Ben Brandl

LANGSAM VEREBBT DER APPLAUS


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Licht fällt mir schlagartig der Abend ein.

      Renis wohlgeformter Hintern ist neben mir, ihr wundervoll, weicher Rücken und die gelösten, dunkelbraunen Haare.

      Zärtlichkeit überfällt mich, springt mich an - lässt mir mein schlechtes Gewissen bewusst werden.

      Mitten im Exercice, dieser äußerst konzentrierten Arbeit an und mit dem Körper, denke ich wieder an die Nacht. Sie beschäftigt mich dermaßen, dass ich kaum in der Lage bin, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Ich arbeite miserabel und korrigiere prompt die Schulter zu wenig. Schmerzhaft macht sie sich bemerkbar.

      Obwohl es mir im Laufe des eineinhalbstündigen Trainings wieder gelingt, mich zu konzentrieren, sauber mein Exercice und die folgenden Variationen zu Ende zu bringen, bin ich nach der ‚Stunde’ äußerst gereizt. Die anschließenden Proben werden leider auch nicht besser.

      Gegen ein Uhr, nach dreistündiger harter Arbeit, stehe ich erschöpft, gänzlich unzufrieden unter der heißen Dusche.

      Tropfen prasseln auf meinen Körper und lullen meine Schulter ein.

      Wahrscheinlich mache ich mich komplett verrückt mit dieser Schulter, den Folgen einer Verletzung, die mir von der Premiere eines modernen Ballettabends vor einigen Jahren geblieben sind. Ich hatte vermutlich das Schlüsselbein angebrochen, tanzte aber den Abend zu Ende. Die nächsten Tage ging ich nicht zum Arzt, sondern überstand die folgenden Wochen mit Schmerztabletten und tanzte die von mir so heißgeliebten Vorstellungen weiter. Kein Wunder, dass Ärzte häufig staunen über Tänzer, die sich in eigener Verantwortung mit Verletzungen oder mit Krankheiten auf die Bühne stellen, mit denen andere Menschen, selbst wenn sie nicht in dem Maße von ihrem Körper abhängig sind, unfähig werden, ihren Beruf auszuüben.

      Trotzdem war meine Reaktion, die Verletzung sogar vor meinen Kollegen zu verheimlichen, natürlich leichtsinnig und dumm. Aber der Tanz, gerade diese Rolle, war mir zu wichtig.

      Zurzeit leide ich wieder, wie schon so oft. Der Leichtsinn rächt sich!

      Ich muss wohl über eine halbe Stunde unter der Dusche gestanden sein.

      Das eiskalte Wasser am Schluss erfrischt mich. Als ich mich gründlich abfrottiere und gleichzeitig die Muskeln etwas massiere, fühle ich mich besser. Die Schulter schmerzt weniger und ich spüre meinen Körper auf eine sehr angenehme Weise.

      Ich denke an Reni, gehe durch den Park, der an das Gelände der Oper anschließt und denke an die Nacht, an ihren weichen, vollen Körper, an ihre so wunderbare, feminine, intelligente Art zu reden und zu verstehen.

      Jetzt ist es anders als am Morgen. Schuldgefühle und das schlechte Gewissen sind wie weggeblasen, weggespült, Tropfen um Tropfen trommelte das Wasser alles aus mir heraus. Den Abschied heute früh hatte ich eigenartig deprimierend empfunden. Wir waren so unsicher, auch Reni, die sonst so sichere, und wussten nicht, ob und wie wir uns wiedersehen würden. Die Worte waren dumm, leer und schal; keiner wagte die Mauer zu durchbrechen.

      Kurz entschlossen lenke ich meine Schritte zur nächsten Telefonzelle. Beim Wählen überfällt mich Lampenfieber, ähnlich wie vor einer Premiere.

      Unbeholfen stotternd grüße ich, als sie sich routinemäßig meldet. Ihre Stimme wandelt sich, sofort ist wieder diese starke Beziehung da und in mir das Bedürfnis, durch das Telefon zu kriechen. Ihre Stimme ist wie ein weiter, warmer Mantel, der mich umhüllt und unsere Worte werden nicht mehr vom Intellekt bestimmt.

      Beim Verlassen der Zelle wird mir erst bewusst, anstatt für mich zu arbeiten, werde ich in einer Stunde bei ihr sein.

      Dabei wollte ich doch einige schwierige Passagen meines Parts, nicht zuletzt der Schulter wegen, alleine probieren, um dadurch unabhängiger vom Körper und intensiver in meiner Aussage werden zu können.

      Gewissensbisse verwischen sich, ein Schwamm voll Gefühl streicht darüber.

      Jetzt, mitten in der Vorstellung am Abend, rächt sich der Nachmittag. Dabei fühle ich mich körperlich fit, sozusagen in Hochform.

      Keuchend und klatschnass - verdammte Schwitzerei - beobachte ich meine Partnerin Maria.

      Sie tanzt perfekt und voller Seele.

      Gut - sehr gut. Aber ich? Nicht gut! Gedanken rasen durch meinen Kopf - Reni auch - auch der Nachmittag - auch das eben von mir Getanzte; - schlecht, weil technisch perfekt, weil nur Technik. - ‚Der Techniker!’ - Konstrukteur hätte ich bleiben sollen, Ingenieur werden sollen, auf dem Weg zum Bürger, anständig, solide, gesicherte Existenz, - auf der anderen Seite des Orchestergrabens, jetzt Zuschauer, zufrieden - oder unzufrieden, vielleicht - sauer auf den da - den ‚Techniker’, der auf der Bühne jetzt perfekter Partner ist. Eins - zwei - drei - vier, ‚Glissat’ und ‚Lift’, wie im Schlaf, im Traum. Recht hat er, der im Publikum; - ist sauer - ist im Recht!

      Er erwartet, er hat bezahlt, und da tanzt einer technisch perfekt, ergötzt sich selbst an seiner Technik. Bestimmt! Aber der Tanzende zeigt kein Gefühl, keinen Ausdruck, er hat keine Persönlichkeit - nichts kommt rüber!

      „Scheiße!“, zischt mir ungewollt durch die Zähne, „Ich bin zu unkonzentriert.“

      Mein Körper funktioniert automatisch. Sozusagen im Schlaf drehe ich, springe ich - ‚Double tour en l’air’ aufs Knie - Schluss!

      Geschafft! - He, bin ich überhaupt gesprungen? Oder habe ich markiert und bin, wie in der Probe, ohne Sprung direkt aufs Knie gegangen?

      ... Endlose Pause. - Kein Beifall?

      Jetzt - doch!

      Wie durch Nebel dringt aus dem dunklen Raum der Zuschauer das Klatschen.

      Der Beifall!

      Gott sei Dank doch!

      Ich atme - endlich atme ich wieder. Während ich mich strahlend verbeuge, würdevoll, der edle Prinz, schießt mir durch den Kopf: ‚Ein Tänzer denkt nicht - beim Tanzen. Wenn er denkt, beim Tanzen, ist er schlecht oder alt - vielleicht schon zu alt, um zu tanzen!’

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      1 Wer ist Petra

      „Wer ist Petra?“ Laura saß neben Michael an der Bar, während Jo sich um ihre Gäste kümmerte. Herausfordernd sah sie ihn an. Verwirrt reagierte Michael zunächst nicht, bis sie wiederholte:

      „Wer ist Petra?“

      Laura hatte ihren frechen Tag, halb gefallener Unschuldsengel, halb frühreife Lolita, räkelte sie sich neben Michael zurecht und feixte ihn an. Sie spielte mit ihrer sinnlichen Ausstrahlung und ihrer Wirkung auf die Männer und ihr Ego fühlte sich geschmeichelt durch Michaels Aufmerksamkeit.

      „Wen meinst du, wie kommst du auf diesen Namen?“

      „Neulich, als wir zusammen geschlafen haben, bei Jo - da hast du den Namen einige Male deutlich ausgesprochen.“

      „Wann?“

      „Weißte das nicht mehr? Nachdem ich dich vernascht hatte!“

      „Ach so, - war übrigens sehr schön, aber abgesehen davon, hast du dich sicher getäuscht.“

      Ein winziger Minirock bedeckte eben noch den Hintern Lauras, und ihre wohlgeformten Beine waren aufreizend übereinander geschlagen.

      „Ich erinnere mich genau, auch daran! S’war echt geil mit dir, können wir gern bei Gelegenheit ...“

      Sie unterbrach sich kurz, als Jo in ihre Nähe kam, um dann leise weiter zu sprechen „Du hast einen herrlich harten Schwanz, genau meine Kragenweite!“

      „Also, wer ist Petra?“, fing sie noch einmal lauter an.

      Irritiert durch die frivol-ordinäre Art Lauras war Michael sich überhaupt nicht bewusst, irgendwann über Petra gesprochen zu haben. Aber er wurde sich schnell darüber klar, dass er sicher das offensichtliche Angebot dieses aufreizenden Früchtchens annehmen würde, obwohl Laura weiter zäh in seinen Erinnerungen herumkramte.