht gemacht hier zu bleiben.“
Wir waren inzwischen aus der Küche wieder auf die kleine Terrasse hinausgegangen. Die warme Aprilsonne stand freudig am Himmel und das frische Grün auf den Bäumen mischte sich mit den ersten weißen Blüten der Obstbäume um uns herum. Louisa Metzger befand, dass wir uns nun durchaus in die Weinlaube setzen sollten, zauberte zwei Sitzkissen hervor, und schon nahmen wir an dem Gartentischchen Platz.
Und ich erschrak auf einmal. Denn direkt neben uns, am Zaun zum Nachbargrundstück, stand regungslos ein alter Mann und schaute mich mit leerem Blick an. Ich nickte ihm höflich zu und grüßte, wie es sich unter neuen Nachbarn gehört. Doch er antwortete nicht, schaute mich nur weiter an.
„Das ist Herr Fiedler …“ erklärte mir meine Vermieterin und neue Duzfreundin flüsternd. „Er wohnt in der Villa nebenan.“ Sie räusperte sich kurz, dann fuhr sie fort. „Wie soll ich sagen? Er ist verwirrt. Also eigentlich nicht mehr ganz bei Sinnen. Und er kann einem schon wirklich einen Schrecken einjagen, wenn er plötzlich, wie aus dem Nichts, am Zaun steht und gafft. Aber wie mir seine Tochter erklärt hat, bekommt er gar nichts mehr mit. Demenz im Endstadium. Völlig gagga, sozusagen.“ Louisa streckte ihm jetzt geradewegs die Zunge aus. „Siehst Du, keine Reaktion. Das dauert sicher nicht mehr lange mit ihm.“
Gerne hätte ich ihr ein paar passende Worte erwidert, Doch während ich noch nach einer verträglichen Formulierung suchte, wurden die Augen des Alten ein wenig klarer und er sprach mich direkt an.
„Die schönen Wolken! All diese schönen Wolken am Himmel …“ sagte er sehr leise und langsam. Und er schaute kurz in den Himmel hinauf. „Sie werden uns sicher kennen, diese Wolken. Sie waren doch schon einmal da. Über uns. Ganz gewiss.“
Louisa hielt die Hand vor den Mund, rollte leicht mit den Augen und kicherte amüsiert vor sich hin. Ich stand auf und ging ein wenig näher an den Zaun heran. Ich bewegte mich behutsam, denn ich wollte den alten Mann nicht erschrecken. „Ja, es sind schöne Wolken. Und die Götter haben uns etwas sehr Wunderbares geschenkt, als sie diese erfunden haben.“
„Sie fliegen immer um den Erdball. Immer an den gleichen Stellen. Und so waren sie bestimmt schon häufig über uns. Immer die gleichen Wolken.“ Er blickte mich nun wieder direkt an. „Wissen Sie, warum sie es nicht sein lassen können?“
„Vielleicht würden sie es ja gerne sein lassen. Nur sie können nicht. Es ist ihre Aufgabe hoch am Himmel über uns hinweg zu reisen.“
„Aber wozu?“ fragte der Alte nun fast völlig klar. „Wozu soll das gut sein?“
„Oh, da gibt es viele Gründe.“ antwortete ich und ging noch einen weiteren Schritt näher an den Zaun. „Sie können uns von all den exotischen Orten erzählen, über denen sie schon gewesen sind. Mit ihren Formen malen sie den Menschen Bilder in den Himmel, und sie sprechen so mit uns. Man muss sich nur hinstellen und ihre Sprache erlernen.“
„Manchmal glaube ich, dass es gar nicht dieselben Wolken sind. Sie sehen so verschieden aus.“ Auch der alte Mann war etwas näher an den Zaun getreten. „Glauben Sie, dass es immer die gleichen sind?“
„Ja, es sind ganz gewiss immer die gleichen.“ bestätigte ich dem Alten. „Sie verschwinden nie ganz. Sie verändern sich höchstens, um uns Menschen etwas klar zu machen, etwas Bestimmtes vor Augen zu führen. Sie wechseln dabei nur ihre Kleider, manchmal zudem die Farben. Sie vereinigen sich zu gewaltigen Gewitterfronten. Dann gefällt es ihnen nicht, was sie zuvor sehen mussten. Aber viel öfter werden sie zu luftigen Wolkenbändern, durch die wilde Gänse schweben, und der Wind darf mit ihnen spielen, dann tanzen sie wie Kinder einen Reigen.“
„Ich würde gerne mit ihnen fliegen. Hoch über den Feldern, dem Meer, den Gebirgen. Immer fort und mit dem Wind. Wie ein Fesselballon, lautlos und von niemandem zu fangen.“ Er lächelte bei seinen Worten und es schien, dass er für einen Augenblick voller Glück war.
„Das werden Sie.“ sagte ich leise. „Wir alle fliegen irgendwann mit den Wolken davon.“
„Kommen sie uns dann holen?“
„Ja, es ist auch eine ihrer Aufgaben.“ Nun schaute auch in zum Himmel hinauf. „Wenn wir schlafen kommen sie am liebsten. Sie lassen sich herabfallen, umarmen uns mit ihren weichen Kissen aus Himmelswatte, lassen uns federleicht werden und dann, wie in einem wunderschönen Daunenbett, nehmen sie uns auf ihre Reisen mit. Und alles, was uns zuvor gesorgt hat, haben sie von uns genommen. Wir spüren dann keine Schmerzen und keine Sehnsüchte mehr. Keine Trauer, keine Ängste. Wir sind selbst zu einer Wolke geworden und umkreisen die Erde für alle Zeit und auf Ewigkeit.“
„Und das Vergessen?“ über sein Gesicht flog ein wehmütiger Zug. „Wird es vorbei damit sein? Werde ich mich dann wieder an alles erinnern. So wie früher?“
„Aber natürlich.“ Ich lächelte ihn an. „Das ist eines der großen Geheimnisse der Wolken. In jeder steckt ein ganzes Leben. Und es ist ihnen möglich, die schönsten Momente immer und immer wieder zu erleben. Nichts ist mehr wie auf Erden. Und alles, was einen heute noch quält, wird von uns genommen sein.“
Da stand er, der alte Mann. Ich schätzte ihn auf Mitte Achtzig. Er trug einen gepflegten grauen Schnauzbart, der gut zu seinen buschigen Brauen passte. Sein Kopf war fast kahl und sein Schädel übersäht mit Altersflecken. Doch seinen Augen, die noch vor wenigen Minuten trübe und leer hereinblickten, funkelten fröhlich. Ein kleines Strahlen geriet ihm ins Gesicht und nun schaute er nochmals zum Himmel hinauf, nickte mit dem Kopf und er murmelte etwas, was ich aber nicht mehr verstehen konnte.
Am Zaun erschien eine Frau. Sie stand ganz plötzlich neben dem Alten und ihr Gesichtsausdruck zeugte von Sorge.
„Da bist Du ja, Papa.“ sagte sie erleichtert. „Und ich hatte schon befürchtet, dass Du wieder einmal ausgebüxt bist.“ Dann schaute sie Louisa und mich an. „Ich hoffe, Ihnen ist mein Vater nicht auf die Nerven gegangen. Aber es ist manchmal schwierig, denn er ist unberechenbar.“
„Oh