Stefan G. Rohr

Der Funke eines Augenblicks


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Schuhen und irgendeiner bunten Krawatte, damit sie am Eingang nicht abgewiesen werden.“ Er machte ein verächtliches Gesicht. „Ich sage Dir, die erkennst auch Du. Aber die Zocker, die noch nicht so weit unten sind, die sehen anders aus. Sie haben noch Glück, gewinnen immer wieder einmal, machen nicht selten sogar richtig Gewinn, fünf- und sechsstellig, manchmal mit dem letzten Chiton. Voll auf Risiko. Die fühlen sich noch unbesiegbar. Werfen mit ihrem gewonnenen Zaster um sich, wie Karnevalsprinzen mit Kamellen. Feiern, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber anstatt das Geld zu bunkern, laufen die direkt nach zwei Flaschen Champagner wieder erneut ins Casino. Setzen in ihrem Wahn alles, was sie gerade gewonnen und noch nicht versoffen haben. Und wenn sie dann zu allem Übel sogar nochmal gewinnen, ja dann halten sie sich für Götter, wähnen sich im Besitz der magischen Zauberformel, die sie endlich unbezwingbar macht.“

      Er schüttelte heftig den Kopf und war richtig außer Atem. Doch zu Ende war er noch nicht: „Und am nächsten Tag geht die Reise von vorne los. Bis sie irgendwann nur noch auf Pump leben. Oder in Wettbüros das kleine Geld setzen, um mit dem Doppelten eines Toto-Tipps sofort wieder an den Roulettetisch zu rennen.“ Rontrop lächelte bitter. „Deren Anzug ist dann nach einem Jahr auf, denn sie besitzen meist nur noch das, was sie auf dem Leib tragen. Und alle um sie herum wissen Bescheid. Das geht dann so lange, bis die Spielbank das Verbot ausspricht. Zu holen ist bei diesen armen Kreaturen sowieso nichts mehr. Sie schützen Dich dann salbungsvoll vor Dir selbst, wissend, dass sie Dich brutal auf Entzug setzen. Und sie wissen auch, dass Dich die Sucht nie wieder loslässt. Lebenslang musst Du gesperrt werden, sonst kommst Du aus diesem Kreislauf nie heraus. Keinen Fuß mehr kannst Du in einen Spielsaal setzen. Am Foyer ist überall für Dich Schluss. Ende, aus die Maus.“

      „Und Du warst einer von denen?“ Ich war tatsächlich bestürzt.

      „Ich bin einer von diesen!“ rief er, und er hatte fast Vergnügen dabei, mir das entgegenzuwerfen. „Dürfte ich noch einmal in den Spielsaal, wäre es auch nur für eine halbe Minute, ich würde alles setzen was ich besitze. Auf eine Zahl, da kannst Du gewiss sein.“ Und er lachte nun laut, und es durchdrang mich ein leichtes Schaudern. „Aber keine Bange, mein argloser Freund. Die Casinos sind weltweit gut vernetzt. Ich komme nicht einmal mehr beim Teddy-Bingo zum Spielen.“

      Was mich besonders beeindruckte war aber die Art und Weise, wie mir Rontrop diesen Umstand und seine Vergangenheit nahe brachte. Er erzählte es so, als würde bei einem vergnüglichen Nachmittagskaffee, mit Likör und Käsekuchen, von einer flüchtigen Tanzbekanntschaft plaudern. Es schwang weder Wehmut mit, noch klang Bitterkeit in seinen Worten. Er schien mir mehrere Kilometer Abstand zu seiner eigenen Geschichte eingenommen zu haben, hoch sitzend auf einem grün bemoosten Hügel, mit einem Fernglas vor den Augen ein napoleonisches Feldgefecht beobachtend, welches im Detail noch gut erkennbar, doch durch die Distanz zu einer völlig gefahrlosen Kurzweil geneigte. Geschützdonner und Pulverdampf in vollen Zügen Gewahr nehmend, doch in keinem Moment um Leib und Leben fürchtend. Auch fehlte Verbitterung in vollkommener Art, ebenso, wie Selbstmitleid oder eine Zuweisung von Schuld an das Schicksal. Doch am meisten erstaunte mich das schier unendliche Vakuum eines Bedauerns.

      Er erzählte mir auf dem noch vor uns liegenden Weg in die Stadt in kurzen, fast sogar farblosen Sätzen seinen Werdegang vom jungen Ingenieur der Elektrotechnik zum Berufsspieler. Als Sohn nicht unvermögender Eltern wuchs er in finanziell sorgenfreier Atmosphäre auf, und er erbte früh eine Villa in privilegierter Lage dieser Stadt, ein paar Eigentumswohnungen sowie ein anschauliches Sparkonto. Er selbst arbeitete bei einem deutschen Vorzeigekonzern als Nachwuchsingenieur, verdiente zu dieser Zeit schon passabel, und hätte sich insgesamt keine existenziellen Sorgen um seine Zukunft mehr zu machen brauchen. Jugendlicher Übermut, ein paar wilde Partyjahre, lockere Gesellschaften und der lokale Usus, die örtliche und schillernde Spielbank zu besuchen, waren auch für ihn zunächst keine Gefahr. Doch er hatte irgendwann Blut geleckt. In kleinen, dafür aber umso gefährlicheren Schritten, verfiel er dem Glücksspiel immer mehr.

      Er gewann zum Teil enorme Summen, kaufte sich einen englischen Sportwagen, machte auf Playboy, vernachlässigte seine Arbeit, flog schließlich raus. Doch was machte das schon? Er hatte ausreichend kapitale Mittel, und das lockere Leben war ohnehin viel schöner. Es trat die Phase des häufigen Verlierens bei ihm ein. Tückisch, denn dieser Dämon möchte den Niedergang durch Verzögerung, Täuschung, mit wohldosierter Einstreuung wiederkehrender Ermutigung noch eine Zeitlang genießen können. Das Ende kennt er natürlich, doch sein Spaß besteht darin, dieses trickreich zu verschleiern, um dann, mit anschwellendem Getöse, das unausweichliche Finale wie ein Höllenfeuer zu besiegeln.

      Anfänglich wurde nur das Sparbuch geplündert. Es folgten die ersten Hypotheken auf Villa oder Eigentumswohnungen. Die Bankmitarbeiter zeigten sich unberührt, war es doch ein zunächst weder auffälliges, noch ungewöhnliches Unterfangen, was der junge Kunde wollte. Dieser begann zu lügen, erzählte von Geschäftsvorhaben, Investitionen, zuletzt von Baumaßnahmen. Mit dem frischen Geld in Händen rannte dieser aber sofort an den Roulettetisch. Mit einer neuen Kombination im Kopf, mit den Notizen des Vortages, Reihen von Pair und Unpair, Tischnummern mit auffälligen Serien oder häufig gefallenen Zahlen. Ja er beobachtete die Croupiers, merkte sich deren Art wie sie die Kugel in den Kessel gleiten ließen, versuchte Ableitungen, Wahrscheinlichkeiten, legte seine Chitons, zog sie kurz vor dem `Rien ne vas plus´ wieder panisch zurück oder verschob sie auf eine zuvor verworfene Reihe. Er gewann nicht selten fünfstellig. Dann tauschte er an der Kasse seine Chitons gegen Bargeld, steckte es in seine Anzugtaschen und nahm sich vor, ein rauschendes Fest zu feiern. Gleichzeitig sollte nun aber auch endgültig Schluss sein. Mit diesem satten Gewinn könnte es einen standesgemäßen Abschluss geben: nie wieder spielen.

      Doch noch in derselben Nacht leuchtete immer wieder eine Zahl vor seinen Augen. Setz mich, hörte er. Erst geflüstert, dann laut geschrien. Er sprang vom Barhocker auf und rannte die paar Meter zurück ins Casino. Atemlos warf er ein Bündel Geldscheine auf den Tisch, nannte die Zahl, hörte das Rollen der Kugel im Kessel, und verlor. Ein zweites Bündel folgte. Die gleiche Zahl. Verloren. Ein drittes Mal dasselbe. Wieder nichts. Dann ging er nach Hause. Ohne noch einen einzigen Cent zu besitzen.

      Zweiundzwanzig einzelne Hypotheken hatte er aufgenommen. Dann zog die Bank Carte Blanc. Zwangsversteigerungen der Immobilien, Verlust von Haus und Hof, mittellos auf der Straße. Was hierauf folgte, konnte ich nur ahnen. Denn mein Begleiter beendete seine Erzählungen an dieser Stelle. Heute allerdings sei sein Leben, fast dreißig Jahre später, zumindest in grundlegend geordneten Bahnen. Er bezog eine winzige Rente, den Rest erledigte die Sozialhilfe.

      Er lachte. Und abermals war ich über seinen Gleichmut verwundert. Es hatte schon etwas Fatalistisches, ja mehr noch, es schien, als würde er sein Los vielmehr als Glück verstehen. Die teuren Zigarren könnte er nur genießen, wenn ihm ein Freund wie Bodo diese spendierte. Er selbst würde sich aber durchaus mit den billigen vom Kiosk begnügen können, denn ohne diese wäre der Genuss einer `Monte Christo´ nicht so außergewöhnlich. Da er weder Frau noch Kinder besaß, brauchte er sich ja auch um nicht allzu viel kümmern. Es ging nur noch um ihn, die Einteilung seiner Mittel auf das Lebensnotwendige, der Rest für Zigarren und Weizenbier. Überdies brauchte er nur ein fröhliches Freundschaftsleben und gutes Wetter für seine Fahrradtouren. Und ausreichend Freiraum für den Müßiggang!

      Wir erreichten das Bistro. Der hohe Tisch mit den Barhockern, der `Feldherrenhügel´ wie Rontrop ihn nannte, war mit dem Stammtischschild versehen und als man uns sah, eilte geflissentlich Fantomas herbei, stellte sich mit züchtiger Haltung hin und begrüßte uns, als wären wir Landesvater und Bürgermeister. Mit einer eleganten Armbewegung wies er uns den Stammtisch zu, und Rontrop erhielt wie aus dem Nichts ein frisch gezapftes Weizenbier gereicht. An mich wurde die Frage gerichtet, ob´s denn wieder eine Weinschorle sein sollte, Riesling halbtrocken, mit Eis und einen Zitronenschnitz? Ich war erstaunt. Aus zweierlei Gründen. Mein Begleiter, so war er doch eine arme Kirchenmaus, wurde mit großer Höflichkeit und einer sicher nicht vorgetäuschten Ehrerbietung als Stammgast gewürdigt. Diese Stadt schien selbst ihre gefallenen Engel noch zu achten. Zudem, und dies verwunderte mich nicht weniger, schien mein gestriges Erscheinen an diesem Platze, es war schließlich das erste Mal, ausgereicht zu haben, um mich nicht minder höflich und bemüht zu empfangen. Als kleines Zeichen dessen gab der