Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


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Sprung der Zaun überwunden. Neben der sonst unversehrten Toten angelangt kniet sie nieder und streichelt ihr traurig durch das Haar. Der Blutfluss ist versiegt, ist aber auch noch nicht verkrustet. Beate bricht den Pfeil am längeren Schaftende ab und zieht die Spitze auf der anderen Halsseite heraus. Sie dreht ihre Mutter um und blickt ihr traurig, mit leicht verschleierten Augen in das lächelnde Antlitz. Kein Gedanke geht ihr dabei durch den Kopf, nur unbeschreiblich viele Gefühle. Sie weiß nicht wie lange es gedauert hat, doch plötzlich steht Guda mit dem Pferd neben ihr. Sie hat deren Kommen nicht bemerkt.

      „Ich habe darauf verzichtet, einen Wagen anzuspannen. Wir werden sie dem Pferd so auf den Rücken legen.“

      Mit beiden Händen fährt sich Beata über das Gesicht, bevor sie zu Guda aufschaut. „Ja. Es ist gut.“

      Gemeinsam heben sie den Leichnam hoch und legen ihn quer über das Ross. Guda geht vor, führt das Pferd an der Leine. Beata folgt ihr. Am Waldstück blicken sie hinein, ob sich ein Hinweis finden möchte. Vergebens. Wer sucht auch schon über sich nach etwas, das am Boden erwartet wird? Schweigend gehen sie langsam zurück.

      * * * * *

      Am Hof angekommen werden sie schon von den Jungs erwartet. Odo hat Methildis auf dem Arm. Tränen fließen ihm die Wangen herab und auch seine Brüder heulen hemmungslos. Methildis streckt die Arme nach ihrer Mutter aus, die sie nie mehr nehmen wird. „Mama!“, ruft sie und Odo drückt sie an sich, wobei er ihren Kopf abwendet. „Mama lebt nicht mehr, Metti.“, versucht er mit brüchiger Stimme zu erklären. Rudwin, Magnus und Markward haben sich mit Frieder bei der Hand genommen und folgen mit ihren Blicken dem Pferd, wie es im Stall verschwindet, wo Beata und Guda die Leiche herab holen. Die Kinder sind bis zum Tor gefolgt, wo sie verharren und beobachten. Auf einem Tisch im hinteren Eck legen die Frauen die Tote ab, bedecken sie mit einem großen Tuch. Beim Verlassen schließen sie die Tür hinter sich, damit kein wildes Tier dem Körper Schaden zufüge. Mit ausgebreiteten Armen drängen sie die Jüngeren ins Haus. Man versammelt sich um den Tisch.

      Beata meint, augenblicklich von der Trauer ablenken zu müssen und fragt: „Kann sich einer von euch Jungs vorstellen, wer einen Grund hätte, Mutter das Leben zu nehmen?“

      Schweigendes Kopfschütteln.

      „Kennt einer von euch solch einen Pfeil?“ Dabei kramt Beata die zwei Hälften aus dem in ihr Gewand eingenähten Beutel und legt diese auf den Tisch.

      Erneutes Kopfschütteln. Es wäre auch zu einfach gewesen, denkt sich Beata.

      Guda bricht das kurze Schweigen. „Wie soll es nun weiter gehen?“.

      Eigentlich war die Frage für Beata bestimmt, doch Odo antwortet. „Wie soll es schon weiter gehen? Wir werden den Hof weiter führen. Wir müssen ja unser Brot erarbeiten. Morgen werden wir Mutter neben Vater begraben, so wie sie es wollte. Dann wird wie immer das Vieh versorgt, die Felder bestellt und was alles so zu tun ist. Grad so, wie sie es vor ihrem Fortgehen bestimmt hat. Ihr wisst, was alles zu tun ist, hat so gesagt. Das werden wir tun.“ Der Große sieht sich nun in der Rolle des Familienoberhauptes und will dieser auch gerecht werden, auch wenn nicht nur die Stimme zittert. Magda hatte einmal gesagt, dass sie neben Karl auf dem Gut begraben werden will. Diesem Wunsch will Odo nachkommen.

      „Ich weiß, ihr seid keine Kinder mehr, Odo. Doch bist du dir sicher, dass ihr dies auch allein bewältigen könnt? Glaubst du, ihr könntet ohne Mutter einen Zechpreller in die Schranken verweisen? Kannst du kämpfen und dich wehren, wenn dich des Händlers Knechte verprügeln wollen? Nimmt dich ein Graf als Händler für voll, wenn er von dir Vieh kaufen will oder wird er nicht eher suchen, dich zu betrügen und den Preis zu drücken? Wer von euch kann kochen?“

      Beata legt kurzerhand den Finger in die schlimmsten Wunden. Kämpfen wie Mutter kann keiner. Magda hat versäumt, ihre Söhne diese Kunst zu lehren. Viehkäufer sind grundsätzlich Betrüger und zahlen immer am liebsten weniger als die Hälfte. Odo weiß das und muss eingestehen, dem doch nicht gewachsen zu sein. Kochen ist dabei noch das kleinste Problem.

      „Aber was sollen wir machen? Wirst du zu uns ziehen und uns helfen? Methildis muss auch versorgt werden. Mutter hat gesagt, du hilfst uns immer.“

      „Ich werde euch immer helfen, da hat Mutter nicht gelogen, doch wird meine Hilfe nicht immer so aussehen, wie ihr sie euch wünscht. Und mit der Beerdigung wartet ihr bitte, bis ich wieder zurück bin. Ich werde morgen, wie geplant, mit Guda weiter ziehen und Eringus aufsuchen. Ich will heraus finden, wer unsre Mutter getötet hat. Ich habe den Pfeil und Frieder hat den Täter gesehen. Die nächsten paar Tage bleibt die Schänke und Herberge geschlossen. Ihr kümmert euch um Feld und Vieh und Methildis wird von Frieder betreut. In dieser Zeit wird sicher nichts geschehen. Bis dahin weiß ich, wie es weiter gehen wird.“

      Im Grunde ist Odo froh, dass seine große Schwester doch die Führung der Familie übernommen hat. Es ist schwer ohne Anleitung selbständig zu werden.

      Frieder ist dankbar, dass Beata ihm eine Aufgabe gegeben hat, die er übernehmen kann. Mehr als die Betreuung des kleinen Mädchens schafft er nicht mehr. Doch das was er kann, will er mit ganzer Hingabe erfüllen.

      * * * * *

      „Achtet darauf, dass Mutter unversehrt bleibt.“, ist Beatas letzte Anweisung am Morgen bevor sich die beiden Frauen auf den Weg zum Drachen machen. Noch lange haben die zwei in der Nacht zusammen geredet. Nun sieht auch Guda einen Sinn darin, den Drachen als Freund zu haben. Mit einem letzten Winken sind sie den Blicken der Jungs entschwunden. Die kleine Methildis winkt noch ein wenig länger, während Frieder sie fest an der Hand hält.

      Schlimmer geht immer

      Am Morgen, als Beata und Guda den mütterlichen Hof verlassen, ist auch König Sigurd zu einem Entschluss gekommen. Aus Kleyberch sind bisher noch keine neuen, geschweige denn guten Nachrichten eingetroffen.

      „Nichts Schlimmes ist schon mal was Gutes.“, versucht Hemma ihren Mann zu beruhigen.

      „Wie kannst du nur so gelassen bleiben?“ Zwar rennt Sigurd nicht mehr ständig im Kreise herum, aber er hat offensichtlich immer noch keine Ruhe im Hintern.

      „Gottvertrauen, mein Lieber. Reines unschuldiges Gottvertrauen. Gabbro wird alles zum Guten wenden. Du wirst sehen.“

      „Und wie kriege ich solch Gottvertrauen? Es geht um unsere Tochter.“, lamentiert ihr Gatte.

      „Bete. Das gibt Ruhe und Sicherheit.“

      Zweifelnd blickt der König sein Weib an und schüttelt dann den Kopf.

      „Du weißt, ich glaube an Gabbro und ich bete auch immer. Doch wie kann ich Vertrauen finden, wenn ich ihn, unseren Gott, als Urheber der Not ansehe?“ Unter weiter fortgesetztem Schütteln ergänzt er: „Nein, Hemma, das kann ich nicht.“

      „Dann geh doch zu Eringus. Das habe ich dir auch schon ein paar Mal geraten. Vielleicht findest du bei dem Drachen Rat und Hilfe.“

      „Ja, du hast recht. Das werde ich tun. Mal sehen was einer, der nicht an Götter glaubt, zu diesem Problem zu sagen hat. Ich denke, heute Abend werde ich wieder zu Hause sein.“

      Mit einem Kuss für sein Weib verabschiedet er sich und verlässt den Berg durch den königlichen Garten.

      * * * * *

      Eringus liegt nicht vor seiner Höhle in Lindenau, seinem absoluten Lieblingsplatz im ganzen Tal. Gerbera Liebstöckel, die amtierende Dorfmeisterin, hat unbedingt darauf bestanden, auch die Drachenhöhle mit einem Frühjahrsputz zu bedenken. Selbst heftigster Protest durch den Drachen verhallte ignorant ungehört. Ein ganzer Trupp von Halblingen hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gefegt. Ihm blieb nur die Flucht auf eine tiefer und näher an der Chynz gelegene Lichtung. Hier hat er es sich gemütlich gemacht. Er döst zufrieden mit geschlossenen Augen in der Sonne und trotzt dem Geschwätz von Jade.

      „Hast du das auch