Ben Brandl

LANGSAM VEREBBT DER APPLAUS


Скачать книгу

konzentriert gehe ich auf meinen Chef ein, sichtlich zu seiner Freude. Soll er doch denken, sein Anschiss hätte gewirkt! Er hat sehr gute choreographische Einfälle und die Variation vom Vormittag wird super. Bewegungsmöglichkeiten in Verbindung mit der Musik, wie nur er sie finden kann.

      Ich arbeite hart, tanze aus und bekomme - oh Wunder - prompt den Beifall des gesamten Ensembles.

      Wau! Das passiert selten.

      Etwas beschämt schaue ich verstohlen zu meiner jugendlichen Konkurrenz. Auch Benno scheint begeistert. Das streichelt die Seele.

      Kays Reaktion kenne ich seit langem, er vertieft sich noch mehr in die Arbeit, kehrt das Innenleben der Figur, die ich zu tanzen habe, gleichsam nach außen. Er zwingt mich zu fühlen, zu spielen, der Rolle Charakter zu geben, Leben einzuhauchen über den Tanz hinaus!

      Manchmal werde ich sauer und etwas überheblich, wenn er so arbeitet; schließlich bin ich ja ...

      Aber heute funktioniert es. Dafür liebe ich diese Tunte. Das sind die Momente, in denen Großes geboren wird. ‚Toi toi toi’, klopfe ich mit schweißtriefenden Fingerknöcheln an die Ballettstange.

      Vor meiner Garderobe erwischen mich zwei Ballettratten, Elevinnen, die mich bewundern. Die Vorstellung haben sie gesehen (ausgerechnet!) und die Probe heute (schon besser) und überhaupt ...

      Hübsch sind beide, mit ihren nahezu jungenhaften Körpern, einem Anflug von Weiblichkeit, ihrem straff gekämmten Haar und dem typischen Knödel der Tänzerinnen, die damit ihr Haar im Nacken zusammen halten. Diese gertenschlanken Hüften ... „Hm ... Hm“ ...

      ‚Eigentlich könnte ich ihr Vater sein’ denke ich, endlich unter der obligaten Dusche, ‚... vielleicht Gott sei Dank?’

      Ich fühle mich rundum gut nach dieser Probe, sogar meine Schulter habe ich restlos vergessen.

      Es gibt nichts besseres, als die Dusche nach einer gelungenen Probe, oder nach einer Vorstellung. Mit dem schweißnassen, ausgearbeiteten Körper, erst ausgiebig heiß, dann kalt duschen. Köstliches, klares Wasser, - nicht nur gut für die äußerliche Reinigung, viel mehr Teil von uns, lässt uns leben. Fließend erfrischt es, stillt unseren Durst, erhält unser Leben - Lebensquell.

      Mit Reni hatte ich Gespräche über Umwelt, über Probleme unserer Gesellschaft. Mit ihr kann ich darüber reden, diskutieren, mit Tänzerkollegen - nein.

      Eigenartig, dumm sind sie nicht, obwohl man es manchmal meinen könnte. Eher zu sehr mit ihrer Arbeit, ihrer Wirkung, dem Tanz und seiner Ästhetik beschäftigt. Wohl manchmal auch zu sehr in sich selbst verliebt.

      Reni - hat ein anderes Niveau! Eine andere Klasse!

      Ja, eben - und nun?

      Der von mir verdrängte Nachmittag ist da, er drängt sich zurück in mein Bewusstsein. Ärgerlich drehe ich das kalte Wasser auf, lasse es rennen, bis mir die Kälte weh tut, dann frottiere mich wütend ab.

      Kurz danach sitze ich vor dem Schminkspiegel und schaue mich an ...

      ‚Scheißkerl!’

      Unser Dialog an diesem vergangenen Nachmittag gestaltete sich äußerst frustrierend. Wir befanden uns noch immer im Wohnzimmer, Reni hatte sich aus unserer innigen Umarmung schnell gelöst, als ihre Ankündigung, „Mein Mann kommt jeden Moment ...“, prompt wahr wurde.

      „Entschuldige, sind meine Haare zerzaust? Ich glaube, ich habe den Wagen gehört!“

      Ich stand wie angewurzelt.

      „Nein, aber deine Lippen ...“

      „O Gott, ich muss mich kurz frisch machen!“

      Mit sicheren Bewegungen beseitigte Reni verräterische Spuren. Leider verunsicherte mich das noch mehr als ich es ohnehin schon war.

      „Und was machen wir?“

      Kühl entgegnete Reni: „Wir - wie meinst du?“

      Im selben Moment als ich es aussprach erschien mir mein: „Ich liebe dich!“ bereits abgedroschen und wenig überzeugend.

      „Nicht jetzt!“

      „Ich kann nicht lügen!“

      „Du wirst.“

      Mein klägliches „Er wird es merken.“ empfand ich selbst fast lächerlich und ließ Reni wütend ein „Hör auf!“ retour zischen, bevor sie wie selbstverständlich und gefasst auf ihren Mann zuging.

      „Hallo Richard!“

      Dynamisch, mit federnden Schritten stürmte währenddessen Richard in die Halle:

      „Hallo, der große Künstler! Wie geht es Ihnen? Haben Sie Lust, mit uns zum Segeln zu kommen?“

      Er schien keineswegs überrascht, dass ich da war und begrüßte mich sofort freundlich.

      „Danke, gut - tut mir leid, ich kann nicht“, stammelte ich, „muss zur Probe, der neue Ballettabend, aber ich freue mich ...“ und war etwas erleichtert, als Renis Tochter Veronika auf mich zulief. „Hallo Michael, du untreue Tomate, wo warst du denn so lange? Bitte, komm mit uns zum Segeln, dann haben wir es lustig! Bitte, bitte!“

      „Hallo mein kleines Fräulein“, hob ich sie kurz hoch „ich kann leider wirklich nicht mitkommen!“

      „Warum bist du dann hier? Ich dachte, du kommst mit!“

      „Richard, Michael hat uns extra persönlich zu seiner Premiere eingeladen.“

      Dankbar nahm ich Renis Lüge auf. Warum auch nicht, es war ohnehin alles Lüge.

      „Ja, ich war gerade in der Nähe und dachte ...“

      Veronika ließ sich nicht so schnell abschütteln: „Michael! Bitte, bitte komm doch mit!“

      Souverän schien Reni die Szene zu beherrschen.

      „Das neue Ballett wird sicher phantastisch! Michael tanzt die Hauptrolle, er erzählt geradezu faszinierend!“

      Sie führte ohne weiteres wieder Konversation.

      „Veronika, ich muss leider wirklich zur Probe. Richard, entschuldigen Sie bitte, ich hoffe sehr, Sie vor der Premiere noch zu sehen!“

      Mein Frosch im Hals schien mir unüberhörbar. Doch Richard war in Gedanken anscheinend längst auf dem See.

      „Mein Lieber - ich glaube das lässt sich schwerlich machen, deshalb jetzt schon toi toi toi, wir sehen uns dann in jedem Fall nach der Vorstellung.“

      „Richard, kann ich kurz deinen Wagen benützen, um Michael zum Taxi zu bringen?“

      „Na gut, - auf einmal mehr kommt’s ja nicht an - aber pass auf!“ Unwillig, beinahe unfreundlich reagierte Richard auf Renis Frage.

      „Ich gehe unter die Dusche, Veronika packt inzwischen das Segelzeug. - Bis gleich! - Auf Wiedersehen, Michael, und nochmals toi toi toi!“

      „Adieu Richard, Tschüs Veronika!“

      Erleichtert hob ich die hübsche kleine Veronika abermals hoch und wirbelte sie herum.

      „Tschüs Michi, bis bald!“ zwinkerte sie mir zu.

      Dann, endlich, waren wir draußen, allein vor dem Haus!

      Beim Wagen angelangt brachte ich nur hölzern heraus: „Danke, dass du mich fährst.“

      „Steig ein. Richard reagiert immer so sauer, wenn ich mit seinem Wagen fahre.“

      „Er wird noch mehr sauer sein, wenn er erst sicher ist, dass ich mit seiner Frau ...“

      Reni unterbrach mich schroff: „Es geht ihn nichts an!“

      „Glaubst du, er hat etwas bemerkt?“

      „Das ist meine Sache!“

      Aggressiv gab sie Gas und schlitterte mit kreischenden Reifen um die Kurve.

      „Ja