Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


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ob er was mitbekommen hat, wenn er nicht weiß, was er mitbekommen haben soll, weil nicht gesagt wird, was er hätte mitbekommen müssen.

      „Ja diese Fliegenwanderung. Die haben mich ja fast umgeflogen, heute Morgen.“ Die Traumfee ist entrüstet.

      „Ach was.“

      „Ja, doch. Und kaum waren die Fliegen durch, sind die Vögel hinterdrein. Mit Müh und Not hab ich mich hinter einen Baum in Deckung bringen können.“

      „Ist doch klar, wo die Fliegen hin fliegen, fliegen auch die Fliegenfresser hin.“ Wie kann man sich nur über solche Banalitäten Gedanken machen. Ist doch alles klar, logisch und natürlich. War schon immer so gewesen.

      „Das weiß ich auch. Ich wollte damit nur andeuten, dass seit gestern der Luftdruck deutlich runter gegangen ist. Ich spür das. Du nicht?“ Jade fühlt sich missverstanden.

      „Jeder spürt das, der fliegen kann. Ist ja lebenswichtig. Am Ende fällst du beim Fliegen runter.“ Eringus will mit diesem Hinweis das unnötige Gespräch beenden. Ohne Glück.

      „Ha, Ha. Veralbern kann ich mich selbst.“

      „Das macht aber sicher nicht so viel Spaß.“

       Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass diese Unterhaltung rein gedanklich abläuft? Drachen können ja nicht mit dem Mund reden und Traumfeen hört man nicht so recht.

      Jade überhört diese Bemerkung und fährt fort: „Das ist aber doch sehr ungewöhnlich. Ich hab den Eindruck, die Mauersegler, die jetzt gerade kommen, drehen einfach wieder ab, als wollten sie nicht hier bleiben. Da stimmt doch was nicht.“

      Eringus gähnt und antwortet nicht.

      „Hey, ich rede mit dir.“ Jade wird zornig. Sie sieht da ein Problem und dieser einfältige faule Drache will nicht mit ihr darüber reden. Sie fliegt ihm auf die Nase und trampelt wütend mit den kleinen Füßchen auf. Wie alle Traumfeen ist ihr ganzer Körper dicht kurz behaart, was sie vor großer Hitze und Kälte schützt. Lediglich das Gesicht, die Innenseiten der Hände und die Fußsohlen sind unbehaart und offenbaren eine Haut in zartrosa. Die tiefschwarzen Augen blitzen im Moment wütend. Ihre Arme hat sie vor der Brust verschränkt. Da Traumfeen ihren Nachwuchs nicht säugen, ist diese einfach nur flach. Sie steht aufrecht. Im Gegensatz zu den braunen Haaren des Oberkörpers ist, nach einer sehr dünnen Taille, der langgestreckte Hinterleib in jadegrün leuchtend. Praktisch, denn auf diese Weise kennt man sofort den Namen einer Traumfee. Der Unterleib ist deutlich länger als die Beine und dient Jade beim Stehen als zusätzliche Stütze, denn er ist beweglich und kann nach vorne oder nach hinten gebogen werden. Die kleine Traumfee, die man mit bloßem Auge fast gar nicht sehen kann, bewirkt mit ihrem zur Schau getragenen Zorn bei dem Drachen natürlich überhaupt nichts. Ungerührt bleibt Eringus liegen.

      „Ich weiß, dass die Fliegen sich nach dem Luftdruck richten und die Fliegenfresser folgen und alles. Ist klar, Dicker.“, beginnt Jade erneut. „Aber der Luftdruckabsturz ist doch merkwürdig. Für diese Jahreszeit und in diesem Ausmaße! Das ist doch auffällig. Hast du nicht selbst gesagt, da käme was auf uns zu?“

      Jetzt endlich kommt Bewegung in den Drachen; ein wenig zumindest. Er öffnet das linke Auge.

      „Du meinst, das hinge damit zusammen?“

      „Warum nicht? Denkbar wäre es. Wann hast du das letzte Mal nach dieser merkwürdigen Wetterfront gesehen?“

      „Ähem. Schon ein wenig her.“ In Wahrheit hat Eringus die Angelegenheit vergessen. Es hat so lange gedauert, bis er Bewegung in der schwarzen Wolke sehen konnte, dass er ihr keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt hat. „Ich sollte mir das wohl mal wieder ansehen. Ob sie schon näher gekommen ist, die Wolke.“, gibt er zu.

      „Dann mach mal.“, verlangt Jade.

      „Wir sind fertig.“, vermeldet in diesem Moment Gerbera den Abschluss der Reinigungsarbeiten. Sie nähert sich vom Dorf her den Beiden in üblich wippendem Schritt. Ihre dunkelbraunen leicht strähnigen Haare hat sie mit einem Kopftuch zusammengefasst. Ihren schlanken Körper hat sie mit einer hellgrünen Bluse und einer dunkelgrünen Pluderhose verhüllt. Ihre braunen Augen strahlen voller Stolz ob der geleisteten Arbeit aus dem ovalen Gesicht.

      Von der anderen Seite her, also aus Richtung Chynz, erscheint Sigurd auf der Lichtung.

      „Meine Tochter ist verschwunden, Eringus. Kannst du mir helfen?“

      Und von links betreten Beata und Guda, die sich so dicht als möglich hinter ihrer Freundin versteckt, die Wiese.

      „Magda wurde ermordet, Eringus. Ich brauche deinen Rat.“

      Mit jedem neu Eintreffenden wandern die Köpfe der bereits Anwesenden hin und her. Zuletzt also sind alle Blicke bei Beata. Diese sieht aber nicht den Drachen an, den sie eben noch ansprach, sondern blickt über ihn und hinter Gerbera hinweg auf den Waldessaum. Sie hebt den Arm, zeigt in ihre Blickrichtung und ruft: „Was ist das denn?“

      Prompt wenden sich alle Köpfe zum Waldrand hin und die noch unausgesprochenen Beileidsbekundungen wegen Magdas Ableben sind schneller wieder vergessen, als sie in den Kopf gekommen sein mögen. Dort aus dem Wald heraus kriecht, immer zunehmender, Nebel zwischen den Bäumen hervor; begleitet von deutlich kühlerer Luft. Als würde Milchsuppe im Kessel überkochen, so schieben sich die dicken Schwaden unaufhaltsam auf die kleine Gruppe zu. Langsam, aber trotzdem schneller als üblich, sind schon bald alle derart in Nebel gehüllt, dass kaum noch die Hand vor Augen zu sehen ist. Guda hat Beatas Hand ergriffen und hält sie ganz fest. Die Luft trägt so viel Feuchtigkeit in sich, dass binnen Kurzem alle so nass wie ein Hund sind, der eben aus der Chynzych kommt. Die Haare triefen, das Gewand kann man auswringen.

      Aus diesem Nebel dringt gemeines Gelächter an die Ohren aller. Durch den extremen Absturz des Luftdrucks und der Temperatur folgt zwangsläufig ein gewaltiges Unwetter mit Blitz und Donner und Hagel. Es prasselt auf die Köpfe, doch keiner ist in der Lage, Schutz zu suchen. Förmlich erstarrt bleibt jeder auf seinem Platz stehen. Der gleich darauf hinzu tretende Sturm fegt den Nebel vor sich her und für alle ersichtlich steht ein menschgleiches Wesen mit langem schwarzem Mantel und einer Gugel auf dem Kopf, die überhaupt keinen Blick darunter erlaubt, mitten unter ihnen. Urplötzlich ist das Unwetter vorbei.

      „Ja, was haben wir denn hier für eine Versammlung? Ei, wie fein!“ An der Richtung des Tones ist erkennbar, dass das gemeine Gelächter von diesem Wesen gekommen sein muss. Er ist etwa eine Handbreit größer als ein normaler Mensch. Mehr ist zu der Gestalt nicht zu sagen. Gugel und Mantel verdecken alles. Die Ärmel sind so lange, dass sogar die Hände bedeckt sind. Der Mantel schleift fast auf dem Boden, trotzdem sind darunter keine Füße zu sehen.

      „Ich bin entzückt euch alle auf einmal hier vorzufinden. Da macht die schlechte Nachricht ja auch gleich die Runde. Das spart Zeit und erhöht mein Vergnügen.“

      Der Tonfall ist deutlich übertrieben freundlich, dann zynisch.

      „Na, Sigurd, kleiner König der letzten Zwerge, kennt man mich noch in eurem kümmerlichen Rest von einem Reich? Glaubtet ihr, euer Gott könne uns tatsächlich für immer aus der Welt schaffen? Wer nicht Reue zeigt, wird auf ewig ein Alb bleiben und ich bereue gar nichts.“

      Eringus, der sich eiligst erhoben hat, macht Anstalten, sich auf den Alb zu stürzen.

      „Na, wirst du dich wohl benehmen?“, ruft es unter der Gugel hervor. Schnell vollführen die Arme kreisende Bewegung und der Drache wird von einem Wirbelwind umschlossen, dessen Ausläufer die Anwesenden zu Boden schleudern; ausgenommen den Alb und Eringus. Dabei ertönt der dröhnende Ruf:

      „Drachenklammer hält den Bann,

      klare Mauer hart umschließt,

      bis des Drachen Kinde irgendwann

      Trauertränen hier vergießt.“

      Fast gleichzeitig bricht ein Feuerstoß aus des Drachen Maul hervor, der aber schon nach kaum drei Schritt