Gerald Uhlig

Und trotzdem lebe ich


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in Deutschland Geschäfte?«, frage ich ihn.

      »Vor vielen Jahren haben wir hier ein wenig mit Heroin gehandelt, aber das macht die Deutschen kaputt. Dann sind wir zu Kokain übergangen. Das mögen die Deutschen, das löst sie von ihren Verspannungen. Heute bin ich noch ein wenig im Geschäft mit Hedgefonds, die ich mit meinen Leuten aufbaue und verwalte. Und ich will ein Geschäft mit Ihnen machen. Ich biete Ihnen zehn Millionen Euro für Ihr Kaffeehaus.«

      Meine Antwort ist klar: »Mein Kaffeehaus ist unverkäuflich.«

      Doch er gibt nicht auf: »Sie sind ein Träumer, ein Idealist, ein deutscher Romantiker, das mag ich an Ihnen. Sie werden schon irgendwann verkaufen. Irgendwann verkauft jeder! Hier gebe ich Ihnen eine Telefonnummer. Über die können Sie mich erreichen. Wenn Sie gewählt haben, sagen sie das Codewort ›Kunstkauf‹. Ich werde Sie dann zurückrufen. Nach vierundzwanzig Stunden verliert diese Nummer ihre Gültigkeit. Dann werde ich nicht mehr für Sie zu erreichen sein. Vergessen Sie nicht, mein Freund, das mit Ihren Nieren regeln wir für Sie. Sie werden bald wieder ein ganzer Mann sein, das verspreche ich Ihnen.«

      Er erhebt sich vom Stuhl, setzt seine Sonnenbrille auf, winkt den Kellner zu sich und bezahlt die Rechnung. Dann verabschiedet er sich lapidar mit der Bemerkung, dass das Leben erst wirklich Spaß mache, wenn man die richtigen Kontakte habe.

      Eine seltsame, ungewöhnliche Begegnung. Die Vorstellung, dass ich durch ihn eine funktionierende Niere bekommen kann und das wunderbare Angebot meiner lieben Mara nicht in Anspruch nehmen muss, gibt mir ein Gefühl von Hoffnung und Erleichterung. Ich schaue auf meine Uhr und mir fällt ein, dass ich Mara und meine Tochter ja zum Flughafen bringen muss. Nach dem Einchecken am Flughafen Tegel drücke ich meine beiden Lieben fest an mich. »Passt gut auf euch auf, ihr seid mein Leben.«

      Verrückte Träume

      Als ich wieder unsere Wohnung betrete und mir schon beim Schließen der Tür meine Liebsten fehlen, finde ich in meiner Jackentasche den Zettel mit der Telefonnummer des merkwürdigen Cafébesuchers. Im Bett liegend muss ich immer noch an ihn denken. Vielleicht hat mein Schicksal ihn heute zu mir geschickt, gerade heute, wo meine Blutwerte sich verschlechtert haben. Das viele Geld, eine neue Niere, meine Mara bliebe verschont. Wir drei könnten noch einmal etwas ganz Neues beginnen mit meiner neuen Niere, ein neues Leben. Vielleicht sollte ich jetzt sofort die Nummer wählen und dem Verkauf zustimmen. Besser eine Nacht darüber schlafen, ich habe ja noch bis morgen Mittag Zeit, mich zu melden. Ich wälze mich von einer Seite auf die andere. Das Einschlafen fällt mir in der letzten Zeit immer schwerer und heute ganz besonders. Irgendwann fange ich dann doch an zu träumen.

      In einem stinkenden Hinterhof verpacken zwei Männer eine frisch entnommene Niere in einen Eisbehälter. Auf einer schmutzigen Pritsche liegt ein junges elfjähriges Mädchen, halb betäubt von der Narkose und vor Schmerzen winselnd. Die Männer drücken der Mutter, die weinend neben dem Kind steht, einen Zehn-Euro-Schein in die Hand, nehmen die Kiste mit dem entnommenen Organ und verlassen den Ort. Auf dem blutenden Verband, der auf der Wunde des Mädchens dilettantisch angebracht ist, sitzen bereits Fliegen. Als ich mir das Gesicht des Mädchens näher anschaue, erkenne ich plötzlich meine ehemalige Schulkameradin Baha. Ich möchte schreien. In diesem Moment weht ein blutrotes Tuch über Bahas Gesicht. Viele Mönche laufen auf das rote Tuch zu und ziehen es von Bahas Gesicht, das sich in das Antlitz eines mir unbekannten indischen Mädchens verwandelt hat. Ich bin in den Slums von Bombay. Die Mönche verlassen summend den Ort, das junge Mädchen stirbt. Die Mutter des Mädchens fragt mich, ob ich zu den zehn Euro nochmals zehn für den Tod ihrer Tochter dazugeben könne. Diese könne nun nicht mehr arbeiten, und das sei der Hungertod der Familie.

      An der Bar eines großen Hotels in Kairo sitze ich mit dem Chefarzt, der mich gleich in Zimmer 403 operieren wird und der das gleiche Gesicht hat wie der Mann, der mich in meinem Café aufsuchte, um es zu kaufen. Wir warten auf die beiden Männer mit der Kühlkiste und dem Organ. Sie treten ein, kommen auf uns zu und bestellen zwei Whisky. Ich übergebe den Männern zweihundertfünfzigtausend Euro in großen Scheinen, die ich in einem kleinen Köfferchen bei mir trage. Sie händigen dem Chefarzt die Kiste aus und verlassen die Bar. Der Chefarzt mit dem Organ in der Kühlkiste und ich steigen gemeinsam in ein Taxi, das vor dem Hotel auf uns wartet. Vor einem riesigen Gebäude, das ein Krankenhaus ist, halten wir an.

      Als ich am Flughafen Tegel ankomme, sehe ich mein Foto auf dem Titel aller aushängenden Zeitungen. Darunter steht zu lesen, dass ich ein Verbrechen begangen habe. Ich hätte eine Niere in Indien gekauft, die mir dann in Kairo eingepflanzt worden ist. Als ich den Flughafen in Richtung Ausgang verlasse, stehen mehrere Polizisten gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsminister vor mir. Er legt mir auf der Stelle Handschellen an. Dabei lächelt er mich zynisch an und sagt in Pfälzer Dialekt: »Keiner wird in Deutschland das Organgesetz ändern. Ich werde der Widerspruchslösung nie zustimmen. Ich sage doch jeden Tag zu meinen Wählern, dass sie endlich einen Organspendeausweis ausfüllen sollen.« Und dann fragt er einen der Polizisten, warum das denn so wenige machten. Er wisse es nicht, ist dessen Antwort, er habe auch keinen ausgefüllt, er wisse nicht einmal, dass es so einen Ausweis gebe. »Meine Wähler haben alle Angst vor dem Sterben und den Dingen, die mit dem Tod zu tun haben. Vielleicht füllen sie deswegen keinen Spenderausweis aus. Vielleicht joggen sie lieber durch die Berliner Parks und Wälder und andere deutsche Landschaften in der Hoffnung, dass sie so gesund bleiben und nie ein fremdes Organ brauchen. Ich habe aber noch mehr Angst vor dem Tod, Herr Wachmeister, deshalb bin ich privat versichert wie die meisten meiner Kollegen im Bundestag auch.« Dann fragt der Minister alle Polizisten, die um ihn herumstehen und von denen immer mehr dazukommen: »Wie kommt man eigentlich um den Tod herum?« Er spricht diese Frage »Wie kommt man eigentlich um den Tod herum« immer wieder aus, sodass sie zu einem rituellen Gebet wird. Seine Stimme tönt dabei immer lauter und hysterischer, sodass alle Bundestagsabgeordneten in Berlin sie hören können und sofort zum Flughafen Tegel eilen, um zu ihren Wahlkreisen und Familien zurückzufliegen.

      Eigentlich täte ihm seit längerer Zeit das Herz weh, fügt der Minister nun an. »Ob ich wohl bald ein neues Herz brauche, meine Herren?«, fragt er die Polizisten. »Das können wir Ihnen nicht sagen, Herr Minister, wir passen auf, sind aber keine Ärzte.« »Wie viel sterben zur Zeit jährlich allein auf der Warteliste«, fragt er mich, »Sie sind doch einer, der sich auskennt.« Ich stehe immer noch mit den Handschellen bewegungslos da. Ich fühle es, ich werde vielleicht bald auch ein Spenderherz brauchen. Wie lange muss man warten? Bis zu acht Jahren in Deutschland. Im Jahr versterben auf der Warteliste ungefähr zweitausend Menschen, berichtet der Bodenfeger des Reichstags, der plötzlich mit seiner Frau Lotte vor dem Minister steht. »Zweitausend im Jahr, so viele«, murmelt er vor sich hin. »Deshalb fliegen Lotte und ich doch nach Peking, weil ich mir dort ohne die Wartezeiten eine neue Leber einsetzen lasse. Für meine Frau habe ich gleich eine Niere dazugekauft.« Der Minister fragt den Bodenfeger des Reichstags, ob er vielleicht doch das bestehende Organgesetz ändern solle, auch in Hinsicht auf sein Herz. Dann beginnt er wieder seinen Singsang, und der Bodenfeger bittet den Minister, er möge doch endlich still sein, er habe bereits alle Türen im Reichstag abgeschlossen, niemand sei mehr im Hause, der ihn hören könne. Die Polizisten führen mich ab.

      Die Gefängniszelle, in die sie mich stecken, ist so eng, dass ich darin nicht einmal sitzen kann. Kaum ist die Tür meiner Zelle verschlossen, meldet sich bereits Besuch an. Vor den Gittern steht eine Dame, die versucht, mir einen Strauß von zweihundert weißen Nelken durch die Stäbe hindurch in die Hände zu drücken. »Ich komme von ihrer Krankenkasse. Sie erinnern sich doch noch an Ihre Krankenkasse, die Sie ja hoffentlich nie in ihrem Leben wechseln werden. Dadurch, dass Sie mutiger Mann eine Niere in Indien gekauft haben, sind Sie einer der wenigen Patienten, die uns helfen, enorme Kosten zu sparen. Sie sind ein Musterkunde, ein richtiges Schnäppchen sozusagen. Erzählen Sie bloß niemandem etwas von meinem Besuch bei Ihnen, sonst bekomme ich eine Menge Probleme mit dem Gesetz, der Justiz und den Ethikkommissionen.«

      Die enge Gefängniszelle wird plötzlich zu einer großen, geräumigen alten Villa inmitten einer wild bewachsenen Parklandschaft. Ein Mann, bekleidet mit einer blutroten Mönchskutte, schreit vom Balkon: »Die Zeit kommt aus der Zukunft, die nicht existiert, in die Gegenwart, die keine Dauer hat, und geht