Hans-Otto Kaufmann

Talare klaut man nicht


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ist der Pastor der Gemeinde", flüsterte er.

      "Hab' ich mir fast gedacht", raunte Steele.

      "Er hat den Verletzten gefunden und uns angerufen. Er kann ihnen alles erzählen.

      Brauchen sie mich noch? Mein Kollege wartet im Auto auf mich."

      "Eigentlich nicht. Aber sagen sie, ist etwas entwendet worden? Man sagte mir, dass auch

      ein versuchter Raubmord nicht auszuschließen sei."

      "Ja, stimmt, es fehlen der Talar und die Abendmahlsgeräte."

      "Merkwürdig!..."

      Steele grübelte.

      "Der Talar ist doch das, was der Geistliche immer im Gottesdienst anhat, oder?"

      "Kann man so sagen."

      "Irgendwelche Hinweise auf ein Tatwerkzeug?"

      "Komplette Fehlanzeige. "

      "Spuren?"

      "Nur von Schuhen, aber ziemlich unbrauchbar."

      "Sagen sie", fuhr Steele fort, "in welches Krankenhaus ist der Verletzte gebracht wor-

      den?"

      "Ins St.-Katharinen-Hospital."

      "In kirchlicher Trägerschaft, was?"

      "Ich glaub schon, aber von der katholischen Konkurrenz."

      "Na ja, passt ja fast.

      Das wär`s erst einmal. Schönen Dank, sie können gehen."

      Oskar Beller verabschiedete sich an der Sakristeitür vom Pastor.

      Kurze Zeit später hörte man draußen den Dienstwagen anspringen.

      4. KAPITEL

      "Ich bin zutiefst betrübt."

      „Herr..."

      "Knothe ist mein Name, Hans-Heinrich Knothe."

      Der Zwei-Meter-Riese passte genau in den Türrahmen. Mit wirrem Haar, offenem

      Kragenknopf, verwegen baumelnder Krawatte und ausgebeulten Hosen sah er nicht sehr

      vertrauenerweckend aus. Er wirkte gestresst.

      "Seit über fünfzehn Jahren bin ich Pastor dieser Gemeinde, aber so etwas Gottloses ist

      mir noch nicht zugestoßen. Ich bin zutiefst betrübt."

      "Ich bin Kommissar Steele von der Mordkommission."

      "Herr Kommissar, ich bin noch ganz fassungslos."

      Sein schlapper Händedruck war Ausdruck einer bedenklichen geistig-körperlichen

      Verfassung.

      "Das kann ich verstehen, Herr Knothe. Trotzdem muss ich ihnen ein paar Fragen stel-

      len. Mich interessiert, was sie genau gesehen haben. Wenn es ihnen nichts ausmacht,

      dann erzählen sie doch bitte möglichst der Reihe nach."

      Der Pastor versuchte seinen Atem zu kontrollieren und zu innerer Sammlung zurückzu-

      finden.

      "Heute Abend hatten wir unsere Chorprobe. Wir üben für den morgigen Gottesdienst,

      müssen sie wissen. Nach der Probe..."

      "Entschuldigen sie, wenn ich gleich unterbreche: Wann war die ungefähr zu Ende?"

      "Na, so gegen halb zehn."

      "Und weiter?"

      "Nach der Probe sind alle nach Hause gefahren, ich bin noch mit zwei Sängern zu einer

      kurzen Besprechung in mein Amtszimmer gegangen, und Herr Paselmann wollte in der

      Kirche die Lieder anstecken und alles für den Gottesdienst vorbereiten."

      "Wie heißen die beiden Sänger?"

      "Herr Leisesang und Herr Kussow, bewährte Mitarbeiter der Gemeinde."

      "Wie lange hat die Besprechung gedauert?"

      "Fünfzehn bis zwanzig Minuten."

      "Und was ist dann passiert?"

      "Ich habe die beiden Herren zur Tür gebracht und sie verabschiedet. Vor der Tür sah ich

      Herrn Paselmanns Auto im Dunkeln stehn und mir fiel ein, dass er noch in der Kirche

      sein musste."

      "Herr Knothe, wenn ich sie also richtig verstehe, dann haben sie vor ihrer Besprechung

      die Außentür nicht abgeschlossen?"

      "Nein. Das heißt: Ja. Das ist ja das Traurige. Als ich abschließen wollte…“

      "Das heißt also", warf Knut Steele ein, "es konnten fremde Leute ungehindert herein-

      kommen."

      "Ich bin zutiefst betrübt über meinen Leichtsinn."

      "Also auch schon während der Chorprobe?"

      "So ist es."

      "Und weiter?"

      "Ja, als ich nach ihm schauen wollte und an der Sakristei vorbeikam, da..."

      Der Pastor geriet ins Stottern.

      "Da ... da sah ich ihn auf dem Boden liegen. Ein schrecklicher Anblick."

      Erschauernd schüttelte er sein Haupt.

      "Können sie mir zeigen, wie er lag?"

      Hans-Heinrich Knothe machte einen Schritt in den Raum.

      "Dort", er deutete mit der Hand auf den Fußboden, "zwischen Spüle und Flurtür lag er

      zusammengekrümmt und rührte sich nicht. Ich bin natürlich sofort zum Telefon gelau-

      fen und habe den Notarzt angerufen."

      "Von wo aus haben sie telefoniert?"

      "Von meinem Amtszimmer."

      "Wann ist er eingetroffen?"

      "Sehr schnell. Nach fünf Minuten war er hier."

      "Und was haben sie nach dem Anruf gemacht?"

      „Ich war völlig kopflos, bin hier auf- und abgelaufen, habe sofort meine Frau aus der

      Küche geholt... Sie wird wohl auch gleich kommen. Ach, ich bin zutiefst betrübt."

      "'Was hat der Arzt festgestellt?"

      "Kopfverletzungen."

      "Kopfverletzungen?"

      "Die wohl nicht nur vom Sturz herrühren, sagte der Arzt."

      "Hm ... Und da hat er ihnen geraten, auch die Polizei einzuschalten."

      "So ist es."

      Tief atmete der Pastor durch.

      "Wann haben sie denn festgestellt, dass etwas fehlte?"

      "Als der Arzt da war. Mir fiel gleich auf, dass der Talar nicht mehr an seinem Platz hing.

      Hier ist nur noch der Bügel."

      Er deutete auf die Wand neben dem lächelnden Mann.

      "Warum bewahren sie ihn nicht in einem Schrank auf? So staubt er doch ein?"

      "Ach, Herr Kommissar, ich weiß, es ist Nachlässigkeit, aber ich habe ihn lieber immer

      griffbereit da hängen. "

      "Und die Abendmahlsgeräte?"

      "Ja, dort, schauen sie nur, der Schrank steht noch offen. Erst dachte ich, Herr Paselmann

      hat die Geräte schon