Ben Brandl

LANGSAM VEREBBT DER APPLAUS


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      Wir schwiegen das letzte Stück des Weges.

      Der Standplatz war leer, trotzdem hatte ich Glück, ein freier Wagen wollte vorbeifahren: „Taxi, Taxi!“

      Unser Abschied wurde kurz und hektisch.

      Reni sagte nur trocken: „Ciao!“

      Ich rief noch im Weglaufen: „Ciao, - ich liebe dich!“

      Renis letztes „Ciao!“ verlor sich hinter der automatisch hochfahrenden Windschutzscheibe.

      So war’s: falsch, verlogen, trocken, höflich, diplomatisch und - beschämend.

      Hat Richard wirklich übersehen, was sicher augenfällig war?

      Die blöde Ausrede mit der Einladung!

      Und Veronika, das vife Persönchen, dieses intelligente Weibchen, hat sie was bemerkt?

      Wahrscheinlich sind alle bereits auf dem See. - Wann sehe ich Reni wieder? Werde ich sie überhaupt wiedersehen?

      So schnell bin ich wieder unten, ein Purzelbaum auf den Hintern und im Kopf tut es weh.

      Der Portier hält mich auf:

      „Fräulein Petra lässt Ihnen ausrichten, dass sie in der Kantine wartet.“

      Seine Stimme verhallt im Eingangsbereich vor der Portierloge und ein Déjà-vu dehnt die Zeit des Augenblicks, bremst die gewohnte Eile: - Warme, muffige Luft aus der Portierloge, der erkaltete Zigarettenrauch im Vorraum ... Die Wolke von Parfüm einer durchschwebenden Kollegin deckt einen Moment alles zu; auch den typischen Theatergeruch, diese Mischung aus Schminke, Staub, Kulisse, Fundus, Kolophonium und ein bisschen Kantine. Der Portier, er könnte derselbe sein. Die schönen Art-Deco-Kacheln sind dieselben und ebenfalls das gekachelte Steinbänkchen, auf dem sie saß ... - Ein bleiches, ebenmäßiges Gesicht, schwarzes Haar, kurzgehalten, fast wie bei einem Herrenschnitt, schwarzes Abendkleid und Abendmantel, schlanke, makellos geformte Beine und schwarze große Augen. Schwarze, samtene Augen unter Seidenwimpern ...

      Dreizehn Jahre haben mich diese Augen festgehalten ab diesem Moment.

      Dann kam die lange Zeit der langsamen Trennung, Zerfleischung der anderen Art, bis zur endgültigen Scheidung unserer Ehe.

      Danach hatte ich nie mehr den Mut, mich richtig zu binden, auch nicht an die schöne Petra, die mich jetzt in der Theaterkantine erwartet.

      Petras Einstellung passt dazu relativ gut, das lässt uns eine lockere, sozusagen tolerante Beziehung pflegen. Sie ist beinahe fünfzehn Jahre jünger als ich, gibt sich total emanzipiert und ihre jugendlich kumpelhafte Art wird mir manchmal fast zuviel.

      Beim Eintreten in die Kantine entdecke ich sofort ihre blonden, langen Haare. Sie sitzt mit mehreren Tänzern am Ecktisch. Kay, unser Ballettdirektor, setzt sich gerade dazu.

      Kurz, fast beiläufig begrüßt sie mich und vertieft sich sofort wieder in ihr Gespräch mit den Tänzern.

      Kay brütet völlig introvertiert vor sich hin, kann sicher nicht abschalten, ist noch mitten drin in seinem neuen Werk - unserem neuen Werk.

      Ein warmes Lächeln erhellt sein Gesicht, als er mich bemerkt. Manchmal, nein vielmehr oft, verstehen wir uns blendend ohne Worte.

      An der Theke hole ich etwas zu trinken, eine Kleinigkeit zu essen und bringe Petra einen weiteren Wein mit. Die Diskussion ist jetzt erregter.

      Garantiert werden Frauenprobleme behandelt wie meist, wenn sich ein paar Tunten mit einer Frau zusammen tun. Giftige Blicke treffen mich. Anscheinend muss es direkt mit mir oder ‚den Männern’ zu tun haben.

      Es hat! „Wo warst du vorgestern? Ich war die ganze Nacht allein in deiner Wohnung! Wo warst du heute Nachmittag? Du bist unfair und unverschämt, mich einfach so warten zu lassen!“

      Mann - sie nimmt einfach die Tunten zu Hilfe, um mir öffentlich, unter beifälligen Blicken, Vorhaltungen zu machen. Kays mitleidiger Blick trifft mich, als er, sich rasch entschuldigend, vom Tisch erhebt, um jemand zu begrüßen. Peinlichkeit breitet sich aus, scheint den Raum zu erfassen, und ich lasse mich ein, auf diese blöde Diskussion mit frustrierten Tunten und einer Scheinemanze, die plötzlich von Eifersucht befallen in der vollbesetzten Theaterkantine Besitzansprüche anmeldet. Links von mir, die füllige Sopranistin, deren Stuhl sich mit letzter Kraft gegen den Zusammenbruch wehrt. Ihr gegenüber unser Startenor, der mit etwas dümmlichem Ausdruck in jedem Satz Stimmübungen unterbringt, und ringsum unsere Chorsolisten, immer mit von der Partie, immer bereit, drum herum zu schwänzeln, um ein bisschen Ruhm abzubekommen, dabei lauern sie darauf, ihre Vorbilder zu beerben, warten auf ihre große Stunde, die Erkrankung, den Unfall, den Ausfall. Wollen einspringen, übernehmen, schon längst studiert, um endlich ihr Können zu zeigen, sind ja viel besser! - ‚Ein neuer Star ist geboren! ...’

      Die Skat spielenden Musiker, die Komparsen, alle scheinen unsere dämliche Diskussion zu verfolgen, alle scheinen zuzuhören! Die ganze Kantine ist ein einziges großes Ohr, durch eine zur Muschel geformte hohle Hand verstärkt und vergrößert. Ich will raus, raus aus dieser Höhle, raus aus der Gehörwindung, bevor die hohle Hand zupackt!

      Wütend schnappe ich Petras Jacke und Petra selbst. - Auf dem schnellsten Weg auf die Straße hinaus. Grob zwänge ich sie in ihre Jacke hinein.

      „Mädchen, so geht es nicht! Nicht vor dem versammelten Haus! Ja, ich war bei einer Frau, ja, die ganze Nacht, ja, ich habe mit ihr geschlafen. Ich gehöre nicht dir, bin nicht dein persönlicher Besitz. Du lebst dein Leben, ich lebe mein Leben. Du hast deine Wohnung und wolltest es so, und ich habe meine Wohnung und bin froh darüber!“

      Die große Emanze bricht heulend zusammen, ihre Sicherheit ist augenblicklich verschwunden.

      Ich kann nun mal Frauen nicht heulen sehen, nicht einmal im Ballettsaal. Was mache ich mit ihr! Gewissensbisse überfallen mich, kläffende Hunde mit scharfen Zähnen beißen sich fest.

      Ich nehme sie in die Arme und wir gehen einige Schritte, bis wir ein Taxi erwischen.

      Als ich ihre Tränen abgewischt, ihr Gesicht abgetrocknet habe, steht der Wagen vor dem Bajass. Genau hier wollte ich nicht landen, muss es aber wohl als Ziel angegeben haben. Zahlen, aussteigen - kurzes Zögern. Schließlich gehen wir hinein, und Dero begrüßt mich mit großem Hallo.

      Immer begrüßt er mich zuerst.

      Zwei Viertel Wein - trinken - schweigen - trinken - schweigen. Große Augen eines waidwunden Tieres schauen mich klagend an.

      Dero, mit der Grazie einer Ballerina und dem Charme eines besoffenen Elefanten, fragt nach Reni.

      Plötzlich ist Leben da, Petra scheint zu explodieren!

      Nichts ‚Blonde Venus, kühl ...’ und so weiter, nein, geballtes Temperament trifft auf mich, das ganze Persönchen bebt - so manche Tänzerin könnte ein Stück davon gebrauchen.

      „Reni? Reni ist es! - Du hast mit ihr geschlafen! Ich hab’s geahnt. Die edle Dame, dieses scheinheilige Weib und du, du Schwein...“ Es prasselt auf mich herab, und ich bin nicht in der Lage, den Strom der Worte zu stoppen, eine Notlüge zu finden, um mich herauszuwinden. Nun ist’s bekannt, ausposaunt, hinausgeschrien, der ganze Laden weiß es und ich kann’s nicht mehr verhindern.

      Als ertappter Sünder stehe ich allein im Regen!

      Sensationslüsterne, anklagende Blicke der ‚Gerechten’ treffen mich wie Laserstrahlen.

      Trotzdem möchte ich Reni entlasten, den Verdacht von ihr ablenken. Ungeübt, nicht trainiert im Lügen, verheddere ich mich und komme mir nur noch schäbig vor.

      O.k., auch wenn sie jetzt die Oberhand hat, versuche ich meine gesamte Autorität aktivierend, beherrscht und ruhig, unsere momentane Beziehung zu definieren.

      „Wir sind nicht miteinander verheiratet, und du selbst bist für diesen Zustand, in getrennten Wohnungen zu leben, um uns beiden den größtmöglichen Freiraum zu lassen. Du sprichst immer