Hans-Otto Kaufmann

Talare klaut man nicht


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nicht noch aufsässig, Miriam! Morgen ist vor dem Gottesdienst genug Hektik.

      Wollt ihr lieber gleich auf eure Zimmer?"

      "Es ist doch noch gar nicht so spät", maulte die Älteste.

      "Keine Diskussionen jetzt! Gehorcht eurer Mutter und dann ab ins Bett!", meldete sich

      Pastor Knothe, der mit dem Liederzettel in der Hand herein gerauscht kam. Die letzten

      Sätze des Wortwechsels hatte er mitbekommen. Anlass für ihn, seine Kinder in ver-

      nehmlichem Ton zu ermahnen.

      "Und keine Widerrede bitte! Wir haben hier noch einiges zu besprechen."

      Vor seinen halbwüchsigen Kindern hatte er sich in voller Lebensgröße aufgebaut und

      schaute sie mit Autorität heischendem Blick an.

      Hans-Wilhelm und Miriam schienen wenig beeindruckt.

      "Los, kommt mit!"

      Frau Knothe, die Kehrblech und Besen wieder in die Sakristei gebracht hatte, schob die

      nörgelnden Kinder vor sich her in die Küche.

      "So, hier sind die Lieder. Ich hab' mir noch eine Abschrift gemacht."

      "Vielen Dank, Herr Pastor."

      Begeistert nahm Werner Paselmann den Zettel in Empfang und verschwand, seines

      Küsteramtes waltend, in Richtung Sakristei.

      "Kommt doch mit in mein Amtszimmer. Dort sprechen wir in Ruhe alles durch. Es wird

      auch nicht zu lange dauern."

      Norbert Leisesang und Siegfried Kussow schlenderten hinter dem Pastor her in den

      Nebenraum.

      2. KAPITEL

      ... Ich hasse Spätschichten ... Ich hasse Spätschichten … Ich hasse Spätschichten …

      Immer wieder leierte Kommissar Knut Steele diesen Satz herunter, während er lustlos

      Daten in seinen PC einspeicherte.

      Das Kommissariat lag im zweiten Stock des Polizeigebäudes von Bad Emstadt. Ein

      Altbau, der erst vor einem Jahr generalsaniert wurde. Moderne Stahlschränke, elegante

      Schreibtische, ergonomisch konstruierte Stühle, neueste Telefon- und Computeranlagen

      ergaben im Zusammenspiel mit hohen, hellen Räumen und zum Teil noch stuckbelas-

      senen Decken eine gelungene Verbindung von Alt und Neu.

      Knut Steele bediente seine Tastatur und biss gelegentlich ein Stück vom Schokoriegel

      ab.

      Mitte fünfzig, verheiratet, eine Tochter im Studium, angegrautes Haar, halbwegs trai-

      nierte Figur trotz Bauchansatz, war er erst vor einem halben Jahr auf eigenen Wunsch

      auf diese Dienststelle versetzt worden. Aufgewachsen in einem kleinen norddeutschen

      Dorf, zog er mit seinen Eltern zweimal in andere Bundesländer um, sammelte lange

      Jahre in einer Großstadt kriminalistische Erfahrungen, wenn auch eher am

      Büroschreibtisch als auf dem heißen Asphalt, und suchte dann nach einer Möglichkeit,

      seine Dienstzeit in etwas beschaulicherer Umgebung ausklingen zu lassen. Es hatte sich

      als schwierig herausgestellt, eine Stelle in einem kleineren Kommissariat zu ergattern.

      Fast zwei Jahre lang versuchte Steele vergeblich, sich versetzen zu lassen. Der

      Dienstweg war lang, unübersichtlich und hindernisreich, immer wieder fanden sich

      Gründe, seine Anträge abzulehnen. Der letzte war endlich positiv beschieden worden.

      Seine erste, allerdings harmlose, Bewährungsprobe an neuer Wirkungsstätte hatte er vor

      einigen Wochen bestanden, als sich in verschiedenen größeren und kleineren Orten der

      Umgebung Karnevalszüge durch die engen Straßen quälten. Viele Aktivisten und

      Schaulustige konnten dem hohen Erwartungsdruck und den niedrigen Temperaturen nur

      mit mehr oder weniger, meistens mehr, Alkohol standhalten. Das Ergebnis war zwar

      nicht Mord und Totschlag, aber einige Schnapsleichen, versuchte Vergewaltigungen und

      Kneipenschlägereien mit Körperverletzungen hatten bei den Ordnungshütern für ein

      unruhiges Wochenende gesorgt. Nun wusste Knut Steele auch, wo sich die

      Ausnüchterungszellen befanden.

      ... Warum können nicht ein paar Sekretärinnen mehr eingestellt werden? ... Dieser

      ewige Bürokram! ... Wenn ich mir vorstelle, dass andere seit Stunden Feierabend haben

      und vor der Glotze hocken! ... Na ja, Dienst ist Dienst ... Ich hasse Spätschichten ... Es

      gibt doch Sinnvolleres, als die Zeit mit Berichten und Statistiken totzuschlagen? ... Da

      steckt doch System dahinter! ... Pass auf, Knut, du...

      "Du bist doch evangelisch, oder?"

      Er zuckte zusammen.

      Hinter ihm stand sein Chef Theo Flachkötter und blies ihm eine Zigarettenwolke in den

      Nacken.

      "Seit wann interessierst du dich für meine Konfession?", stotterte Steele und drehte sich

      um.

      "Es könnte für deinen nächsten Fall von Bedeutung sein, oder gehst du nicht mehr in die

      Kirche?"

      "Na ja, ... sagen wir`s mal so ..."

      "Keine Ausflüchte, bitte. Machen wir`s kurz", unterbrach Flachkötter, "wir haben eben

      einen Anruf von den Kollegen aus Groß-Vortstein bekommen."

      "Groß-Vortstein?"

      "Netter, kleiner Ort, wirst du bald kennenlernen. In der Sakristei einer evangelischen

      Kirche ist ein Schwerverletzter gefunden worden ..."

      "Moment, Sakristei?", versuchte Steele einzuwerfen.

      "Was das ist, wirst du bei deinem Intelligenzquotienten schon rauskriegen."

      "Sehr witzig, weißt es wohl selber nicht, was?"

      "Lass mich bitte ausreden, Knut. Es sieht nach versuchtem Mord oder Raubmord aus.

      Die Kollegen bitten daher uns um Amtshilfe. Sie nehmen dich dort in Empfang. Stell'

      den PC ab und kümmere dich mal um die Sache."

      "Kann das wirklich kein anderer übernehmen?"

      "Red' dich nicht raus. Klostermann bleibt hier, macht die Stallwache."

      Knut Steele schluckte.

      "Wo soll es sein?"

      "In Groß-Vortstein."

      "Das habe ich bereits mitgekriegt. Aber wo da?"

      Der Chef schien kurz angebunden und sog hastig an seiner Zigarette.

      "Hier ist die Anschrift."

      Flachkötter drückte seinem Untergebenen einen Zettel in die Hand und verschwand so

      schnell wie er gekommen war Richtung Tür.

      "Gute Fahrt und halte mich auf dem