Hazel McNellis

Gefangene der Welten


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Schleier tat. Mit dem Gedanken übernahm der Polizist in ihm die Kontrolle und er streckte seine Hand erneut aus. Er näherte sich der silbrigen Wand. Und berührte es.

      Blitzähnlich durchdrang ihn die Entladung von mehreren tausend Volt und ein markerschütternder Schrei drang aus ihm hervor. Unfähig den Kontakt zu der Wand zu lösen, starrte er mit aufgerissenem Mund und reiner Panik in den Augen auf den Schleier. Am Rande seines Bewusstseins nahm er wahr, wie Jack Carson sich zu ihm umwandte und zögernd, mit weit aufgerissenen Augen, nähertrat.

      Dann fiel er.

      Harold Jamestons Leichnam landete mit einem dumpfen Geräusch auf der weichen Erde. Blasse Rauchwolken stiegen von seinem Körper auf.

      Jack fröstelte und eine kalte Welle überkam ihn, als er durch den silbrigen Schleier hindurchtrat. Es war nur für die Dauer eines Schrittes, doch ihm blieb die Luft weg, als das Gefühl von Eiswasser durch jede seiner Poren drang. Der Schock ließ ihn zittern, seine Zähne klapperten.

      Heilige Scheiße! Was ist das für ein Phänomen, fragte er sich, zutiefst erschüttert von dem Erlebnis.

      Er sah an sich herab. Seine Kleidung war trocken, obwohl er hätte schwören können, dass sich die Wand anfühlte, als würde man mit kaltem Wasser übergossen. Er schluckte verblüfft, wandte der Wand entschlossen den Rücken zu und sah sich um.

      Diese Seite des Waldes unterschied sich in keiner Weise von der anderen. Wie sollte er nun weiter vorgehen? Ihm kam der Gedanke, dass er sich erst hätte einen Plan zurechtlegen sollen. Doch dazu blieb ihm keine Zeit, sagte er sich. Er musste sich auf seinem Instinkt verlassen. Die Polizei war ihm auf den Fersen. Da war es besser, wenn er keine Zeit verlor.

      In dem Moment hörte er es. Der Schrei wurde durch den Schleier zwar gedämpft, aber dennoch klang es grausig. Jack fuhr herum und trat näher heran. Der Polizist fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Sein leerer Blick starrte zum Blätterdach hinauf. Jack schluckte. Verdammt! Man war ihm tatsächlich gefolgt. Und nicht nur das: Der Mann schien tot zu sein.

      Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das hätte ihm genauso gut passieren können, ging es ihm durch den Kopf. Nur, warum war das nicht geschehen?

      Dies war eine Frage, derer er später nachgehen konnte, entschied er. Seine Hände zitterten beim Anblick der Leiche. Entschlossen schluckte er und wandte sich um. Er blickte zu Boden und hoffte im Laub eine Spur von Sydney zu finden. Jack kam sich ein wenig vor, wie einer der Pfadfinder in dem Feriencamp, das er als kleiner Junge immer besucht hatte. Wie gut, dass er auf einer weitläufigen Ranch aufgewachsen war. Da galt es häufiger als einem lieb war, ein verloren gegangenes Lamm wieder aufzuspüren.

      Angestrengt starrte er das Laub an. War da nicht ein zertretenes Blatt? Neugierig trat er näher. In einigen Abstand dazu fand er ein weiteres. Jack jubilierte innerlich und grinste. Plötzlich war er überzeugter denn je: Er würde sie wiederfinden!

      Das Laub zeigte ihm deutlich, dass sie mit einem Pferd unterwegs waren. Demnach war das Geräusch der Hufe kein Traum und Sydney war tatsächlich mit einem Pferd entführt worden. Aufregung ließ sein Herz schneller schlagen und er fuhr fort, den Boden mit Blicken abzusuchen.

      5.

      Sydney erwachte. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie das Zwitschern der Vögel um sich herum hörte. Der leise Nachhall ihres Traumes legte sich warm um ihre Seele, umhüllte und liebkoste sie.

      Sie war bei ihrem Vater und hatte ihm das Amulett gezeigt. Neben ihr saß Jack und hielt ihre Hand. Sie hatten über Timothy gesprochen und im Traum war ihr alles so friedvoll erschienen. Alle lächelten und ein warmes Gefühl ruhte in ihr.

      Sie erinnerte sich, ihren Kopf zu Jack gewandt zu haben und raues Entsetzen gepaart mit unheimlicher Lust ergriff sie. Neben ihr saß nicht länger Jack, der ihr sittsam die Hand hielt und vertraut lächelte.

      Seinen Platz hatte ein wahrhaft verführerischer Teufel eingenommen, der ihren Arm umklammert hielt und dessen dunkler Blick den ihren gefangen hielt, als könnte er direkt in ihr Innerstes blicken.

      Schnell schlug Sydney die Augen auf.

      Das Feuer war heruntergebrannt. Einzig die Glut glomm still zwischen den verkohlten Resten der Zweige.

      Sie erinnerte sich.

      Der Schleier.

      Ihre Entführung.

       Damian.

      Sydney setzte sich auf und sah sich um. Damian war weit und breit nicht zu sehen. Sie runzelte die Stirn. Wo war er? Warum ließ er sie jetzt schon wieder allein? Ihr Blick fiel auf Schara’k. Das Pferd schnaubte leise und seine Ohren drehten sich in ihre Richtung.

      Langsam stand Sydney auf und streckte ihre steifen Glieder. Sie löste ihren Zopf und fuhr sich mit den Händen durch ihr langes Haar, das aussah, als hätten Vögel es als Nistplatz auserkoren.

       Nie hat man einen Kamm, wenn man einen braucht.

      Der Pferdeschwanz hing ihr unordentlich tief im Nacken und seit ihrer Entführung hatte sie sich weder gewaschen, noch ihre Haare gepflegt. Sie stieß einen Fluch aus bei dem Versuch ihre störrischen Haare zu entwirren und gab es schließlich ganz auf. Sie hob vorsichtig einen Arm und schnüffelte kurz. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Gott, das wurde aber Zeit!

      Als hätte er ihre Gedanken erraten, erklang Damians tiefe Stimme hinter ihr: „Heute Nachmittag werden wir einen kleinen See erreichen. Dort könnt Ihr Euch waschen.“

      Vor Schreck fuhr Sydney zusammen und wirbelte herum. Damian stand an einer Birke gelehnt und beobachtete sie; die muskulösen Arme lässig vor der Brust verschränkt.

      „Wie lange stehen Sie schon da?“

      Damian stieß sich vom Stamm ab und kam träge auf sie zu. „Lange genug.“

      Unsicher trat Sydney einen Schritt zurück. Zu deutlich stand ihr noch der Traum vor Augen. Dicht vor ihr blieb Damian stehen und griff in ihr Haar. Dann zog er einen Kamm aus seinem Hosenbund und begann, ihre Haare zu kämmen. Er arbeitete sich sehr sanft von den Spitzen bis zu ihrem Ansatz vor. Sprachlos stand Sydney neben ihm, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. Warum tat er das? Was bezweckte er damit?

      Damian hatte geplant mit Sydney weiterzureiten und keine Verzögerung mehr zuzulassen. Er wollte die Angelegenheit rasch beendet haben, denn die Zeit war reif und die Zukunft des Mädchens stand bereits fest. Er hatte bereits viel zu viel Zeit verschwendet, wenngleich er es durchaus genoss, wie er zugeben musste. Seine Zukünftige war ein faszinierendes Wesen und ihr Äußeres nicht zu verachten.

      Dennoch hatte er einen Auftrag zu erfüllen und an den hielt er sich.

      Als Damian zu ihrem Lager zurückkehrte, hatte sie ihre Haare gelöst. Es entging ihm nicht, wie seine Braut unflätig fluchte. Dass sie trotz der Unannehmlichkeiten, die diese Reise mit sich brachte, attraktiv war, ließ sich kaum leugnen.

      Ihre kastanienbraunen Haare fielen ihr auf die Schultern und ergossen sich über ihrem Rücken, ehe die Haarspitzen ihre Taille erreichten. Ihre Hosen und Schuhe waren mit Erde überzogen und über ihre Wange zog sich die Schramme. Ihre Haare wirkten stumpf und glanzlos. Laub hatte sich in den Strähnen verfangen. Vorsichtig löste Sydney sie heraus und betrachtete sie kurz, ehe sie sie mit einer gequälten Grimasse fallenließ.

      Damian bedauerte die Art und Weise, auf die sie von ihrer Bestimmung erfahren musste. Sie focht einen sinnlosen Kampf. Niemals würde er sie wieder gehen lassen. Sie war seine Braut und es war ihre Bestimmung, an seiner Seite ihren Platz einzunehmen.

      Damit beschloss er, nicht länger Zuschauer zu sein. Noch ehe er seine Zunge zügeln konnte, erzählte er ihr von dem See. Kaum waren die Worte gesagt, bedauerte er sie auch schon.

      Hatte er nicht zuvor beschlossen, keine weiteren Verzögerungen zuzulassen? Sicher, er wollte nicht, dass sie aussah wie eine der Hexen im Ort, wenn sie Lan’tash begegnete. Und dennoch bedeutete diese