Ben Brandl

LANGSAM VEREBBT DER APPLAUS


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versuchte Michael wieder abzulenken, er wollte nicht über Petra reden, nicht hier, nicht mit dem Mädchen.

      „Mich interessiert so langsam alles, was dich betrifft! Du machst mich heiß, - du, du machst mich neugierig! Irgendwas stimmt bei dir nicht. Irgendetwas ist bei dir anders als bei anderen Männern. Am Anfang dachte ich, du bist schwul, dabei ist es das nich’!“

      Michaels Schweigen schien sie zu bestärken.

      „Du bist kein Heimlicher, du passt auch nicht hier rein. Weißte was, ich glaub, du machst auch keine Geschäfte und so, bist zu anständig. Du gehörst eher zu den Feineren, jawohl! Ich glaub du bist ein feiner Pinkel. Aber das ist es auch nicht. Irgendwas stimmt nicht bei dir - ich komm schon noch dahinter!“

      Michael war heute ausgesprochen schlecht drauf. Er hatte den ganzen Nachmittag geschrieben, dabei nur wenige Zeilen zustande gebracht und der leichte Kick vom Alkohol, auf den er wartete, war noch nicht eingetreten.

      „Auch eine Barfrau hat das Recht auf ‘ne Pause!“ kam Jo mit ihrem vollen Glas in die Ecke zu Laura und Michael.

      Hinter der Bar setzte sie sich, um sich eine Zigarette anzustecken, was sie sehr selten tat.

      „Hast du Ärger?“ Michael schenkte sich nach und trank.

      „Nein! Schwierige Gäste, wollen dauernd unterhalten sein. Anstrengend, das kann ich euch sagen, anstrengend!“

      Lautes Lachen und Rufen mit der Bitte um Nachschub beendete ihre kurze Pause, die glimmende Zigarette blieb im Aschenbecher zurück und verwandelte sich qualmend allmählich in eine graue Aschenraupe.

      ‚Get a taste of it! Oder, nehmen sie ihre Gesundheit selbst in die Hand!’ dachte Michael und beobachtete die graublauen, sich schlängelnden Linien des aufsteigenden Rauchs.

      „Bin ich froh, dass sonst nicht viel los ist, hab keinen Bock heute! Hoffentlich kommt keiner!“ Laura feixte bereits wieder, „Ich schenk dir was, wenn du mir was schenkst! Sag mir wer Petra ist und ich schlaf mit dir!“

      Naiv und beharrlich bohrte sie weiter.

      „Lass mich in Ruhe mit Petra! Es würde dir nichts nützen. Petra war eine Frau, mit der ich ein paar Jahre zusammen gelebt habe. Reicht dir das?“

      Es reichte Laura keineswegs, immer mehr bohrte sie und machte Michael mürbe, bis er seinen Widerstand aufgab und fast von allein erzählte.

      Nachmittags beim Schreiben hatte er sich denkbar schwer getan. In den letzten Tagen schaffte er einige Seiten, aber es fehlte ihm der Einstieg in eine vernünftige, fesselnde und interessante Handlung.

      Jetzt erzählte er frei, hatte keinerlei Schwierigkeiten zu formulieren und mit einem Mal überkam ihn die Gewissheit, schreiben zu können, ja schreiben zu müssen. Selbsttherapie, das Verdrängte verarbeiten, zunächst völlig unabhängig davon, ob es später jemand lesen würde.

      Er erzählte von Petra, der Frau die er wirklich geliebt hatte, wobei er seinen Beruf immer noch verschwieg, als ob er sich dafür schämen müsste. Auch von Reni, seinem Verhältnis, erzählte er, diesem dummen unnötigen Verhältnis, das zu Missverständnissen, Lügen und Schlimmerem führte, bis Petra ihn endgültig verließ. Und wieder erfüllte ihn Schmerz und Heimweh. Die Trennung von Petra hatte Michael nie ganz überwinden können.

      Doch mehr und mehr wurde Michael während seiner Erzählung bewusst, wie sehr gerade das, was er verschwieg - seine Karriere als Tänzer, als Choreograph, als Direktor eines Balletts - ihn aufgefressen hatte; wie wenig Raum für ein glückliches Privatleben ihm tatsächlich geblieben war.

      Das Früchtchen Laura blieb ungeheuer neugierig und ihre Fragen verlangten intime Details, jedoch das Leben, welches aus Michaels Erzählungen sprach, war ihr fremd.

      Jo hatte mehrmals Gelegenheit mitzuhören, doch sie wollte nicht zu viel wissen. Eine Mischung aus Angst und Erfahrung hielt Jo zurück, Fragen zu stellen. Nicht zu viel wissen, nicht zu viel graben, das Glück im Moment war ihr wichtiger, sie wusste, wie schnell sich alles ändern konnte, fürchtete sich davor und ahnte nicht, wie schnell sich alles ändern würde.

      1 Die Zeit der Tänzer

       I/2

      An dem Morgen, der meinem nachmittäglichen Ausrutscher mit Reni folgt, bin ich unkonzentriert. Bei den Proben für den neuen Ballettabend arbeite ich unaufmerksam.

      Irgendwie bin ich erstaunlich erotisiert. Plötzlich sind Frauen im Ballettsaal um mich. Wo sonst Kolleginnen waren, sind jetzt Frauen, Mädchen, knackige Hintern, flache, kleine, aber edle Busen, leichte Hügel, die in schöne Armbeugen übergehen.

      Schwanenhälse. Weiße, weiche, feuchte Haut. Vom Tanz sanft gerötete Gesichter. - Und erregte Knospen zieren Brüste an edlen Körpern ...

      Selbst die ästhetischen Unebenheiten, sonst eher abstoßend, ziehen mich heute magisch an, manchmal sichtbar werdende Haare, die kleinen Fettpölsterchen, eingeschnürt. - Und sogar Ulla, der immer zu fette Trampel, strahlt vor sinnlicher Körperlichkeit.

      Nach der Probe ermüdende Kostümproben. Stundenlanges Gezuppel. Sollten Anziehpuppen verwenden und erst kommen, wenn alles fertig ist, perfekt passend!

      Dann zum Ballettdirektor. Anschiss gefällig. Dabei wollte ich ihm endlich meine Idee für ein neues Ballett vortragen.

      Es wird tatsächlich ein Anschiss. - Er hat ja recht - leider!

      „... Arbeit unkonzentriert, im Ballettsaal unkonzentriert, faul.“ (schone mich zuviel?) „Auf der Bühne katastrophal ...“ das Ganze vorgetragen von einer keifenden englischen Tunte, die jedoch ein genialer Choreograph ist, und: Vor allem Recht hat!

      Mann, warum bin ich noch Tänzer, warum bin ich überhaupt Tänzer geworden?

      Gegen alle Warnungen, gegen den Willen meines Vaters. Von ihm rausgeschmissen, Studium selbst finanziert, Nachtarbeit, ‚drücken’ von Zeitschriftenabonnements, Bücherring und Lexikas.

      Training, immer wieder Training und immer der Hunger als Begleiter.

      Jahre, bis ich es schaffte, draußen zu stehen und auf diesen Brettern auch gut zu sein. - Und jetzt? -

      Ich fliehe zu Reni, fühle mich schwach, angefressen. Die Midlife-Crisis hat mich wohl endgültig eingeholt.

      Ein eleganter Vorort, Villen, parkähnliche Gärten, in einigen Minuten werde ich da sein. Das Taxi fährt langsam, der Fahrer sucht die Hausnummer. Es ist mir jetzt recht. Ich schweige und dehne die Zeit.

      Reni erwartet mich. Ich gebe mich reserviert, weiß nicht warum und bin sauer auf mich. Sie ist charmant wie immer, aber etwas distanziert.

      Inmitten knisternder Spannung schweigen wir uns an - zwei ertappte Sünder. Können wir zurück, vergessen was war, es ungeschehen machen? Es walte die große Toleranz!

      Reni hat Familie. Ich bin zwar geschieden, lebe jedoch seit einiger Zeit mit einer Freundin zusammen - sehe sie aber selten. Vermutlich ist sie in diesem Augenblick in meiner Wohnung und wartet - wahrscheinlich wartet sie!

      Die Clichés für einen Liebesroman oder ein Boulevardstück, ‚gleich kommt der Mann nach Hause’, und in diesen eleganten Wohnraum gerannt, wo wir beide immer noch schweigend, ratlos voreinander stehen.

      Reni bricht das Schweigen:

      „Mein Mann kommt jeden Moment, er bringt Veronika mit! Kurz bevor du kamst, rief er an! Richard hat Veronika einfach früher aus dem Internat geholt, wollte mich damit überraschen und dann mit Tochter und Gattin zu unserer Yacht am See fahren. - Einer dieser typischen Kurzentschlüsse, den er, wie so oft, diktatorisch durchsetzen wird.“

      Renis Stimme war härter geworden, doch der Bann ist nun gebrochen: Sie fällt mir um den Hals.

      Mein Gott, ich liebe sie!

      Nachmittags habe ich Probe!

      In wahnsinniger Eile schaffe ich es, pünktlich zu sein. Dadurch angewärmt,