Ben Knüller

Absurd


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ganz billig geschossen!“

      Sie bedeckte mit der Hand ihren Mund und ging ein paar Schritte rückwärts. Ein Teil ihres Verstandes hatte gerade offiziell bekannt gegeben, dass ihr Freund ein Wahnsinniger ohne Verstand sei.

      „Weißt du, was mir der Verkäufer auf die Nase gebunden hat, damit ich...„

      „Offenbar hat es ja geklappt.“

      „Paula, bitte! Der Kerl hat mir das Ding für einen Euro verkauft. Einen Euro!“

      „Davon hättest du dir auch mal eine neue Zahnbürste kaufen können!“

      „Schatz, der Kerl war verzweifelt, und ich wollte ihm einen Gefallen tun! Wir können sie doch bei eBay einstellen, für manche ist das sicher eine Antiquität!“

      „Wir können sie auch aus dem Fenster feuern!“

      Roy merkte, dass dieses Gespräch in eine Sackgasse geraten war. Paula wollte nicht verstehen, dass er, Roy, diese Apparatur aus einem jungenhaften Impuls heraus gekauft hatte. Was der Verkäufer alles über die Mikrowelle erzählt hatte war herrlich gewesen, und Roy hätte schlichtweg ein schlechtes Gewissen bekommen, den langen Kerl dafür nicht zu belohnen. Und vielleicht, aber auch nur vielleicht, glaubte ein kleiner Teil von ihm den Quatsch, den der Verkäufer routiniert heruntergeleiert hatte. Aber dazu musste er das Ding mal testen...

      „Hörst du mir noch zu?“, fragte er leicht schroff. Paula hatte sich von ihm weggedreht und starrte verdrießlich aus dem Fenster.

      Als nach fünf Sekunden keine Antwort kam, ging er mit der Mikrowelle in die Küche.

      Roy ging nochmal die Gebrauchsanweisung im Gedanken durch, die ihm der langhalsige Verkäufer mitgeteilt hatte. Und je öfter er das machte, desto schwachsinniger kam ihm das alles vor... und auch er kam sich doof vor.

      Wenn man Mr. Gelee Glauben schenken mochte, standen die verschiedenen Zahlen für Aktionen, die beim Knopfdruck passieren sollten. Leider hatte Mr. Gelee vergessen, was genau jetzt für welche Zahl stand, und das hemmte Roys kindliche Begeisterung. „Bei manchen Zahlen passieren gute Sachen, bei manchen schlechte“, hatte der Typ gesagt, und seine einzige konkrete Information war, dass man vorsichtig mit der Null sein sollte. „Da kann alles Mögliche passieren!“

      Roys nächste Frage: „Und die Raute?“

      Mr. Gelee zuckte nach einer Weile die Schultern. Das war irgendwie beunruhigend.

      Und nun stand er hier. Ein erwachsener Mann mit einer magischen Mikrowelle. Plötzlich hatte er Schuldgefühle wegen Paula. Im Kern hatte sie Recht. Natürlich. Wie hätte er reagiert, wenn sie eine kaputte Waschmaschine, die angeblich jodeln konnte, nach Hause gebracht hätte? Vielleicht abweisender als sie es eben war.

      „So ein Scheiß“, sagte er zur Mikrowelle, die stumm vor ihm auf der Küchentheke stand. Die gesprungene Scheibe glich auf verstörende Weise einem blinden Auge.

       Soll ich trotzdem mal ne’ Taste drücken?

      Warum eigentlich nicht? Wenn man sich schon zum Esel gemacht hat, konnte man ruhig auch noch bockig I-A sagen.

      So kam es, dass Roy recht ziellos mit dem Finger über das Zahlenfeld kreiste. Die Ziffern selbst waren kaum noch zu lesen. Die 8 sah eher aus wie eine 3, die 2 hätte genauso gut eine 7 sein können.

      „Ist doch scheißegal“, sagte er schlussendlich und drückte auf die 2. Die Taste rastete schwer ein. Daraufhin ertönte ein lautes BING, und im Inneren der Mikrowelle ging tatsächlich das Licht an. Roy staunte nicht schlecht, blinzelte aber erschrocken, als das Licht zu flackern begann. Dann war es auch wieder aus, aber das Schauspiel war noch nicht ganz fertig. Nun trat ein dröhnendes Summen ein, bei dem Roy spontan an uralte Kühlschränke denken musste.

      Und nach ein paar Sekunden war der ganze Spuk dann auch vorbei.

      Roys erste Intention (schreiend aus der Küche zu laufen), erwies sich als unbegründet. Sein erster Gedanke war, dass die Mikrowelle in die Luft gehen würde. Doch sie stand da wie vorhin; verblichen, wie ein alter Klotz.

      Er starrte tiefer in die gesprungene Scheibe. Konnte er da etwas erkennen? Mein Gott, stand da tatsächlich etwas drin? Es gab es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Beinahe benommen tastete er nach dem verrosteten Griff, um die kleine Tür zu öffnen. Auch der Griff war schwer zu bewegen, und als die Tür langsam quietschend aufging, dachte Roy zuerst, eine Katze würde irgendwo jämmerlich verenden.

      Aber selbst eine tote Katze hätte Roy besser erklären können als das, was nun wirklich in diesem uralten Aufwärmer stand: eine Flasche Bier.

      Ihm wurde plötzlich schwindlig, und nichts wäre ihm derzeit lieber gewesen als eine kalte Dusche und der Sprung ins Bett. Trotzdem holte er das Bier heraus, starrte es an und drehte es, um alle Seiten zu betrachten. Die Flasche war kühl und echt, das stand fest, doch was war mit dem Inhalt? Konnte sich darin nicht Apfelsaft oder Urin verbergen? Vielleicht sogar irgendein gewitztes Gift, eigens gebraut von Mr. Gelee, der auf diese Art seine Morde beging.

      Willst du mich anstarren oder trinken, schien das Bier ungeduldig zu fragen. Und war er vorhin nicht auf der Suche nach einem kühlen Feierabendbier gewesen?

      „Dann wollen wir mal“, antwortete Roy der Flasche, öffnete sie und nippte dann vorsichtig daran. Es schmeckte tatsächlich wie Bier. Wie echtes Bier... also gab es keine Bedenken, einen großen Schluck zu nehmen. Roy trank. Roy hatte Durst.

      Ihm kam ein weiterer Gedanke. Und wenn diese Idee sich bewahrheiten sollte, wusste er schon mal, wofür genau die Taste 2 stand.

      Er schloss einfach die Augen, drückte auf die Taste und wartete geduldig das Schauspiel ab. Wieder machte es BING, wieder flackerte es, wieder war alles so schnell vorbei, wie es angefangen hatte.

      Und nachdem er den Teller Spaghetti aus der Mikrowelle geholt hatte, war sein Kopf vor lauter Spielfreude fast leer. Er legte alles ab, suchte in einem Schubfach nach Zettel und Stift, fand alles und schrieb nervös folgende Zeile nieder: Taste 2 lässt Wünsche wahr werden.

      Er betrachtete die Wörter, kam sich trotz allem leicht verrückt vor, begutachtete dann aber Beweisstück B: die Spaghetti. Er hatte die Augen geschlossen, an seine Leibspeise gedacht und nun hatte er sie vor sich, dampfend und wahrscheinlich genauso sicher und wohlschmeckend wie das Bier. Gerade als er einen herzhaften Bissen mit der Gabel (die sogar mitgeliefert wurde) nehmen wollte, flog die Küchentür auf; Paula, die Hände in die Hüften gestemmt... eine gefährliche Pose bei Frauen, die nicht unbedingt Komm, schlaf mit mir bedeutete.

      „Ach“ Ein herablassender Tonfall. „Muss der feine Herr in der Küche stehen und essen, ja? Setz dich wenigstens an den Tisch!“

      „Schatz, beruhige dich mal. Fragst du dich gar nicht, woher das Essen kommt?“

      Sie verstand offenbar seinen Wink und starrte zur magischen Mikrowelle. Mehr als ein verzogener Mundwinkel huschte aber nicht über ihr Gesicht. „Möchtest du mir jetzt ernsthaft sagen, dass du die in dem Ding da warm gemacht hast?“

      Roy grinste dümmlich.

      „Aber wir hatten keine Nudeln mehr. Die hat das Ding dann wahrscheinlich gleich noch selbst hergestellt und gekocht, oder?“

      Roy nickte dümmlich.

      Paula stieß einen gedehnten Seufzer aus, ging mit verschränkten Armen zur Mikrowelle und fuhr mit einem Finger über deren Oberfläche. Der Ekel zwang sie dann, besagten Finger sofort an ihrer Bluse abzuwischen.

      „Willst du es nicht auch mal probieren?“, fragte Roy hoffnungsvoll.

      Sie sah ihn streng an. „Probieren? Was probieren?“

      „Drück die Zwei!“, erwiderte er und deutete auf das Zahlenfeld.

      Offenbar wurde ihr die Sache spätestens jetzt zu blöd. Ihr Gesicht verkrampfte sich, die Hände flogen nach oben, der Knoten platzte. „Sag mal hast du sie noch alle? Benimmst dich wie ein kleines Kind wegen einer... einer Mikrowelle! Was kommt als nächstes?