Ben Knüller

Absurd


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und berührte damit fast

      den Boden. Für einen kurzen Moment dachte er, das Tier sei mitsamt seiner Beute verschwunden, als das Schnüffeln und Wühlen wieder lauter wurde. Nun hielt er das Gewehr auf Augenhöhe.

      „Du blödes Mistvieh“, flüsterte Thomas. „Ich werde dir den Kopf weg pusten!“

      Das Müllbehältnis am anderen Ende des Hauses lag auf der Seite. Zunächst schien das alles zu sein, bis dahinter ein in die Höhe gereckter Schwanz erschien. Er wedelte gemütlich von links nach rechts. Natürlich, dachte Thomas. Mach es dir ruhig bequem. Aber bleib still dabei.

      „Hilfe!“, schrie jemand. „Hilfe, so helft mir doch! Lautental ist tot!“

      Die Stimme war schwach, konnte fast nur seinen Gedanken entsprungen sein. Thomas drehte sich langsam um und sah einen kleinen, gekrümmten Schatten im Nebel verschwinden. Wenige Sekunden später eilte seine Frau um die Hausecke, den Morgenmantel fest zugezogen, die Haare in alle Richtungen verstreut. „Thomas!“, sagte sie. „Der Tölpel Fritz ist an unserem Haus vorbeigelaufen und hat irgendwas gerufen! Komm bitte wieder rein, mir ist nicht wohl bei der Sache!“

      Thomas wollte keine Angst zeigen – immerhin handelte es sich um seine Frau -, das Zittern seiner Stimme konnte er aber nicht ganz unterdrücken. „Geh wieder hoch, Luise. Ich werde diesem Vieh noch eine Ladung Schrot verpassen. Das hat es verdient!“

      Sie blieb stehen und berührte seine Schulter. Beide betrachteten die Mülltonne und den ungebeten Gast, als der Schwanz nach vorne schnellte und seinen ganzen Körper mitbrachte. Isabells Augen waren funkelnd gelb, ihr Haar wild und durcheinander. Der süße Rock, in dem sie am vorgestrigen Tage zu ihrer Spendensammlung aufgebrochen war, hing zerrissen an ihrem Körper. Was es mit dem Blut auf sich hatte, dass ihr an der teils freien Brust klebte, konnte Isabells Vater im Nachhinein nicht sagen. Vielleicht hatte sie sich irgendwo geschnitten. Vielleicht war es auch das Blut eines anderen Menschen. Eigentlich war das Thomas in dem Moment auch relativ egal. Rein instinktiv drückte er auf den Abzug. Luise Fuhrmann fiel in Ohnmacht, und Isabell jaulte auf wie ein wildes Tier.

      Die magische Mikrowelle

      „Das ist eine magische Mikrowelle!“, sagte der Mann mit dem Schnurrbart.

      Er stand wie ein Gummischlauch hinter seinen Waren, ein Kerl von fast zwei Metern Höhe und dem Umfang eines Bleistifts. Sein Schnurrbart – ein fernöstliches Ding – bewegte sich bei jedem Ruck geleeartig von rechts nach links. Der Verkäufer glich in seinem Gesamtpaket einem Spielzeug aus der Wundertüte.

      „Was meinen Sie?“, fragte Roy Kokett irritiert. Er war rein zufällig an diesem kleinen Marktplatz vorbeigekommen, eigentlich auf der Suche nach einem kühlen Feierabendbier. Der Drang nach einer Abkürzung führte ihn dann schlussendlich in dieses Labyrinth aus teilweise nützlichen, teilweise absurden Dingen. Hier bot jemand billige Lebensmittel an, da versuchte jemand, seine „Kunst“ an den Mann zu bringen, und am Ende hörte man doch immer Jemanden laut „Wurst, frische Wurst!“ schreien. Bisher war Roy unbeachtet an diesen Ständen und den Unmengen an Besuchern (und Schaulustigen) vorbeigekommen, bis der Gelee-Mann ihn angesprochen hatte.

      „Diese magische Mikrowelle wird Ihr Leben verändern, Mister!“, sagte der Mann und ließ seine Augenbrauen spielen. „Das können Sie mir ruhigen Gewissens glauben!“

      „Magisch, wie?“ Roy war nicht sonderlich interessiert. Zudem war besagte Mikrowelle, auf die der Verkäufer mit einem schmutzigen Finger deutete, ein schlechter Witz. Vom Aussehen her schien schon Hitler mit ihr ein paar Eier aufgewärmt zu haben; die Knöpfe waren tief eingedrückt, die Scheibe hatte einen breiten Sprung. Ehemals schien das Ding glänzend schwarz zu sein, doch Staub und Witterung führten zu einer drögen Graufärbung. Die Farbe unschlüssiger Wolken an einem Wintermorgen.

      „Sicherlich glauben Sie mir nicht“, fuhr der Verkäufer fort, „aber ich biete Ihnen diese Mikrowelle für den Bruchteil eines fairen Preises an, und was haben Sie schon zu verlieren?“

      „Meinen Humor sicherlich nicht“, sagte Roy, worauf der Verkäufer den Kopf in den Nacken warf und schallend lachte. An sich war das eine ganz nette Geste, aber das Lachen klang viel zu routiniert, um echt zu sein.

      „Ihre Art gefällt mir!“, sagte der Verkäufer anerkennend. „Leute wie Sie sind selten. Sonst läuft man immer an mir vorbei, ohne einen Blick, ohne ein nettes Wort, und Sie bringen mich sogar zum lachen!“

      Da hätte ich wohl sonst was sagen können, dachte Roy, du hättest doch auch gelacht, wenn ich nur eine Bemerkung über das Wetter gemacht hätte.

      Laut sagte er schließlich: „Gern geschehen.“

      „Wissen Sie was? Dafür geh ich noch weiter mit dem Preis runter!“

      Die Situation wurde unangenehm. Mal davon abgesehen, dass der zwielichtige Typ noch gar keinen Startpreis genannt hatte, erweckte die Mikrowelle bei Roy nun doch ein schwaches Interesse. Eher aus Mitleid, aber Interesse ist Interesse. Und für einen Marktverkäufer war das fast mehr wert als Gold.

      „Und was genau kann das Ding?“, fragte Roy.

      Nun formte sich ein siegreiches Lächeln auf dem schmalen Gesicht von Mr. Gelee. „So gefallen Sie mir, mein Freund. Sehen Sie dieses Zahlenfeld?“ Er beugte sich nach vorne und deutete auf das Eingabefeld mit den eingedrückten Tasten. Dort waren in drei Reihen die Zahlen 1 bis 9 abgebildet. Die vierte und letzte Reihe beinhaltete die 0 und (aus irgendwelchen Gründen) das Rauten-Symbol.

      „Aha“, sagte Roy und legte absichtlich Desinteresse in seine Stimme.

      Ein unbeeindrucktes Schmunzeln. „Höre ich da eine gewisse Skepsis?“

      „Naja, ich frage mich nur, was daran jetzt so magisch sein soll.“

      „Wenn Sie so fragen, eigentlich nichts“ Er beugte sich noch weiter nach vorne und fügte murmelnd hinzu: „Aber was, wenn ich Ihnen sage, dass diese Mikrowelle alles kann, und Essen zubereiten ist dabei eher drittrangig?“

      Roy schnaufte amüsiert. „Definieren Sie mal ‚alles’. Kann sie mir die Zeitung besorgen oder einen Kasten Bier?“

      Der nachfolgende Satz von Mr. Gelee stellte sich in Anbetracht der späteren Ereignisse als ziemlich verwegen heraus: „Seien sie nicht albern“

      Eine Stunde später erschien Roy Kokett in seinem trauten Heim; in beiden Händen eine ramponierte Kiste mit einem nicht minder ramponierten Gegenstand darin.

      Paula, seine hübsche Freundin, beobachtete die Szene vom Sofa aus. Ihre Augen waren nicht geschockt, aber sichtlich interessiert. Und vielleicht ein bisschen ungläubig.

      „Was hast du denn da?“

      Roy legte die Kiste mit einem erleichterten Schnaufen auf den Boden. „Du wirst mich wahrscheinlich für verrückt erklären – und ich könnte es dir nicht mal verübeln -, aber ich hab mir heute mal einen Spaß erlaubt.“

      Ihre erste Reaktion war verbunden mit großen, glänzenden Augen. „Sind da etwa kleine Welpen drin? Roy, sag mir, dass da kleine Welpen drin sind!“

      Mit ihrem kurzen, braunen Haar und den blauen Augen sah sie für kurze Zeit wieder wie ein kleines Mädchen aus, und obgleich Roy wusste, dass sie seit Jahren des Entzugs mal wieder einen Hund haben wollte, bereitete es ihm eine gewisse Schadenfreude, als er trocken „Nein“ sagte.

      „Och“ Pure Enttäuschung, gefolgt von geheucheltem Interesse. „Was denn dann?“

      Er war sich zunächst unschlüssig, ob er es ihr wirklich zeigen sollte, aber letztlich gewann die Freude des Präsentierens. Er öffnete den Karton, packte die Mikrowelle an beiden Seiten und zog sie angestrengt heraus. Das Ding war schwer.

      Sie schaute das Ding eine ganze Weile irritiert an, dann kam die Frage des Tages: „Aber sonst hast du noch alle Latten an der Tanne?“

      „Schatz, lass mich erklären. Das ist eine Mikrowelle, und...„