Ben Brandl

LANGSAM VEREBBT DER APPLAUS


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werden, um Gotteswillen, keinen Haushalt führen - überhaupt am liebsten diese Machos und Chauvis in den Wind zu schießen!

      Verzeih mir, wenn ich grob werde. Aber was soll diese Eifersuchtsszene, was sollen diese Besitzansprüche, wir haben beide keine gegenseitigen Versprechungen oder Verträge gemacht. Im Grunde bin ich doch auf deine Vorstellungen eingegangen und ich habe deine Ideen respektiert.

      Wie stehst du jetzt dazu?

      Funktioniert dies alles nur, solange es keine Krise gibt? Oder gelten bestimmte Regeln nur für dich?“

      Schweigen. - Mein ‚Temperamentsbolzen‘ schweigt.

      Die Umgebung ist für mich vergessen, weit weg gerückt. Trotz der Wand des Schweigens scheinen wir uns in einer engen Zelle zu befinden, begrenzt vom Lichtschein der schwankenden Lampe.

      Petra streicht ihre schönen langen Haare in den Nacken. Ihre Wangen bilden kleine Mulden. So aufgerichtet wirkt sie größer und reifer. In diesem Moment erinnert sie mich an meine Frau.

      Mein Gefühl zu Petra ist stark, auch jetzt. Ich konnte oder wollte es jedoch nie Liebe nennen. Dies wiederum hat mit meiner ehemaligen Frau zu tun, Petra weiß es, hat es - glaube ich - akzeptiert. Nun ist die Situation anders, unser tolerantes, freies Verhältnis ist nicht mehr zu halten. Ich verstehe ihre Gefühle, ihre Reaktionen und kann es vor ihr nicht zugeben!

      Ein Teil von mir bewundert diese Frau, die vor mir sitzt, mit allen Mitteln kämpft und letztlich zugibt, gescheitert zu sein.

      Wie war das noch mal mit dem persönlichen Freiraum?

      Auch diese Idealform einer Verbindung schützt nicht vor Problemen.

      Arme Petra.

      Früh gegen vier Uhr landen wir in meiner Wohnung.

      Petra erwies sich als sehr anhänglich, und ich schaffte es nicht, knallhart Schluss zu machen! Der Abend entwickelte sich zu einem schrecklichen Besäufnis, was im Bajass kein Kunststück ist. Mein Kopf brummt, und ich habe Schiss vor morgen.

      Könnte zwar länger schlafen, aber nach so viel Alkohol ohne Training in die Probe? - Nein, er muss raus, der Alkohol! Also wenigstens ein paar Stunden Schlaf, dann Training, wie in jungen Jahren, nach durchsoffenen Nächten. Damals war ich stolz darauf, ohne Schlaf und trotz Alkohol gut zu sein.

      Petra hat endlich schlapp gemacht, komplett angezogen liegt sie auf dem Bett. Erleichtert entkleide ich sie, das heißt, ich versuche es, doch dies erweist sich als äußerst schwierig.

      Ein Gummikörper, der Schwerkraft gehorchend, in höchst komplizierten Kleidungsstücken - und der vielgerühmte Bühnenpartner großer Tänzerinnen, jetzt Clown mit lebensgroßer Gliederpuppe.

      Im verwüsteten Schlafzimmer liegt sie am Schluss, mit einem kleinen frechen Slip bekleidet, auf meinem Bett.

      ‚Schade’, denke ich mit besoffenem Kopf.

      ‚Wecker an - Licht aus - schlafen!’

      Den Tag habe ich verhältnismäßig gut überstanden.

      Vor dem Training musste ich mich übergeben und war vom Gedanken, sterben zu wollen, nicht weit entfernt.

      Schmiedehämmer im Schädel, auch im Training penetrante Übelkeit und noch mehr Schweiß als sonst, dabei wunderte ich mich wiederholt, wie meine Muskeln trotzdem so gut funktionieren konnten. Nachher ging es besser.

      Die anschließende Probe war sehr anstrengend, doch Kay kam gut vorwärts. Nach der Probe sofort nach Hause. - Schonkost, Kateressen! Petra hatte das Feld nicht geräumt, aber (oh Wunder) aufgeräumt. Zusammengerollt wie eine Katze lag sie auf meiner Couch. Ein freier Samstag für sie, für mich ein Arbeitstag.

      Sie beobachtete mich - meist schweigend. - Waffenstillstand!

      Am Abend, um den Körper aufzuwärmen, ein kurzes Training, das halbstündige Exercice an der Stange des Ballettsaals, dann Vorbereitung zum Ballett Schwanensee.

      Nun blickt mich aus dem Spiegel ein halbgeschminktes Gesicht an; ein Auge ist fast fertig, das andere farblos.

      Meine Art mich zu schminken ist heute höchst seltsam. Sonst entsteht mein Bühnengesicht gleichmäßiger, jede Einzelheit führe ich auf beiden Seiten aus, erst links, dann rechts.

      Heute geht es natürlich schief. Schief buchstäblich! Dieses Gesicht ist schief, passend zu meiner Situation. Schräg, ein schräger Typ, wie im richtigen Leben - selbst Prinzen sind oft schräge Hunde ... Wütend zerstöre ich mein Werk und beginne von neuem; die Zeit wird knapp!

      Erstes Klingeln! - Jetzt, schon? Schnell das Kostüm. Mein Garderobier Willi hilft.

      Zweites Klingeln. - Die letzten Griffe, ein prüfender Blick in den Spiegel. Sitzt alles?

      Drittes Klingeln.

      Mit edlem Gesicht rennt ein edler Prinz Siegfried auf die Bühne, viel zu spät, um sich einzutanzen und die Muskeln aufzuwärmen. Nervös erwartet mich meine Partnerin, Odette, die zum Schwan verzauberte Maria.

      „Wo warst du?“

      Die Frage wiederholt sich. Erst Petra, jetzt Maria!

      Bevor ich antworten kann, erklärt mir Maria rasch:

      „Unser Ritter Rotbart ist ausgefallen! Ich weiß nicht warum - keiner hat ihn mitstudiert, ich glaube Kay wird selbst einspringen müssen!“

      Ein aufgeregtes Völkchen auf der Bühne, der Vorhang ist noch geschlossen, Kay nicht zu sehen - keiner weiß mehr.

      Eine Routinevorstellung mit voraussehbaren Hindernissen liegt vor uns.

      Es erklingt die Ouvertüre zu Schwanensee.

      Die romantische Stimmung der Musik Peter Tschaikowskys will sich uns heute nicht mitteilen, Hektik bleibt.

      Maria verschwindet.

      Der erste Akt beginnt.

      Ein Fest zum Anlass der Majorennität des Prinzen Siegfried.

      Ich habe in der Rolle des Siegfrieds deshalb mehr oder weniger fast ausschließlich durch meine edle Anwesenheit zu glänzen. Die Königin, meine Mutter, wird von einer sehr spielbegabten Tänzerin dargestellt. Sie ist lustigerweise ein paar Jährchen jünger als ich, Berlinerin, und kann sehr komisch sein. Jetzt schreitet sie, ganz Grande Dame, auf mich zu, und während sie mir, wie einstudiert, mit pantomimischen Gesten erklärt, dass ich, ihr lieber Sohn, mir eine Braut zu erwählen hätte, und der Ernst des Lebens nun beginnen würde, zischt sie mir durch die Zähne zu:

      „Det kann ja heiter werden! Kay hat keene Ahnung ... Ick freu mir jetzt schon uf seen Rotbart ... Ick bin ja jespannt wie er det schafft ...“

      ‚Mal sehen’, denke ich. Am schwierigsten wird es für Maria werden, denn sie tanzt den Weißen - und den Schwarzen Schwan, also eine Doppelrolle, die in gleicher Weise technisch sehr anspruchsvoll ist, und sie hat in beiden Rollen mit dem Zauberer Rotbart zu tun.

      Mann! Auch das noch! - Fast hätte ich die Schwäne verpasst!

      Das musikalische Thema erinnert mich im letzten Moment, und begeistert schaue ich mehreren, von unserem Bühnenbildner sehr geschickt stilisierten, fliegenden Schwan-Attrappen nach.

      Ich habe mich gefangen und das Ballett kann weitergehen, denn im zweiten Akt gehe ich noch in derselben Nacht mit Freunden auf die Jagd am See.

      Während unserer kurzen Pause bestätigt sich das Gerücht. Kay springt tatsächlich ein, sitzt sicher gestresst in der Maske - und unaufhaltsam rennt die Zeit.

      Zweiter Akt: In der hellen Mondnacht trenne ich mich von den Freunden, um allein die romantische Stimmung am See zu genießen. Überraschend erscheint Odette, die Schwanenkönigin, mit ihrer gesamten Schar. Alle haben sich verwandelt. Der Zauberer Rotbart hat ihnen erlaubt, für einige Stunden menschliche Gestalt anzunehmen. Odette, die verzauberte Prinzessin, erzählt mir ihre Geschichte und hofft, von mir - wenn ich sie, nur sie und keine andere liebe - erlöst zu werden.