Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten


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waren, er verstünde sie nicht. Am liebsten noch über ihn. Die einfachste, aber äußerst effiziente Methode, ihre wahre Meinung zu erfahren.

      Auch sein Körper ließ kaum Wünsche offen: Er war 1,89 m groß und durchtrainiert. Von seinem Vater hatte er das tief dunkelbraune, fast schwarze Haar geerbt. Alles in allem ein Anblick, der es ihm in der Frauenwelt einfach machte, zu bekommen, was er wollte.

      Allerdings nicht nur dort. Denn wenn sich der Scheich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unter Umständen gefährlich, ihm zu widersprechen. Er hatte den Einfluss, die Mittel und vor allem auch die Ausstrahlung, sein Umfeld in seinem Sinne zu beeinflussen.

      Gegenüber seinen Feinden galt er als gnadenlos und war daher gefürchtet. Bei seinen Freunden dagegen zeichnete er sich durch Treue und Großzügigkeit aus. Lediglich sein Temperament machte ihm manchmal zu schaffen.

      Heute jedoch sah Rayan im Spiegel nur, dass er aufgrund der Strapazen der letzten Tage und der psychischen Anspannung und inneren Unruhe trotz seiner natürlichen Bräune ungewöhnlich blass wirkte und tiefe dunkle Augenringe hatte. Einen Moment schloss er die Lider und sinnierte wieder dem Albtraum nach, den er soeben gehabt hatte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Hanifs ihn beobachtete, was seine Meinung bestätigte, dass dieser sich vorher nur schlafend gestellt hatte.

      Ihre Blicke kreuzten sich und dabei realisierte er Hanifs Gesichtsausdruck: Eine Mischung aus Verlegenheit und Entsetzen.

      Rayan seufzte und fragte noch immer mit dem Rücken zu Hanif: „Ich habe wohl im Schlaf gesprochen?“, dabei beobachtete er dessen Reaktion. Hanif zögerte einen Moment. „Ja, ihr habt einen sehr unruhigen Schlaf gehabt und Euch hin und her geworfen und auch einiges Unverständliches gemurmelt …“, dabei wurde er leicht rot.

      Rayan lächelte sanft: „Seit wann lügst du mich an Hanif?“

      Nun glich Hanifs Gesicht der Farbe einer Tomate. „Verzeiht mir Herr, ich wollte nicht …“ Er brach ab, denn er wusste nicht, was er sagen sollte.

      Rayan schenkte ein zweites Glas Wasser ein, drehte sich um und ging zu seinem Platz zurück. Er reichte Hanif das Wasser und setzte sich hin.

      „Also Hanif, sag mir, was habe ich im Schlaf erzählt?“

      Einen Moment lang war Hanif noch verlegen, doch dann setzte er sich gerade hin, schaute Rayan direkt in die Augen und sagte:

      „Es war offenbar ein Albtraum. Ihr habt gesagt, dass es wehtut, und ihr es nicht mehr aushalten könnt. Aber müsst, weil Eure Freunde sonst sterben werden. Dann habt ihr mit Eurem Vater gesprochen und ihn angefleht, er möge Euch helfen und ‚sie‘ dazu bringen aufzuhören, weil ihr sonst sterbt.“

      Nun war es an Hanif, Rayan prüfend zu beobachten. Dieser entgegnete nichts und sinnierte eine Weile über die Worte seines Freundes. Dann fragte er ihn: „Und was denkst du von diesem Traum?“

      Ohne zu zögern antwortete Hanif: „Ich glaube nicht, dass es lediglich ein Traum war – ich bin mir sogar sicher, dass es eine Erinnerung war.“

      September 2014 – Flug von Alessia nach London – Bericht aus der Vergangenheit

      Rayan nickte und sagte mehr zu sich selbst: „Diesen Albtraum hatte ich schon eine lange Zeit nicht mehr, früher träumte ich ihn allerdings fast jede Nacht. Nur dass ich dieses Mal zum ersten Mal IHN deutlich vor mir gesehen habe.“

      Und er versank wieder in seinen Gedanken. Ab und zu nippte er an seinem Wasserglas.

      Eine Weile wartete Hanif ab, ob Rayan ihm von sich aus mehr erzählen würde. Dann stellte er fest, dass dieser so tief in Gedanken verloren war, dass er wohl keine weiteren Erklärungen abgeben würde. Es ärgerte ihn, dass Rayan nach all den Jahren über viele Dinge noch immer nicht mit ihm sprach. Also versuchte er, ihn aus der Reserve zu locken: „Ihr habt auch etwas von Salz gesagt – der Wortlaut war in etwa „nein, nicht das Salz.“

      Rayan wurde durch die Bemerkung tatsächlich aus seinem Grübeln gerissen, aber statt etwas zu sagen, schaute er ihn eine Weile sinnierend an und Hanif dachte schon, er würde seinen Satz einfach ignorieren. Dann begann er doch noch leise, wie zu sich selbst, zu reden:

      „Als mich die Handlanger meines Vaters damals verhört haben, hatten sie eine ganz bestimmte Methode, mit der sie mich zum Reden bringen wollten: immer zehn Peitschenhiebe, danach einen Kübel mit Salzwasser, direkt auf die offenen Wunden, die die Striemen hinterlassen hatten. Dann ließen sie mich stundenlang in der prallen Sonne warten, nur um dann von Neuem zu beginnen.“

      Er sagte es bewusst teilnahmslos, beobachtete Hanif dabei jedoch, um dessen Reaktion zu sehen. Der war etwas blass geworden, aber nachdem er die abscheulichen Narben auf Rayans Rücken kannte, hatte er Ähnliches erwartet.

      „Ihr sprecht nie über Euren Vater …“, entgegnete Hanif, auch um das Thema zu wechseln.

      Rayan lächelte matt: „Das stimmt nicht. Ich spreche nur nicht mit DIR über meinen Vater.“ Wie er erwartet hatte, spiegelte Hanifs Gesicht zuerst Überraschung und dann Kränkung wieder, doch bevor dieser wirklich beleidigt sein konnte, fuhr Rayan fort: „Weißt du, dass ich dich beneide, Hanif?“

      Wieder wartete er erst die Reaktion des anderen ab und Hanif fragte erwartungsgemäß überrascht: „Ihr? Mich? Das verstehe ich nicht.“

      „Als ich damals von Zarifa weggegangen bin, hatte ich nichts. Manchmal hatte ich noch nicht einmal etwas zu essen und musste tagelang hungern, bis ich genug verdient hatte, um mir Essen zu kaufen. Anderen Males habe ich nur für ein wenig Essen stundenlang gearbeitet. Aber wenn man mich in dieser Zeit gefragt hätte, was ich mir am meisten wünsche, hätte ich die gleiche Antwort wie heute gegeben.“ Vor sich hin sinnierend schwieg er erneut eine ganze Weile. Wieder überlegte Hanif, ob das alles gewesen sei, und holte gerade Luft um etwas zu sagen, da fuhr Rayan leise fort:

      „Nach dem Angriff auf deine Familie und dem Tod deines Vaters hat mein Vater dich wie seinen Sohn angenommen. Diese – wie viel? – sechs, sieben Jahre sind es, um die ich dich beneide. Ihr habt gemeinsam gegessen, über alles geredet, gemeinsam gelacht …Wenn ich an die Jahre zurückdenke, bevor ich weggelaufen bin, fallen mir nur Begriffe wie: ‚Unnahbar, unbarmherzig, ehrgeizig, verbittert‘ ein.“

      Er hielt inne, machte eine wegwerfende Handbewegung, zuckte die Schultern und fügte hinzu: „Ach was soll‘s – das ist lange her.“ Sein Tonfall machte klar, dass er nicht weiter über das Thema reden wollte.

      Hanif war aber entschlossen, sich dieses Mal nicht wieder abspeisen zu lassen und fragte: „Seid ihr deshalb damals weggelaufen?“

      Rayan sah ihn prüfend an und antwortete abweisend und mit einem bewusst arroganten Tonfall: „Glaubst du eigentlich, nur weil wir nicht mehr auf dem Boden sind, hat sich etwas geändert? Warum sollte ich dir diese Fragen beantworten wollen?“

      Es war klar, dass er Hanif in seine Schranken weißen wollte. Doch dieser hatte mit genau der Reaktion gerechnet. Er kannte sie nur zu gut aus der Vergangenheit. Immer wenn sie dieses Thema anschnitten, baute Rayan eine unüberwindbare Mauer auf. Doch dieses Mal würde er nicht zurückstecken. Vielleicht lag es auch tatsächlich daran, dass sie über den Wolken waren, dass er sich auf einmal traute, auf einer zufriedenstellenden Antwort zu beharren. Er spürte, dass sich ihm eine Chance bot. Daher reagierte er nicht etwa verlegen oder gar beleidigt, sondern bemerkte mit kühlem Kopf:

      „Nein, geändert hat sich überhaupt nichts. Ihr seid nach wie vor mein Herr und ich Euch verpflichtet. Doch glaube ich, dass ich nach so vielen Jahren einige Antworten verdient habe …“

      Rayan war verblüfft. War Hanif die Höhenluft zu Kopf gestiegen? Seit wann stand es ihm zu, in einem derartigen Tonfall mit ihm zu reden?

      Bevor er eine passende Antwort für Hanif parat hatte, fuhr dieser schon fort: „Immer wenn das Thema aufzukommen droht, stoßt ihr mich von Euch. Ihr habt es gerade aber selbst gesagt: Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu Eurem Vater – und darum habe ich es auch verdient, endlich zu verstehen, was zwischen